Der Eiserne Vorhang war in filmischer Hinsicht durchlässig, zumindest in Richtung Osten. In den Kinos der DDR kamen Anfang der 80er jährlich knapp zehn Filme aus den USA zur Aufführung, im Fernsehen bis zu 40. Diese Produktionen durchliefen strenge Auswahlverfahren durch Reisekader und Kulturfunktionäre. Bei der Vermittlung spielte die Formel vom „Anderen Amerika“ eine zentrale Rolle. Gemeint war, dass beileibe nicht alle Menschen im größten und reichsten kapitalistischen Land auch „Klassenfeinde“ waren. Filme fungierten als eine Art Flaschenpost dieser Haltung.

Zum ersten Mal unternimmt nun eine Filmreihe den Versuch, diesen Transfer zu rekonstruieren und auf damit verbundene Phänomene hinzuweisen. Gezeigt werden einerseits amerikanische Produktionen, die in den Kinos der DDR liefen, andererseits ostdeutsche Filme mit Bezügen auf Nordamerika. Um es vorwegzunehmen: Die nun vorgestellten neun Programme reichen in keiner Weise aus, um dem Thema gerecht zu werden. Der Kurator Tobias Hering weist damit jedoch auf einen wichtigen blinden Fleck hin. Darin liegt der Verdienst dieser Retro.

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18.01.2024

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Zwei überaus selten gezeigte Defa-Spielfilme schließen die Reihe ab. „Bockshorn“ (1984) bot einen merkwürdig heimatlosen Ansatz jugendlicher Orientierungssuche vor exotischer Kulisse. Der mit einem komfortablen Reisepass ausgestattete Ost-Berliner Regisseur Frank Beyer adaptierte hier einen in den USA spielenden, kafkaesk angehauchten Roman des bundesdeutschen Autors Christoph Meckel. Für die jugendliche Zielgruppe in der DDR wirkte dies wie ein Hohn, kam man doch damals ohne Visum nur noch bis in die ČSSR. Kaum jemand wollte damals im Kino diese USA-Reise miterleben, mit der vor den Schrecken des Imperialismus gewarnt wurde. Mit zeitlichem Abstand betrachtet, weist „Bockshorn“ dann doch einige Qualitäten auf. Vor allem die oft improvisierten Aufnahmen in den Straßen New Yorks zeugen von Low-Budget-Potenzialen, die in den Babelsberger Studios keine Chance hatten. Daneben steht allerdings der übliche Kunstgewerbe-Touch.

Ganz anders „Blauvogel“ von 1979. Außenseiter-Regisseur Ulrich Weiß bürstet hier das einst populäre Indianerfilm-Genre der Defa derart rabiat gegen den Strich, dass ihm vorgeworfen wurde, es zerstört zu haben. Statt des stets von Gojko Mitić gespielten, edlen Wilden steht hier ein Kind im Mittelpunkt. Kaum mit seinen Eltern aus England angekommen, wird es von Irokesen entführt und gegen seinen Willen in den Stamm aufgenommen, aus George wird Blauvogel. Nach mehr als sieben Jahren in der archaischen Gemeinschaft wird er von englischen Truppen „befreit“ und seinen Eltern zurückgegeben. Hier hält er es nur wenige Tage aus. Im Epilog dieser verkannten Romanverfilmung verbindet sich das Gleichnis vom verlorenen Sohn mit dem des Kaspar Hauser. Für Blauvogel bleibt kein Ort, nirgends.

Das andere Amerika. Bis zum 29. Januar im Zeughauskino. „Blauvogel“ läuft am 27. Januar, „Bockshorn“ am 29. Januar, Beginn jeweils um 19 Uhr.

QOSHE - Filmreihe „Das andere Amerika“: Wie die USA in der DDR filmisch vermittelt wurden - Claus Löser
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Filmreihe „Das andere Amerika“: Wie die USA in der DDR filmisch vermittelt wurden

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20.01.2024

Der Eiserne Vorhang war in filmischer Hinsicht durchlässig, zumindest in Richtung Osten. In den Kinos der DDR kamen Anfang der 80er jährlich knapp zehn Filme aus den USA zur Aufführung, im Fernsehen bis zu 40. Diese Produktionen durchliefen strenge Auswahlverfahren durch Reisekader und Kulturfunktionäre. Bei der Vermittlung spielte die Formel vom „Anderen Amerika“ eine zentrale Rolle. Gemeint war, dass beileibe nicht alle Menschen im größten und reichsten kapitalistischen Land auch „Klassenfeinde“ waren. Filme fungierten als eine Art Flaschenpost dieser Haltung.

Zum ersten Mal unternimmt nun eine Filmreihe den Versuch, diesen Transfer zu rekonstruieren und auf damit verbundene Phänomene hinzuweisen. Gezeigt werden einerseits amerikanische........

© Berliner Zeitung


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