Der Schriftsteller Stefan Heym, 2001 im Alter von 88 Jahren gestorben, war eine Jahrhundertgestalt; brutale politische Ereignisse und Bewegungen prägten sein Leben. In seiner Literatur griff er so vieles davon auf, manchmal als Chronist wie in „Kreuzfahrer von heute“ oder „5 Tage im Juni“, oft als Erfinder von Geschichten vor dem Hintergrund der Zeitläufte. Jetzt gibt es eine Graphic Novel, man kann auch sagen: eine Comic-Biografie, die versucht, all das in Bild und Text zu fassen: „Die sieben Leben des Stefan Heym“.

Die drei Urheber Gerald Richter (Text), Marian Kretschmer (Illustration) und Andreas Wolke (Buchgrafik und Karten) wählen zwar eine lineare Erzählung, für die sie sogar einen Zeitstrahl an die oberen Seitenkanten des knapp DIN-A4-großen Buches legen. Aber sie gestatten sich ausführliche Ausflüge in einige Romane des Autors. Die jeweilige Handlung wird dabei auf Konfliktlinien reduziert dargestellt, das ist zwangsläufig grob vereinfacht, dennoch ermöglicht es einen Einblick, wie unterschiedlich Heyms Herangehensweise war. Entsprechend verschieden ist die Bildsprache hier.

Sind die Figuren der „Kreuzfahrer von heute“ (1948 auf Englisch, 1950 auf Deutsch erstmals erschienen) mit Feder skizzierte amerikanische Soldaten auf dem schlammfarbenen deutschen Ankunftsort zum Ende des Zweiten Weltkriegs, benutzt der Zeichner für den 1966 fertiggestellten DDR-Aufbau-Roman „Die Architekten“, der erst im Jahr 2000 erscheinen konnte, Millimeterpapier als Hintergrund und charakterisiert die Figuren filigran mit spitzem Bleistift. Und der historische, als Gleichnis über Macht zu lesende Roman „Der König David Bericht“, 1972 erschienen, ist hier wie ein Puppenspiel in Rot und Schwarz mit ausgeschnittenen Figurinen inszeniert.

Anders als der Titel vermuten lässt, ist die Darstellung in neun Kapitel unterteilt, von der Kindheit in Chemnitz bis zu seinen letzten Jahren im vereinten Deutschland. Das Schlusskapitel beginnt mit einem der berühmtesten öffentlichen Auftritte Stefan Heyms, seiner Rede auf der Protestkundgebung am 4. November 1989 in Ost-Berlin. „Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu lernen“, sagte er da. Er redete über die Menschen, die Widerstand gegen die vergreiste DDR-Regierung leisteten, über jene, die er vor sich auf dem Alexanderplatz sah. Sprachlos war er selber nie, diese Haltung bestimmte sein Leben, sie lässt sich hier wiederfinden.

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06.04.2024

07.04.2024

07.04.2024

gestern

„Wir exportieren! Wir exportieren!
Wir machen Export in Offizieren!
Wir machen Export! Wir machen Export!
Das Kriegsspiel ist ein gesunder Sport!“

Das Buch zeichnet nach, wie der junge Helmut Flieg – so hieß er bei Geburt – in der Schule aneckt, wie er in Streit mit dem Vater gerät (der selbst als jüdischer Geschäftsmann unter zunehmenden Anfeindungen leidet, depressiv wird), wie er noch als Schüler sein erstes Gedicht veröffentlicht, in der Chemnitzer Volksstimme. Satirisch greift er damit eine Meldung vom „Export“ deutscher Offiziere nach China auf. „Wir lehren Mord! Wir speien Mord!/ Wir haben in Mördern großen Export!“, heißt es darin. Das Gedicht ist komplett abgedruckt im Buch und mit chinesisch scheinenden Rüstungsarbeitern und Soldaten illustriert. Auf den folgenden Seiten sind die Reaktionen auf das Gedicht zu sehen: Der junge Mann soll vom Gymnasium verwiesen werden, wird in Sprechblasen aus verschiedenen Mündern angegriffen, dann auch geschubst und gestoßen, bis der Familienrat beschließt, dass er Chemnitz verlassen und sein Abitur in Berlin machen muss, wo er bei Verwandten wohnen kann.

Nach vielen realistisch gezeichneten Bildern zeigt nun eine ganze Seite den jungen Mann am Schreibtisch surreal inmitten eines wilden Gewässers, durch das Bücher, Papierblätter und Möbelstücke wirbeln. „Er wurde durch die Hand des Schicksals in einen Strudel hineinkatapultiert“, steht dazu im Erklärtext, „der noch vieles mit sich reißen mochte, und er würde nun versuchen müssen zu schwimmen, so gut er konnte.“ Das Schicksal? Es war wohl eher der Wunsch, das in Sprache zu bringen, was ihn umtreibt. Und so sollte es bleiben, als er vor den Nazis nach Prag flieht und den Namen Stefan Heym annimmt, auch, als er 1935 mit einem Studentenvisum in die USA zieht und bleibt. Die wirbelnden Blätter werden als Gestaltungselement noch oft auftauchen.

Wer Stefan Heyms Bücher, vor allem seine Autobiografie „Der Nachruf“, gelesen hat, kann mit diesem Buch nun eine zusätzliche Dimension erhalten, stößt auch auf bisher übersehene Details. Den Kenner wird manche Vereinfachung, manch großzügiger Schnitt erschrecken. So ist der eingangs erwähnte Redemoment vom 4. November undatiert in die Periode nach der Öffnung der Berliner Mauer am 9. November gesetzt. So ist ein Bild Stalins, in der Zeitleiste mit „Moskau 1953“ markiert, vor eine Schar von Ost-Ampelmännchen moniert, obwohl die erst 1961 entworfen wurden und es nicht bis nach Moskau schafften.

„Die sieben Leben des Stefan Heym“ richtet sich offensichtlich vor allem an Menschen, denen dieser Autor nicht vertraut ist, und es lässt sich als demokratisches Unterfangen erkennen: Heym ist ein beispielhafter Anhänger gerechter Verhältnisse und Streiter dafür. Die zeichnerische Darstellung der Hauptfigur überzeugt nicht durchweg, auch manche Bild-Text-Zuordnung verwirrt. Dennoch hat das Projekt im Ganzen viel Sympathie verdient.

Stefan Heyms Roman „Flammender Frieden“ erstmals auf Deutsch

15.11.2021

Sieben Leben sollen Katzen haben, womit ihre Zähigkeit beschrieben wird. Heym kommt aus einer jüdischen Familie und ist den Nazis entwischt, er hat in den USA zum Schreiben gefunden – zunächst auf Englisch – und als Soldat im Sondereinsatz den Zweiten Weltkrieg überstanden. Er blieb autark im Stalinismus, protestierte mit Volker Braun, Heiner Müller und anderen gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR, wurde zwar aus dem Schriftstellerverband geworfen, von der Staatssicherheit rundum beobachtet, aber ließ sich nicht zum Aufgeben, zur Ausreise zwingen.

Als die DDR unterging, setzte er sich „Für unser Land“ mit Gleichgesinnten wie Christa Wolf für einen dritten Weg ein, für ein wirklich demokratisches Ostdeutschland. Als Alterspräsident des Deutschen Bundestags warnte er am 10. November 1994 die Parteien vor Machtmissbrauch und fragte: „Wie lange wird der Globus noch, der einzige, den wir haben, sich die Art gefallen lassen, wie diese Menschheit ihre tausenderlei Güter produziert und konsumiert?“

Wie lange noch? Viele der Fragen, die Stefan Heym im 20. Jahrhundert umtrieben, die ihn fast das Leben kosteten, sind heute weiterhin aktuell, einige haben an Brisanz gewonnen. Das weist dieses Buch eindrucksvoll nach.

Gerald Richter, Marian Kretschmer: Die sieben Leben des Stefan Heym. C. Bertelsmann, München 2024. 288 Seiten, 30 Euro

QOSHE - Das Leben des Schriftstellers Stefan Heym in Bildern: Niemals sprachlos - Cornelia Geißler
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Das Leben des Schriftstellers Stefan Heym in Bildern: Niemals sprachlos

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09.04.2024

Der Schriftsteller Stefan Heym, 2001 im Alter von 88 Jahren gestorben, war eine Jahrhundertgestalt; brutale politische Ereignisse und Bewegungen prägten sein Leben. In seiner Literatur griff er so vieles davon auf, manchmal als Chronist wie in „Kreuzfahrer von heute“ oder „5 Tage im Juni“, oft als Erfinder von Geschichten vor dem Hintergrund der Zeitläufte. Jetzt gibt es eine Graphic Novel, man kann auch sagen: eine Comic-Biografie, die versucht, all das in Bild und Text zu fassen: „Die sieben Leben des Stefan Heym“.

Die drei Urheber Gerald Richter (Text), Marian Kretschmer (Illustration) und Andreas Wolke (Buchgrafik und Karten) wählen zwar eine lineare Erzählung, für die sie sogar einen Zeitstrahl an die oberen Seitenkanten des knapp DIN-A4-großen Buches legen. Aber sie gestatten sich ausführliche Ausflüge in einige Romane des Autors. Die jeweilige Handlung wird dabei auf Konfliktlinien reduziert dargestellt, das ist zwangsläufig grob vereinfacht, dennoch ermöglicht es einen Einblick, wie unterschiedlich Heyms Herangehensweise war. Entsprechend verschieden ist die Bildsprache hier.

Sind die Figuren der „Kreuzfahrer von heute“ (1948 auf Englisch, 1950 auf Deutsch erstmals erschienen) mit Feder skizzierte amerikanische Soldaten auf dem schlammfarbenen deutschen Ankunftsort zum Ende des Zweiten Weltkriegs, benutzt der Zeichner für den 1966 fertiggestellten DDR-Aufbau-Roman „Die Architekten“, der erst im Jahr 2000 erscheinen konnte, Millimeterpapier als Hintergrund und charakterisiert die Figuren filigran mit spitzem Bleistift. Und der historische, als Gleichnis über Macht zu lesende Roman „Der König David Bericht“, 1972 erschienen, ist hier wie ein Puppenspiel in Rot und Schwarz mit ausgeschnittenen........

© Berliner Zeitung


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