Als „Akt des Verrats“, bezeichnen die Söhne des vor zehn Jahren verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez, ihren Entschluss, seinen letzten Roman zu veröffentlichen.

Der Vater hatte, schreiben sie eingangs zu „Wir sehen uns im August“, um dieses Buch gerungen, dabei unter „seinen schwindenden geistigen Kräften“ gelitten. Er wollte, dass es vernichtet werde. Die Söhne stellten jedoch „über alle anderen Erwägungen die Freude seiner Leser“.

Sie haben recht dran getan. Im Sinne der Weltliteratur ist es manchmal weise, einen letzten Willen nicht zu befolgen. Das hat das Beispiel Kafka gezeigt. Wir Leser können dankbar sein für diesen späten Gruß des Verfassers von Meisterwerken wie „Hundert Jahre Einsamkeit“ oder „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“. Der schmale Roman ist viel stärker durchgearbeitet, als das Vorwort vermuten lässt – zumal der Lektor im Nachwort aufklärt, dass García Márquez einzelne Abschnitte in Zeitschriften veröffentlicht hatte.

Die Handlung lässt sich leicht zusammenfassen: Die Lehrerin Ana Magdalena Bach fährt an jedem 16. August zu einer Karibik-Insel, wo ihre Mutter begraben liegt. Ana begeht deren Todestag, indem sie einen Gladiolenstrauß am Grab niederlegt – und zunächst ungeplant, in den Folgejahren voller Erwartung, sich auf erotische Abenteuer einlässt.

Der Autor gab seiner Heldin nicht zufällig eine Variation des Namens der Ehefrau des Komponisten Johann Sebastian Bach. Der Roman steckt voller Musik. Anas Ehemann ist Dirigent und Direktor des örtlichen Konservatoriums, der Sohn spielt herausragend Cello, nur die Tochter, die zwar das perfekte Gehör hat, schlägt aus der Art, weil sie ein Leben im Kloster anstrebt. In den Kapiteln, die in chronologischer Folge jeweils einem 16. August gewidmet sind, bleibt das Ziel Anas gleich, variieren die Taxifahrten, Hotels und der Ablauf des Abends. Danach kehrt Ana immer zu ihrem Ehemann zurück, aber ihr Verhältnis hat sich etwas verschoben. Der Roman ist wie ein Rondo komponiert.

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Mag er in sich ein paar logische Brüche, ach was: Knicke haben, mag der Autor keine rechte erzählerische Lösung für den Umgang mit der Kloster-sehnsüchtigen Tochter gefunden haben, „Wir sehen uns im August“ ist viel mehr als ein Fragment. Es ist ein Buch über die Veränderung der Liebe in späteren Jahren, über die Lust einer Frau, die auf die Fünfzig zugeht. Nachdenklichkeit und Humor sind hier bestrickend austariert. Und Gabriel García Márquez wusste, wo er hin wollte mit seinem Buch: Der Schluss hält eine tolle Überraschung bereit.

Gabriel García Márquez: Wir sehen uns im August. Roman. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024. 144 Seiten, 23 Euro

QOSHE - „Wir sehen uns im August“: Das postum erschienene letzte Buch von Gabriel García Márquez - Cornelia Geißler
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„Wir sehen uns im August“: Das postum erschienene letzte Buch von Gabriel García Márquez

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09.03.2024

Als „Akt des Verrats“, bezeichnen die Söhne des vor zehn Jahren verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez, ihren Entschluss, seinen letzten Roman zu veröffentlichen.

Der Vater hatte, schreiben sie eingangs zu „Wir sehen uns im August“, um dieses Buch gerungen, dabei unter „seinen schwindenden geistigen Kräften“ gelitten. Er wollte, dass es vernichtet werde. Die Söhne stellten jedoch „über alle anderen Erwägungen die Freude seiner Leser“.

Sie haben recht dran getan. Im Sinne der Weltliteratur ist es manchmal weise, einen letzten Willen nicht zu befolgen. Das hat das Beispiel Kafka gezeigt. Wir Leser können dankbar sein für diesen späten Gruß des Verfassers von Meisterwerken wie........

© Berliner Zeitung


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