Andreas Dresen ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Filmregisseure. 1999 trat er zum ersten Mal im Wettbewerb der Berlinale an, mit „Nachtgestalten“. Vor zwei Jahren erhielt „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ zwei Silberne Bären: Laila Stieler wurde für das beste Drehbuch, Meltem Kaptan für die beste schauspielerische Leistung geehrt. Dresens neuester Film im Wettbewerb ist wieder ein politischer. Wir sprachen mit ihm über Hilde Coppi und ihre Bedeutung für heute.

Herr Dresen, schon mit dem Titel Ihres zur Berlinale eingeladenen Films bauen Sie ein Vertrauensverhältnis auf. Können Sie sich erinnern, wann Sie Hilde Coppi zum ersten Mal begegnet sind?

Vom Namen ist sie mir noch aus der DDR geläufig. Da waren Schulen und Straßen nach ihr und Hans Coppi benannt. Auch die „Rote Kapelle“ war mir ein Begriff. Ich fand es ziemlich überraschend, als ich erfuhr, dass das im Westen keineswegs so gewesen ist und die NS-Urteile gegen sie erst 2009 aufgehoben wurden. Wahnsinn! Allerdings wusste ich wenig über ihre konkrete Geschichte. Die ist durch die erste Drehbuchfassung von Laila Stieler zu mir gekommen.

Oft waren diese Menschen eher Symbole in der DDR, wie eine Art Platzhalter.

Sie wurden heroisiert, auf eine bestimmte Art auch entrückt. Für mich war das geradezu beängstigend, wie tapfer und entschlossen diese Menschen waren. Sie wussten im Gegensatz zu mir immer ganz genau, was richtig und was falsch ist.

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Ich bin in Karlshorst auf die Hans-Coppi-Schule gegangen und habe eine dünne, aber freundliche Erinnerung an Hans und Hilde Coppi und bin deshalb sehr gespannt auf den Film. Auch habe ich mal in dem Viertel gewohnt, wo es die Schulze-Boysen-, die Wilhelm-Guddorf- und die Coppistraße gibt.

Das ist in Lichtenberg, ja? Wir sind dort oft durchgefahren, weil wir da in der Nähe gedreht haben.

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•gestern

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Wollten Sie auch mit den Bildern aufräumen, mit denen Sie in der DDR aufgewachsen sind?

Ganz klar. Das Bild von Widerstandskämpfern in der DDR hatte ja einen politischen Zweck. Es war systemerhaltend. Denn wenn man sich selber so klein fühlt angesichts dieser historischen Größe, traut man sich gar nicht erst loszuziehen. Das könnte ich nie, sagt man sich. Aber als ich das Drehbuch von Laila gelesen habe und anfing, mich genauer mit Hilde und Hans zu beschäftigen, wurden sie zu wirklichen Menschen aus Fleisch und Blut: Die waren ja baden, die haben Eis gegessen wie ich auch! Die haben Sex gehabt, die haben sich geliebt, die haben sich gestritten, ganz normale junge Leute. Da waren sie plötzlich gar nicht mehr so weit weg von mir und uns. Das war für mich ein Hauptantrieb, den Film zu machen.

Sie haben bei den meisten Ihrer Filme mit Laila Stieler zusammengearbeitet. Auf dem Plakat steht zuerst sie als Drehbuchautorin, dann kommen Sie als Regisseur: Kam der Impuls diesmal von ihr?

Er kam tatsächlich von ihr, aber bei mir stehen schon seit Jahren die Drehbuchautoren auch im Abspann an erster Stelle, weil ich ihre Arbeit so wichtig finde. Leider erfahren sie zu wenig Wertschätzung. Laila hatte angefangen, eine mehrteilige Fernsehserie über Frauen im Widerstand zu entwickeln. Der Film über Hilde Coppi sollte das Pilotprojekt sein. Als sie das Drehbuch geschrieben hatte, fanden alle an der Produktion bis dahin Beteiligten, dass das doch eher ein Kinostoff wäre. So kam das Projekt zu mir. Und ich erhielt die Chance, diese berührende Figur kennenzulernen.

An „Gundermann“ haben Sie über einen sehr langen Zeitraum gemeinsam gearbeitet, mit „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, der vor zwei Jahren im Wettbewerb der Berlinale lief, hatten Sie sich von 2008 an beschäftigt und Laila Stieler irgendwann dazugeholt: Ging es diesmal schneller, weil das Drehbuch schon da war?

Es ging relativ geradlinig voran. Wir haben schon während „Rabiye Kurnaz“ daran gearbeitet, haben drei, vier Fassungen des Drehbuchs erstellt. Die Arbeit war bei weitem nicht so komplex und langwierig wie bei den beiden Filmen, die Sie genannt haben. Es hat sich recht schnell herausgestellt, wie wir diesen Stoff erzählen wollen. Was wir grundlegend verändert haben gegenüber der ersten Fassung, ist die Struktur des Filmes. Er war ursprünglich chronologisch erzählt. Jetzt springt er in den Zeitebenen und schließt sich am Ende wie eine Ellipse. Das schien uns für die Geschichte gut und richtig. Sonst erschlägt sie einen in ihrer grundsätzlichen Härte. Außerdem darf man im Kino auf die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuschauer hoffen und auch auf die Lust, komplexeren Erzählstrukturen zu folgen.

Der Rückblick ist nicht chronologisch?

Die Rückblenden laufen rückwärts. Der Film fängt mit der Verhaftung an und begleitet Hilde vorwärts durch die Zeit im Gefängnis bis zur Hinrichtung, auf der anderen Ebene, in der Rückblende, führt er zurück bis zum Kennenlernen von Hilde und Hans. Am Ende tanzen sie zum ersten Mal miteinander.

Wenn man einen Film zu einem historischen Thema macht, eine Lebensgeschichte erzählt, muss man sich für eine Perspektive entscheiden, man muss auswählen, welches Bild man vermitteln möchte. Wie haben Sie das diskutiert?

Wir haben uns zum Beispiel noch einmal gemeinsam den Film „Menschen am Sonntag“ angeschaut, von Robert Siodmak. Er erzählt in wunderbarer Alltäglichkeit von jungen Frauen und Männern in Berlin, von ihrem Zusammensein, ihrer Freizeit. Er spielt zehn Jahre früher, wirkt ganz gegenwärtig, frisch und jung, das hat mir gut gefallen. Unser Film erzählt auch über solche Menschen aus Berlin. Ins Zentrum stellen wir aber, dass sie versuchten, in einer schwierigen Zeit Anstand zu bewahren. Dabei werden sie vielleicht sogar ein bisschen unfreiwillig zu Helden: Weil sie etwas Besonderes machen, das nicht selbstverständlich ist, während die Zeit durchaus zu anderem verführt hat – mindestens zum Opportunismus, wie bei den meisten Menschen. Wir haben ganz viel vorher diskutiert, auch dass kein einziges Mal die Bezeichnung „Rote Kapelle“ auftauchen sollte.

Weil die Gruppe sich nicht selbst so nannte?

Ja, das ist ein Sammelbegriff, den die Nazis geprägt haben, die Gestapo. Wenn man zu dem Film mehr erfahren will, wird man auf den Begriff sofort stoßen, klar. Aber unsere Arbeit ist kein historischer Diskurs.

Was man aus der Forschung über die Leute um Hilde und Hans Coppi weiß, zeigt sehr deutlich, was in der Hitler-Diktatur passieren konnte, wenn man sich gegen Opportunismus entschied. Es ist der gravierende Unterschied zur Demokratie. Im Grunde waren es kleine Dinge, für die diese Menschen bestraft wurden.

Mit der Todesstrafe. Liane Berkowitz hat nur einmal Flugblätter geklebt, die Aktion ist im Film zu sehen. Dafür ist sie zum Tode verurteilt worden, mit 19 Jahren. Es ist unvorstellbar. Hilde Coppi hat ein Gnadengesuch gestellt, als Mutter eines Säuglings; Hitler persönlich unterschrieb die Ablehnung – ein kaum fassbarer Vorgang. Diese Menschen sind ihrem Herzen gefolgt, ohne immer die Konsequenzen zu kalkulieren. Sie sagten sich: Das ist jetzt für mich politisch richtig, deshalb tue ich es. Auch wenn sie vielleicht Angst hatten. Hilde hatte ja Angst, das hat sie auch oft betont, sie ist nicht cool. Diese Form von innerem Anstand finde ich sehr schön, weil sie die Widerstandskämpfer nicht in ein glorreiches Licht setzt, sondern zu Gefährten macht. Es war nicht die erhobene Faust, es waren auch Mitgefühl und Empathie. Hilde hätte sich selber nie als Widerstandskämpferin bezeichnet.

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Sie sagten, die Namen der Coppis waren Ihnen aus der DDR noch ein Begriff, anders als für viele Westler. Hatten Sie nie die Sorge, für die Filmhandlung zu viel vorauszusetzen?

Wir haben das politisch Informative ganz bewusst zurückgenommen, weil wir nicht wollten, dass der Film in so eine historische Zeitdarstellung entgleitet. Wir wollten zeigen, dass sich Menschen auf unterschiedliche Art und Weise wehren gegen ein System, das offensichtlich unmenschlich ist, ohne uns in historischen Details zu verheddern. Auch hier gilt, wie für den Begriff „Rote Kapelle“: Wer mehr wissen will, fängt an zu googeln und es wird sich ihm ein Universum auftun. Wir haben den Stoff entschlackt, weil uns andere Dinge wichtiger waren, zum Beispiel eine große Liebesszene. Warum gibt es in Filmen über Widerstandskämpfer eigentlich keine Sexszenen?

Fragen Sie jetzt mich?

Wir haben uns diese Frage tatsächlich gestellt. Vermutlich, weil die immer und ständig für ihre Aufgabe da sein sollten. Aber natürlich hatten sie auch Sex, es waren ja sehr junge Menschen. Und bei der Gruppe um Harro Schulze-Boysen ging es für die Zeit erstaunlich offen und freizügig zu. Hilde und Hans haben ja schließlich auch ein Kind bekommen. Wenn es eine Liebesgeschichte ist, fanden wir es wichtig, das zu erzählen. Und nebenbei haben sie morsen gelernt. Weil sie der Meinung waren, sie müssen der Sowjetunion übermitteln, welche Bewegungen im deutschen Heer geplant sind. Das kam über Harro, immerhin Offizier im Reichsluftfahrtministerium – diese Basisinformationen geben wir, aber wir sind nicht ins Detail hineinmarschiert.

Gehört zu diesem Darstellungsprinzip auch die Ausstattung? Der Film über Stella Goldschlag, der kürzlich in den Kinos startete, wurde sehr für die reproduzierte Nazi-Ästhetik kritisiert. Gibt es bei Ihnen Hakenkreuz-Fahnen und Aufmärsche?

Nein. Wir wollten nicht in die Sepiafilm-Falle tappen. Alles, was die Geschichte entrückt in eine Historie, die längst vorbei ist und ihrer Aktualität beraubt, das wollten wir nicht. Man hätte die Straßenszenen durchaus auch in der Gegenwart spielen lassen können, eine solche Verfremdung schien uns für unsere Erzählung dann aber doch zu artifiziell. Wir haben versucht, es auf eine poetische menschliche Ebene zu bringen, wo das Dritte Reich als Folie mitläuft. Man sieht natürlich die Uniformen, die historischen Fakten sind alle richtig, aber wir betonen sie nicht. Ich wollte keine grölenden Nazihorden zeigen. Unter den Leuten, mit denen Hilde im Gefängnis zu tun hat, gab es durchaus Freundlichkeit. Trotzdem wurde sie am Ende hingerichtet. Man muss nicht brüllen, damit ein System so schrecklich funktioniert. Opportunismus passiert ja viel einfacher. Wollen Sie ein Leberwurstbrot?, fragt der eine Vernehmer. Er trägt ihr auch den Koffer. Selbst der Richter tritt Hilde gegenüber nicht wie Freisler auf, sondern eher ruhig, baut ihr noch eine Brücke: Warum haben Sie die illegale Tätigkeit ihres Mannes unterstützt und nicht angezeigt? Das ist aus dem Originalprotokoll, dass Hilde dann gesagt hat: Weil ich meinen Mann liebe. Der Satz hat Laila und mich sehr berührt.

Wer hat Liv Lisa Fries für die Rolle entdeckt?

Liv war tatsächlich meine erste Idee für die Besetzung, ich habe aber aus Gründen der Vergewisserung trotzdem noch umfangreiche Probeaufnahmen absolviert. Liv selbst hat sich zunächst gar nicht in der Hilde-Figur gesehen, sie macht ja nach außen hin eher einen burschikosen Eindruck. Bisschen frech und forsch. Berliner Schnauze, so wie sie ja auch in „Babylon Berlin“ meist agiert. Mein Eindruck aber war, man kann ihr durch die Augen in die Seele schauen. Das passte für den Film perfekt. Liv ist einfach großartig in dem, was sie da tut! Oftmals hat sie mich überrascht mit ihrer Hingabe und Schonungslosigkeit, Dünnhäutigkeit, ihrer unkonventionellen Betrachtungsweise von emotionalen Vorgängen. Wenn sie beispielsweise als Hilde weint, gibt sie sich diesem Gefühl nie vollständig hin, sondern kämpft dagegen an, sie will nicht schwach sein und es anderen auch nicht zeigen. Hinzu kommen Livs Humor, ihre Nahbarkeit und Lebensklugheit, ihre Burschikosität und gleichzeitig Fragilität. Ich kann es mir als Regisseur leisten, manchmal minutenlang in Nahaufnahme bei ihr zu bleiben. Man kann so vieles in ihrem Gesicht entdecken! Sie ist eine hinreißend gute Schauspielerin und noch dazu ein toller Mensch.

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Heute bewegen wir uns oft in sogenannten Blasen, umgeben uns mit Menschen, die ähnlich denken und ähnliche Erfahrungen haben. Von der sogenannten „Roten Kapelle“ ist bekannt, dass die Menschen aus den verschiedensten Berufen und gesellschaftlichen Schichten kamen. Ich finde, das fehlt heute: Eine Verbindung quer durch die Gesellschaft zur Verteidigung der Demokratie.

Es gibt Beispiele des bürgerlichen Widerstands mit Stauffenberg und der Weißen Rose, es gab Arbeiterproteste. Ich finde sehr bemerkenswert, dass man bei der „Roten Kapelle“ eine Diagonale durch die Gesellschaft ziehen kann. Da waren alle dabei: jüdische Menschen, Wissenschaftler, Künstler, Hausfrauen, Adlige, Schüler, Arbeiter wie Hilde und Hans, der Offizier Schulze-Boysen, der Ökonom Arvid Harnack. Das finde ich wirklich großartig und sehr ermutigend, diesen Zusammenschluss.

Die Demokratie ist heute in vielen Ländern bedroht, nicht nur in den USA, auch in einigen europäischen Ländern. Wenn man an den Widerstand gegen die Nazis erinnert, zeigt man auch, dass die Demokratie es wert ist, um sie zu kämpfen. Ist es aber für einen Filmemacher nicht auch schwierig, eine Botschaft zu haben?

Billy Wilder hat mal gesagt, wenn ich eine Botschaft hätte, wäre ich Briefträger geworden. Jeder, der sich solch eine Geschichte anschaut, wird etwas anderes daraus ziehen. Ein Film kann bei unterschiedlichen Menschen auf unterschiedliche Resonanzböden fallen. Man muss also genügend Angebote unterbreiten, zugleich darf es nicht so schwammig sein, dass man alles damit machen kann. Es ist ein Nachdenken darüber, was ein einzelner Mensch in der Gesellschaft leisten kann. Wie komme ich durch eine schwierige Zeit – was ist für mich der innere Kompass? Hilde hat eine wunderbare Intuition für richtig und falsch, sie folgt ihrem Herzen. Sie agitiert nicht groß, sie tut es einfach.

Kann man diese Form des Anstands zu jeder Zeit gebrauchen?

Wir leben in einer sehr zerrissenen Welt, man muss sich zu allen möglichen Dingen verhalten. Übernehme ich eine Mainstream-Meinung, stimme ich damit überein? Das kann schon im Freundeskreis zu großen Konflikten führen. Wie finde ich eine Orientierung? Das kann man von einem Menschen wie Hilde wunderbar lernen. Die Leute aus dem Osten haben ja schon mal ein System zusammenkrachen sehen. Bei ehrlicher Erinnerung merkt man dann schnell, wo man vielleicht opportunistisch war oder vielleicht doch mutig. In diesem Balancieren am Abgrund lernt man sich kennen. Wir wissen nicht, in was für Zeiten wir gerade reinstolpern, wir können nicht in die Zukunft blicken. Aber es ist wichtig, über den eigenen Kompass nachzudenken und dann auch Haltung zu zeigen.

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Waren Sie jetzt auf der Straße zum Demonstrieren?

Noch nicht. Ich finde es aber gut, wenn die Leute losgehen. Es ist ja auch eine Selbstvergewisserung. Ich habe das Privileg, mich durch meine künstlerische Arbeit sehr differenziert öffentlich ausdrücken zu dürfen, durchaus auch politisch. Wenn das nicht reichen sollte, gehe ich auch los. Die schärfste Demo, die ich mal mitgemacht habe, war im November 1989 in Leipzig. Da haben wir mit dreißig Filmstudenten gegen die zu schnelle Wiedervereinigung demonstriert und uns kamen Hunderttausende entgegen, die ein Volk sein wollten. „Kooft euch doch ne Insel!“, war noch das Netteste, das wir zu hören bekamen. Wir können froh sein, dass uns da niemand verprügelt hat.

Wie finden Sie es, dass die Berlinale-Leitung die fünf Berliner AfD-Politiker nach der ersten Einladung wieder ausgeladen hat?

Ich persönlich freue mich über jeden Politiker aus jeder Partei, der sich unseren Film anschaut. Und manche aus bestimmten Parteien können da vielleicht ein bisschen was lernen. Ich war elf Jahre Brandenburger Verfassungsrichter, es gibt einen Anspruch auf Gleichbehandlung in der Demokratie, und das ist ein hoher Wert. Der bedeutet unter anderem, dass in einem Parlament die gewählten Parteien alle die gleichen Rechte und Pflichten haben. Ob einem das nun gefällt oder nicht. Wir haben uns diese Verfassung, das Grundgesetz, gegeben, damit es bestimmte eherne Werte gibt, für die wir alle stehen. Ich glaube nicht, dass man gesellschaftliche Auseinandersetzungen über Ausladungen lösen kann. Das verschärft aus meiner Sicht eher das Problem.

Haben Sie Angst vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Ihrem Bundesland Brandenburg?

Ja, da habe ich Angst, ganz klar. Und das geht sicher vielen Menschen so. Ich möchte nicht erleben, dass bestimmte politische Kräfte beispielsweise in Brandenburg die Oberhand gewinnen, wo ich lebe. Wir müssen den politischen Diskurs pflegen und lernen, auf respektvolle Art miteinander zu diskutieren. Meinungsstreit ist der Kern von Demokratie, dann wird am Ende abgestimmt. Ausgrenzung führt nur zu Schlagzeilen, die es der AfD wieder leichter machen, sich als Opfer zu gerieren. Nun ist die Berlinale kein Verfassungsorgan, sie kann verfahren, wie sie will. Aber wir können ja auch nicht am Einlass des Eröffnungsabends eine Gesinnungskontrolle machen. Woher weiß ich, wer von den 1800 Gästen welche politische Haltung hat? Selbst, wenn sie keine AfD-Mitglieder sind.

Es können auch Reichsbürger darunter sein!

Nichts ist ausgeschlossen. Die Berlinale ist ein Fest des Films, in gewisser Weise ein Fest der Völkerverständigung, wo es aber trotzdem durchaus kontrovers zugehen darf. Wir müssen darauf achten, dass die Räume, in denen wir die Kunst präsentieren, Räume sind, wo Gedankenfreiheit herrscht, wo wir miteinander wirklich kommunizieren können auf eine lebendige Art, ohne Ängste. Wenn wir alle einer Meinung wären, bräuchten wir keine Demokratie. Die Demokratie ist doch die Idee, einen Ausgleich zu finden zwischen unterschiedlichen Meinungen, Ideen und Positionen. Das ist doch auch das Spannende.

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Andreas Dresen: „Warum gibt es in Filmen über Widerstandskämpfer keine Sexszenen?“

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18.02.2024

Andreas Dresen ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Filmregisseure. 1999 trat er zum ersten Mal im Wettbewerb der Berlinale an, mit „Nachtgestalten“. Vor zwei Jahren erhielt „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ zwei Silberne Bären: Laila Stieler wurde für das beste Drehbuch, Meltem Kaptan für die beste schauspielerische Leistung geehrt. Dresens neuester Film im Wettbewerb ist wieder ein politischer. Wir sprachen mit ihm über Hilde Coppi und ihre Bedeutung für heute.

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Sie haben bei den meisten Ihrer Filme mit Laila Stieler zusammengearbeitet. Auf dem Plakat steht zuerst sie als Drehbuchautorin, dann kommen Sie als Regisseur: Kam der Impuls diesmal von ihr?

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An „Gundermann“ haben Sie über einen sehr langen Zeitraum gemeinsam gearbeitet, mit „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, der vor zwei Jahren im Wettbewerb der Berlinale lief, hatten Sie sich von 2008 an beschäftigt und Laila Stieler irgendwann dazugeholt: Ging es diesmal schneller, weil das Drehbuch schon da war?

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© Berliner Zeitung


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