Südafrika greift mit juristischen Mitteln in den Nahost-Krieg ein. Die Klage Pretorias gegen Israel wegen Völkermords in Gaza vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag enthält einen Eilantrag. Darin fordert Südafrika eine sofortige Einstellung der israelischen Militärhandlungen. Das Verfahren könnte Jahre dauern.

Mit einer Entscheidung über den Eilantrag wird dagegen kurzfristig gerechnet. Der Berliner Völkerrechtsexperte Christian Tomuschat sieht gute Chancen für eine einstweilige Verfügung gegen Israel. Dann käme es auf den UN-Sicherheitsrat und die Vetomacht USA an. Die Durchsetzung einer auf Normen basierenden Weltordnung rückt in Zeiten eskalierender Großmachtkonflikte aber immer weiter in die Ferne, warnt der Völkerrechtler.

Herr Tomuschat, Südafrika, ein Staat, der in den Konflikt nicht involviert ist, klagt gegen eine der beiden Kriegsparteien in Nahost, Israel, vor dem IGH wegen Genozids. Ist das über den konkreten Fall hinaus ein bemerkenswerter Vorgang im Völkerstrafrecht?

Südafrika beansprucht mit seiner Klage vor dem Internationalen Gerichtshof eine Wächterfunktion, die jeder Staat nach Artikel IX der UN-Völkermordkonvention von 1948 wahrnehmen kann, ohne selbst unmittelbar betroffen zu sein. Die Konvention stellte klar, dass Genozid die gesamte Weltgemeinschaft angeht. Völkermord ist ein internationales Verbrechen. Damit steht jeder Staat in der Verantwortung, auch wenn er nicht in den Konflikt involviert ist. Die Verantwortung der Staaten, eine solche Wächterrolle bei Verdacht auf Völkermord zu übernehmen, dient der friedlichen Weltordnung als Ziel der UN-Charta.

Die Klage Südafrikas ist nicht präzedenzlos. Gambia erhob 2019 unter anderem mit Unterstützung Deutschlands eine Genozid-Klage vor dem IGH gegen Myanmar wegen der Verfolgung der Rohingya. Dient dieser Prozess als Blaupause für die Klage gegen Israel?

Davon ist auszugehen. Es ist auch hervorzuheben, dass Südafrika von vielen Staaten unterstützt wird, wie es auch im Fall der Klage Gambias gegen Myanmar zutrifft.

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Kommen wir zum Begriff des Genozids. Bitte definieren Sie ihn aus der Sicht des Völkerrechtlers.

Völkermord wird in der Völkermordkonvention aus dem Jahre 1948 in Artikel II näher definiert. Erfasst wird nicht nur die Tötung von Angehörigen einer bestimmten nationalen, ethnischen oder rassischen Gruppe, sondern auch die Auferlegung von Lebensbedingungen, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung der Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen. Entscheidend ist dabei, dass die entsprechenden staatlichen Handlungen auch tatsächlich von der Absicht getragen sein müssen, die Gruppe „ganz oder teilweise zu zerstören“. Es ist nicht einfach, das Vorliegen dieser Absicht nachzuweisen. Sie müsste aus den tatsächlichen Umständen in Gaza erschlossen werden.

UN-Experten werfen nun Israel vor, Hunger als Waffe einzusetzen. Sie sprechen von einem „sich entwickelnden Völkermord“ in Gaza. Ist ein Erfolg Südafrikas in Den Haag wirklich so aussichtslos, wie manche Beobachter meinen?

Ich sehe tatsächlich große Chancen für eine einstweilige Verfügung, die Militäroperation zu stoppen oder einzuschränken. Dafür muss der behauptete Genozid nicht bewiesen sein. Die Richter müssen die Klage nur für plausibel halten. Südafrika wird darauf hinweisen, dass die Bevölkerung in Gaza von Nahrung, Wasser und Medikamenten abgeschnitten wird. Israel verweist auf die Notwendigkeit von Kontrollen nach Waffen und Sprengstoff und begründet so Verzögerungen bei Lieferungen. Aber es ist sich der Folgen für die Menschen bewusst. Hinzu kommen die Aufforderungen an die Zivilbevölkerung, vom Norden in den Süden des Gazastreifens zu fliehen. Ausgerechnet dort wird jetzt heftig gekämpft.

Israel führt einen Selbstverteidigungskrieg. Es wehrt sich gegen die Hamas, die am 7. Oktober ein Massaker an Zivilisten angerichtet hat. Welche Regeln beschränken einen Staat bei der Abwehr eines Aggressors?

Das Völkerrecht ist bei der Selbstverteidigung nicht außer Kraft gesetzt. Krieg führt zwangsläufig zu einer Verletzung von Menschen im Zusammenhang mit dem Kampfgeschehen. Das internationale Recht will dennoch die Folgen minimieren. Die Tötung von Kriegsgefangenen ist verboten, der Kampf hat sich auf die Kombattanten zu beschränken und muss Zivilisten so weit wie möglich schonen, zivile Objekte wie Kliniken genießen besonderen Schutz.

Israel spricht davon, dass die Hamas Krankenhäuser als Stützpunkte missbraucht. Liegt die Verantwortung für die zivilen Opfer dann nicht bei der Hamas, wie Israel argumentiert?

Auch wenn zivile Objekte durch solche Missbräuche ihren Schutz verlieren, muss in jedem Falle die Verhältnismäßigkeit eingehalten werden. Es wird für den IGH nicht einfach sein, für solche Fälle die richtige Abwägung zu treffen. Ob eine bestimmte militärische Handlung, bei der Zivilisten ums Leben kamen, in der Sache angemessen war, lässt sich ja nicht mathematisch berechnen: Militärischer Vorteil steht gegen menschliches Leben. Das wird eine harte Prüfung für die Richter in Den Haag

Wie können die Richter des IGH diese Abwägung überhaupt treffen? Unabhängige Beobachter sind nicht vor Ort.

Ich bin da nicht so pessimistisch. Israel wird umfassendes Dokumentationsmaterial für seine Sicht der Dinge präsentieren. Auch Südafrika stehen Quellen zur Verfügung. Ich denke zum Beispiel an die Berichte der UN zur Lage in Gaza wie auch an die aktuellen Berichte in der Presse und im Fernsehen.

Israel hat das Römische Statut, also den Vertrag zur Gründung des IGH 1998, nicht unterzeichnet. Könnte es die Klage Südafrikas nicht einfach ignorieren?

Israel hat die UN-Völkermordkonvention angenommen. Es ist deshalb an Entscheidungen des Haager Gerichts gebunden.

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Und wenn Israel einem Urteil nicht folgt? Der UN-Sicherheitsrat müsste ja dann die einstweilige Verfügung durchsetzen. Das erscheint angesichts der Vetomacht der USA kaum vorstellbar.

Für den UN-Sicherheitsrat wäre eine solche Entscheidung der Richter in Den Haag eine große Herausforderung – und vielleicht besonders für die USA. Aus Sicht des Völkerrechts müsste das Gremium dann entsprechend handeln.

Oder wir erleben, dass das Völkerrecht ein zahnloser Tiger ist. Die Lähmung der UN durch den Streit der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ist doch eine Tatsache. Ein möglicher Wahlsieg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen in den USA im Herbst macht auch nicht gerade Hoffnung auf die Durchsetzung internationalen Rechts.

Wir erleben gerade bedrückende Zeiten. Russland als Rechtsnachfolger des UN-Gründungsmitglieds UdSSR hat mit dem Angriff auf die Ukraine die Axt an das Völkerrecht gelegt. Eine Erosion internationaler Normen ist nicht zu leugnen. Wir scheinen vergessen zu haben, welche Hoffnungen auf eine gewaltfreie Welt einmal mit der UN-Charta verbunden waren. Jeder Mensch sollte ein Recht auf ein Leben in Würde haben. Ich kann nur hoffen, dass wieder Einsicht einkehrt.

Interview: Cedric Rehman

QOSHE - Völkermord-Klage: „Das wird eine harte Prüfung für die Richter in Den Haag“ - Cedric Rehman
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Völkermord-Klage: „Das wird eine harte Prüfung für die Richter in Den Haag“

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22.01.2024

Südafrika greift mit juristischen Mitteln in den Nahost-Krieg ein. Die Klage Pretorias gegen Israel wegen Völkermords in Gaza vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag enthält einen Eilantrag. Darin fordert Südafrika eine sofortige Einstellung der israelischen Militärhandlungen. Das Verfahren könnte Jahre dauern.

Mit einer Entscheidung über den Eilantrag wird dagegen kurzfristig gerechnet. Der Berliner Völkerrechtsexperte Christian Tomuschat sieht gute Chancen für eine einstweilige Verfügung gegen Israel. Dann käme es auf den UN-Sicherheitsrat und die Vetomacht USA an. Die Durchsetzung einer auf Normen basierenden Weltordnung rückt in Zeiten eskalierender Großmachtkonflikte aber immer weiter in die Ferne, warnt der Völkerrechtler.

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Südafrika beansprucht mit seiner Klage vor dem Internationalen Gerichtshof eine Wächterfunktion, die jeder Staat nach Artikel IX der UN-Völkermordkonvention von 1948 wahrnehmen kann, ohne selbst unmittelbar betroffen zu sein. Die Konvention stellte klar, dass Genozid die gesamte Weltgemeinschaft angeht. Völkermord ist ein internationales Verbrechen. Damit steht jeder Staat in der Verantwortung, auch wenn er nicht in den Konflikt involviert ist. Die Verantwortung der Staaten, eine solche Wächterrolle bei Verdacht auf Völkermord zu übernehmen, dient der friedlichen Weltordnung als Ziel der UN-Charta.

Die Klage Südafrikas ist nicht präzedenzlos. Gambia erhob 2019 unter anderem mit Unterstützung Deutschlands eine Genozid-Klage vor dem IGH gegen Myanmar wegen der Verfolgung der Rohingya. Dient dieser........

© Berliner Zeitung


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