Die Leipziger Buchmesse war fast schon tot. In diesem Jahr ist sie Chefsache. Sie findet ab Mittwoch erstmals seit 2019 wieder zu ihrem üblichen Zeitpunkt im März statt, in einer Phase, da die Verlage mit ihren Frühjahrsbüchern auf den Markt drängen und hoffen, dass ihnen Ostern ein erstes Verkaufshoch beschert. Dreimal war sie ausgefallen: 2020 und 2021 in akuter Pandemie-Not, 2022 dann hatten sich – Corona war noch nicht ganz überwunden – die großen Verlagskonzerne zurückgezogen, sodass sich der Messebetrieb für die Veranstalter nur mit den kleineren und mittleren unabhängigen Verlagen nicht gelohnt hätte.

Das war ein schlimmes Signal. Ein dreimal abgesagtes Ereignis ist so gut wie vergessen, unnötig. Doch 2023 fand die Buchmesse wieder statt, vorsorglich auf die ansteckungsärmere Zeit Ende April verlegt, auch wenn der Buchhandel murrte. Das Echo war gewaltig: Aussteller- und Besucherzahlen erreichten fast das Vor-Corona-Niveau, Lobreden erklangen allenthalben. Der Schwung dieser Tage gebe Rückenwind für alles Kommende, sagte damals der Direktor der Buchmesse, Oliver Zille, der Mann, der beharrlich das Profil des Bücherfrühlings im Osten in Abgrenzung zur Frankfurter Buchmesse im Westen geschärft hatte.

Die Corona-Pause hatte an die Neunzigerjahre denken lassen, als Leipzig in der Branche umstritten war, als die Verlage aus den alten Bundesländern fragten, ob es nötig sei, zweimal im Jahr teure Stände zu mieten. Dass Zille im Juni 2023 seinen Abschied bekannt gab, ohne die Gründe öffentlich auszuformulieren, ließ befürchten, dass seine Vorstellung von der Buchmesse doch mehr Gegen- als Rückenwind hatte. Zwischen all den Strömungen steht nun erst seit Januar Astrid Böhmisch als neue Buchmesse-Direktorin, als neue fachliche Chefin.

In diesem Jahr ist Leipzig aber eben auch politische Chefsache. Bundeskanzler Olaf Scholz wird am Mittwochabend die Eröffnungsrede im Gewandhaus halten, und weil das Schwerpunktprogramm der niederländisch-flämischen Literatur gilt, werden auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und der Ministerpräsident von Flandern, Jan Jambon, nach Leipzig kommen.

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17.03.2024

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Tags darauf, wenn der eigentliche Betrieb in den Hallen begonnen hat, wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sich durch das Gewimmel führen lassen und einzelne Stände besuchen. Am Abend hält er ebenfalls eine Rede, es soll um 75 Jahre Grundgesetz, 35 Jahre Friedliche Revolution und die Identität der Bundesrepublik gehen. Diese Themensetzung lässt verstehen, warum der Berliner Politik der sächsische Standort diesmal recht interessant erscheint. Von Leipzig ausgehend hat sich Deutschland in den Jahren 1989/90 verändert. In Sachsen wird, wie auch in Thüringen und Brandenburg, im September ein neuer Landtag gewählt – auf die Umfragewerte in diesen Bundesländern wird seit Monaten sorgenvoll geschaut.

Die Leipziger Buchmesse mag angesichts der vielen Schulklassen unter den Besuchern und der verkleideten Mangafreunde manchen wie ein reiner Spaß erscheinen, doch ist sie zugleich ein Treffpunkt der politischen Ideen und Debatten. Wichtige Preise werden hier verliehen und öffentliche Diskussionen geführt: Dort, wo es um Bücher geht, geht es um Inhalte und damit um Meinungsfreiheit. Die Kriege, der Klimawandel, Identitätsfragen – was die Gesellschaft umtreibt, spiegelt sich in Sachbüchern, Romanen und Comics wider. Die Auseinandersetzung mit Literatur öffnet die Chance, Überlegungen zu Ende zu denken, die Rollen zu wechseln und sich eine Zukunft vorzustellen. Dafür bietet die Frühjahrs-Buchmesse, die mit dem Programm „Leipzig liest“ in allen großen Sälen der Stadt sowie in vielen Clubs und Cafés präsent ist, besonders viele Anregungen.

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Die Branche selbst ist unter Druck: Die Zahl der Buchkäufer geht weiterhin zurück: Rund 25,8 Millionen Menschen erwarben im Jahr 2022 Bücher – etwa 1,4 Millionen weniger als im Vorjahr. Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz wirft Probleme hinsichtlich des geistigen Eigentums und der Kreativität auf, von denen die meisten heute noch kaum definiert sind. Beschaffungsengpässe, immens steigende Herstellungs- und Energiekosten und die Inflation haben viele kleine Verlage ins Schlingern gebracht. Sogar beim Konzern Random House fallen Arbeitsplätze weg.

So wird nicht nur die neue Direktorin der Leipziger Buchmesse den Besuch der Spitzen der Berliner Politik als Wertschätzung des Standorts begrüßen, auch die Interessenvertreter der Branche werden Hoffnungen daran knüpfen. Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es: „Wir prüfen mit den Ländern eine Förderung unabhängiger Verlage, um die kulturelle Vielfalt auf dem Buchmarkt zu sichern.“ Wenn Leipzig nun mal Chefsache ist, könnte die Gelegenheit kaum günstiger sein, an diesen Satz zu erinnern.

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QOSHE - Die Leipziger Buchmesse ist in diesem Jahr Chefsache - Cornelia Geißler
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Die Leipziger Buchmesse ist in diesem Jahr Chefsache

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19.03.2024

Die Leipziger Buchmesse war fast schon tot. In diesem Jahr ist sie Chefsache. Sie findet ab Mittwoch erstmals seit 2019 wieder zu ihrem üblichen Zeitpunkt im März statt, in einer Phase, da die Verlage mit ihren Frühjahrsbüchern auf den Markt drängen und hoffen, dass ihnen Ostern ein erstes Verkaufshoch beschert. Dreimal war sie ausgefallen: 2020 und 2021 in akuter Pandemie-Not, 2022 dann hatten sich – Corona war noch nicht ganz überwunden – die großen Verlagskonzerne zurückgezogen, sodass sich der Messebetrieb für die Veranstalter nur mit den kleineren und mittleren unabhängigen Verlagen nicht gelohnt hätte.

Das war ein schlimmes Signal. Ein dreimal abgesagtes Ereignis ist so gut wie vergessen, unnötig. Doch 2023 fand die Buchmesse wieder statt, vorsorglich auf die ansteckungsärmere Zeit Ende April verlegt, auch wenn der Buchhandel murrte. Das Echo war gewaltig: Aussteller- und Besucherzahlen erreichten fast das Vor-Corona-Niveau, Lobreden erklangen allenthalben. Der Schwung dieser Tage gebe Rückenwind für alles Kommende, sagte damals der Direktor der Buchmesse, Oliver Zille, der Mann, der beharrlich das Profil des Bücherfrühlings im Osten in Abgrenzung zur Frankfurter Buchmesse im Westen geschärft hatte.

Die Corona-Pause hatte an die Neunzigerjahre denken lassen, als Leipzig in........

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