Wenn Hundebesitzer mit ihren Gefährten reden, benutzen sie ein seltsames Vokabular. Sie machen sich als Frauchen selber klein und die Hunde als Purzel und Schnurzel erst recht. Wenn sie über ihre Tiere reden, brauchen Außenstehende manchmal eine Wortliste. Unter einem Streuner oder Racker kann man sich etwas vorstellen. Schon mit der „Fellnase“ wird es schwierig, weil Nasen die einzige fellfreie Hundekörperoberfläche sind. Befremdlich wirkt die Bezeichnung Staubsauger: Wer vergleicht sein Tier mit einem Haushaltsgerät?

In der Regel benutzen Leute den Begriff für Hunde, die überall Essbares aufspüren und verschlingen. Berliner Parks und Gehwege, längst nicht nur vor Straßencafés, warten da mit einem reichen Angebot von Pizzastücken und Dönerresten, Joghurt- und Ayranbechern, belegten Brötchen, Instant-Nudelgerichten und Hühnerbeinen auf. Nicht alles ist der Gesundheit zuträglich. Aus Erfahrung klug, lassen manche Leute ihre Hunde mit Maulkorb herumlaufen. Andere schreien „Pfui!“ oder „Aus!“ und sind zuweilen gezwungen, die Tierärztin aufzusuchen, um die Folgen behandeln zu lassen.

Hunde sind wie Menschen nicht nur sozial determinierte Wesen, viele ihrer Handlungen sind genetisch bestimmt. An der Universität Cambridge wurde in einer Studie bereits im Jahr 2016 das Verfressenheits-Gen identifiziert, eine Mutation, die besonders oft Labradore und Flat Coated Retriever betrifft. Wer sich ein bisschen mit Hunden auskennt, weiß aus dem Alltag, dass die süßen familienfreundlichen Labradore besonders häufig von ihren Besitzern mit dem Staubsauger-Wort belegt werden – und dass sie mit zunehmenden Alter pummelig und schwerfällig werden.

Ich als Mensch finde eine genetische Erklärung auch für mich persönlich sehr hilfreich, ob sie nun die Müdigkeit am Morgen, die Neigung zum Zuspätkommen oder eben auch die Leidenschaft für bestimmte Speisen betrifft. Als Hundebesitzerin bin ich umso dankbarer, weil sie mich vor dem Urteil schützt, in der Erziehung versagt zu haben. Die 2016er-Studie wurde vor wenigen Tagen um neue Ergebnisse erweitert: Marie Dittmann von der University of Cambridge hat 87 Labradore und Flat Coated Retriever zunächst fressen lassen, so viel sie wollten. Drei Stunden später präsentierte sie ihnen einen besonderen Leckerbissen – eine Wurst – in einer verschlossenen, aber durchsichtigen Box. Ein Teil der Hunde gab nach einer Weile die Hoffnung auf, das Futter zu erlangen. Die Sättigung hielt bei ihnen noch an. Andere Hunde versuchten längere Zeit hartnäckig, die Box zu öffnen. Das waren, so die Forscherin, jene Hunde mit der POMC-Mutation. Der Gendefekt setzt das Sättigungsgefühl außer Kraft.

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Die Tiere aus Cambridge könnte man Staubsauger nennen, Versuchskaninchen würde auch passen. In Großbritannien wie auch in Deutschland gibt es eine starke Bewegung gegen Tierversuche, doch glücklicherweise wurde die Erforschung des Verfressenheits-Gens beim Labrador nicht durch Aktivisten gestört. Diese Experimente sollen nicht einfach nur Labrador-Besitzer beruhigen, dass ihre Hunde von Natur aus schwer erziehbar sind. Wie dem Magazin Science Advances zu entnehmen ist, dienten die Experimente auch den Zweibeinern. Es geht darum, Medikamente für Menschen mit einer bestimmten Ausprägung von Adipositas zu finden. Staubsaugerhunde sind also wissenschaftlich nützlich.

QOSHE - Labrador-Hunde und das Staubsauger-Gen: Warum sie nie satt werden - Cornelia Geißler
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Labrador-Hunde und das Staubsauger-Gen: Warum sie nie satt werden

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17.03.2024

Wenn Hundebesitzer mit ihren Gefährten reden, benutzen sie ein seltsames Vokabular. Sie machen sich als Frauchen selber klein und die Hunde als Purzel und Schnurzel erst recht. Wenn sie über ihre Tiere reden, brauchen Außenstehende manchmal eine Wortliste. Unter einem Streuner oder Racker kann man sich etwas vorstellen. Schon mit der „Fellnase“ wird es schwierig, weil Nasen die einzige fellfreie Hundekörperoberfläche sind. Befremdlich wirkt die Bezeichnung Staubsauger: Wer vergleicht sein Tier mit einem Haushaltsgerät?

In der Regel benutzen Leute den Begriff für Hunde, die überall Essbares aufspüren und verschlingen. Berliner Parks und Gehwege, längst nicht nur vor Straßencafés, warten da mit einem reichen Angebot von Pizzastücken und Dönerresten, Joghurt- und Ayranbechern, belegten Brötchen, Instant-Nudelgerichten und Hühnerbeinen auf. Nicht alles ist der........

© Berliner Zeitung


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