Das zeitgenössische Kino Griechenlands ist jung und divers – und politisch in hohem Maße engagiert. Zum neunten Mal legt ein jährlich stattfindendes Festival von dieser Tendenz Zeugnis ab. Die insgesamt 30 Beiträge stellen eine Auswahl dar, die es in sich hat. Trotz politischer und wirtschaftlicher Dauerkrise gelingt es einer vitalen kreativen Szene, ihre Positionen in Filmen zu materialisieren und nachdrücklich zur Diskussion zu stellen. Tabus werden dabei keine gescheut, besonders im dokumentarischen Bereich nicht.

Mehrere Spielfilme wiederum bedienen sich eines dokumentarischen Rahmens. So nutzt „Animal“ von Sofia Exarchou ein Ferienresort in der Ägäis als Kulisse für ihre bittere Allegorie über Rollenverhalten und Ausbeutung. Eine Gruppe von Animateuren treibt hier allabendlich die Stimmung unter den Touristen hoch. Die meist aus prekären Regionen Osteuropas kommenden Anheizer drohen selbst zu verglühen. Drogen, Sex und ständiger Arbeitsdruck geben einen immer schnelleren Takt vor.

Auch Tzeli Hadjidimitrious Doku „Lesvia“ beschäftigt sich mit ambivalenten Nebeneffekten des Tourismus. In einer kurzweiligen Mixtur aus Archivaufnahmen sowie aktuellen Impressionen wird die Geschichte der Insel Lesbos als Hotspot weiblich-hedonistischer Selbstverwirklichung erzählt. Als Anfang der 1970er-Jahre plötzlich Touristinnen aus aller Welt auftauchten, um sich hier auf die Spuren der antiken Poetin Sappho zu begeben, brachte dies die soziale, bislang stark patriarchalische Struktur nachhaltig durcheinander. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, Besucherinnen wie Einheimische arrangieren sich in einer Win-win-Situation.

Von Osten und vom Rande her: Gerd Kroskes dokumentarische Blicke

08.03.2024

13.03.2024

14.03.2024

gestern

13.03.2024

14.03.2024

Als schwule Ergänzung dazu kann die Rekonstruktion der Geschichte der „A.K.O.E.“-Gruppe und der Zeitschrift Amfi durch den Regisseur Iossif Vardakis gesehen werden. Sein Film „The Story of a Revolution“ beschreibt die immens wichtige Rolle, die beide Initiativen ab 1977 für die Sichtbarmachung der vom Mainstream abweichenden Sexualitäten innehatten. Wie schmerzhaft dieser Prozess war (und ist), zeigt die Ermordung des queeren Aktivisten Zak Kostopoulos am 21. September 2018 in Athen.

Das Regieduo Maria Louka und Myrto Patsalidou verweist in „Grief – Those who Remain“ auf diesen Fall, warnt anhand von zwei weiteren Mordanschlägen vor der in radikalen rechten Kreisen tief sitzenden Xenophobie. Auch die Morde an Pavlos Fyssas (2013) und Shahzad Luqman (2018) gehen auf das Konto der „Goldenen Morgenröte“. Die neofaschistische Partei wurde 2020 verboten. Nach Zak Kostopoulos hingegen soll demnächst eine Straße in Athen benannt werden. Hellas ist heute ein Land von oft gegenläufigen Bewegungen. Die Filme des Festivals spiegeln diese Gegenwart. Sie sind trotz Dauerkrise Ausdruck einer noch immer starken zivilgesellschaftlichen Substanz, die hoffen macht.

Griechisches Filmfestival Berlin. Kino Babylon, 20.–24. März, Informationen und Tickets unter www.babylonberlin.eu

QOSHE - Kino gegen die Dauerkrise: Einblicke in Gegenwart und Vergangenheit Griechenlands - Claus Löser
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Kino gegen die Dauerkrise: Einblicke in Gegenwart und Vergangenheit Griechenlands

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16.03.2024

Das zeitgenössische Kino Griechenlands ist jung und divers – und politisch in hohem Maße engagiert. Zum neunten Mal legt ein jährlich stattfindendes Festival von dieser Tendenz Zeugnis ab. Die insgesamt 30 Beiträge stellen eine Auswahl dar, die es in sich hat. Trotz politischer und wirtschaftlicher Dauerkrise gelingt es einer vitalen kreativen Szene, ihre Positionen in Filmen zu materialisieren und nachdrücklich zur Diskussion zu stellen. Tabus werden dabei keine gescheut, besonders im dokumentarischen Bereich nicht.

Mehrere Spielfilme wiederum bedienen sich eines dokumentarischen Rahmens. So nutzt „Animal“ von Sofia Exarchou ein Ferienresort in der Ägäis als Kulisse für ihre bittere Allegorie über Rollenverhalten und Ausbeutung. Eine Gruppe von........

© Berliner Zeitung


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