Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Confirmation Bias. Und das kam so: Die Kolumnen, die ich seit mehr als zwei Jahren an dieser Stelle veröffentliche, sind nicht witzig. Das fand nicht ich selbst, sondern ein entfernter Bekannter, der die Kolumnen offenbar seit mehr als zwei Jahren regelmäßig liest und mir jetzt, ein wenig verspätet, seine Beurteilung mitgeteilt hat. Alles konstruiertes Zeug, hat er gemeint. Schließlich könne sich doch niemand alle zwei Wochen eine neue Krankheit einbilden.

Höflich, aber bestimmt habe ich entgegnet, dass Krankheiten grundsätzlich nicht witzig seien. Aus gutem Grund befasse sich eine ganze Branche völlig humorbefreit damit, sie aus der Welt zu schaffen. Außerdem mal ganz im Ernst: Ich bilde mir doch nicht ein, dass ich mir Krankheiten einbilde. Meine Argumentation muss entwaffnend gewesen sein. Danach war nämlich das Gespräch beendet und die Angelegenheit vergessen.

Ich erinnerte mich erst wieder daran, als mich eine Kollegin neulich auf eine Kolumne ansprach, weil sie diese unterhaltsam fand. Wie übrigens die meisten davor auch. Das versicherte sie mir glaubhaft und regte an, ich solle aus den gesammelten Texten ein Buch machen, das sich bestimmt gut verkaufen lasse. Es müssten inzwischen doch an die 100 Erkrankungen zusammengekommen sein. Wir unterhielten uns sehr angeregt, und ich fragte mich, warum mir Leute sympathisch sind, die dieselben Meinungen vertreten wie ich.

Auf die Antwort brachte mich ein Internetportal für Männergesundheit. Es erläuterte in plausibler Weise, dass ich einem sogenannten Bestätigungsfehler unterlag, der in der Kognitiven Psychologie als Confirmation Bias auf dauerhaftes Interesse stößt. Kurz zusammengefasst: Ich nehme Informationen erst dann ernst, wenn sie mit meinem Weltbild übereinstimmen. Da ich also alle zwei Wochen eine neue Erkrankung bei mir diagnostiziere, finde ich diejenigen in Ordnung, denen das normal erscheint. Dagegen halte ich alle für seltsam, die zu einer gegenteiligen Einschätzung gelangen.

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Wenn Beipackzettel krank machen und wie ein Student fast an einem Placebo starb

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In einem Forum für Heranwachsende, die gerade Muttis trautes Heim verlassen haben, in die ersten eigenen vier Wände gezogen sind und sich nun allerlei praktische Fragen stellten, erfuhr ich, dass es Personen mit einer besonders ausgeprägten Veranlagung zu Bestätigungsfehlern gibt. Diese Wesensart könne dazu führen, hieß es da, dass abweichende Meinungen heftige Reaktionen auslösen.

Bei mir könnte es zum Beispiel passieren, dass ich hinter der Skepsis gegenüber meinen Kolumnen eine Verschwörung wittere. Hinter der wiederum würde ich eine Theorie vermuten, die davon ausgeht, dass ich die Menschheit mutwillig verblöden wollte, um von den eigentlichen Problemen des Gesundheitswesens abzulenken. Wahrscheinlich, weil ich selbst verblödet sei. Daraufhin würde ich meinerseits die Skeptiker für verblödet erklären und das einzig Vernünftige tun: sie beschimpfen oder mit Missachtung strafen und aus meiner Gedankenwelt verbannen.

Sollte sich irgendwann herausstellen, dass meine Kolumnen tatsächlich sinnloses Geschwurbel waren, würde ich mich dafür selbstverständlich entschuldigen. Nicht für mein langjähriges Geschwurbel, das ist ja klar, sondern für meine mangelhafte Kommunikation. Ich verspräche, dass ich in Zukunft allgemein verständlicher schwurble. Dann würde ich die nächste Kolumne schreiben. Ich lachte mich wie gehabt über meine Formulierungen kaputt. Und wäre ich auch der Einzige, dem das gelänge, es wäre mir egal.

QOSHE - Schöner schwurbeln: Muss ich mir Sorgen machen, wenn mich Leute unlustig finden? - Christian Schwager
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Schöner schwurbeln: Muss ich mir Sorgen machen, wenn mich Leute unlustig finden?

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24.04.2024

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Confirmation Bias. Und das kam so: Die Kolumnen, die ich seit mehr als zwei Jahren an dieser Stelle veröffentliche, sind nicht witzig. Das fand nicht ich selbst, sondern ein entfernter Bekannter, der die Kolumnen offenbar seit mehr als zwei Jahren regelmäßig liest und mir jetzt, ein wenig verspätet, seine Beurteilung mitgeteilt hat. Alles konstruiertes Zeug, hat er gemeint. Schließlich könne sich doch niemand alle zwei Wochen eine neue Krankheit einbilden.

Höflich, aber bestimmt habe ich entgegnet, dass Krankheiten grundsätzlich nicht witzig seien. Aus gutem Grund befasse sich eine ganze Branche völlig humorbefreit damit, sie aus der Welt zu schaffen. Außerdem mal ganz im Ernst: Ich bilde mir doch nicht ein, dass ich mir Krankheiten einbilde. Meine Argumentation muss entwaffnend gewesen sein. Danach war nämlich das Gespräch beendet und die........

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