Als Olivia Jones noch Oliver Knöbel hieß, gehörte für ihn das Vorlesen durch die Großmutter zu den schönsten Stunden der Kindheit. 1969 geboren und aufgewachsen in der Nähe von Hannover, zog Knöbel mit knapp 20 Jahren nach Hamburg. Dort wurde er auf St. Pauli als Travestiekünstler im Glitzerkleid und mit Perücke bald zur Kiezgröße – auch nach dem Körpermaß von 1,95 Meter. Er ist inzwischen mit seiner Figur verschmolzen. Am Dienstag bekommt die Dragqueen Olivia Jones eine überregionale Auszeichnung, die hat mit dem frühen Großmuttererlebnis zu tun.

Wenn nämlich die Stiftung Lesen eine ganze Reihe von Ehrungen für beispielhafte Projekte der Leseförderung vergibt, erhält Olivia Jones den Sonderpreis für prominentes Engagement. Seit Jahren schon ist sie als Lesebotschafterin der Stiftung verbunden. Ihr Einsatz mache, heißt es zur Begründung, „einen greifbaren Unterschied für junge Menschen und die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland“.

Die Dragqueen nutzt dafür vor allem das Kinderbuch, das sie 2015 selbst herausbrachte: „Keine Angst in Andersrum“. Dessen Botschaft, dass „schwul“ kein Schimpfwort ist, steckt in einer Geschichte und einem didaktischen Teil am Ende. Dieser Zusatz macht es laut Olivia Jones „Erziehenden und Lehrenden leichter, das Thema nach der Geschichte auch kindgerecht zu besprechen“. Sie bringt zu ihren Einsätzen auch weitere Kinderbücher mit, die Rollenklischees auflösen, etwa „Raffi und sein pinkes Tutu“ oder „Prinzessin Horst“. Daran schätzt sie den Witz, sagt sie, Humor sei „bei solchen Themen sowieso sehr wichtig und kommt oft zu kurz“.

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Das eigene Buch und die Einsätze als Lesebotschafter veranlassten die Dragqueen 2019, das Projekt „Olivia macht Schule“ zu gründen. Zusammen mit einer Gruppe von Unterstützern – die Dragqueen würde hier von einer „Familie“ sprechen – geht sie in Schulen, um Kindern Toleranz gegenüber Andersdenkenden, -aussehenden, -liebenden nahezubringen. Für Jugendliche außerhalb Hamburgs werden Kursfahrten und Kieztouren angeboten. Weiterführende Schulen oder Betriebe laden Olivia Jones zu Vorträgen und Workshops ein.

Das Lieblingsbuch zu Großmutters Zeiten war für Knöbel alias Olivia Jones übrigens „Pippi Langstrumpf“ von Astrid Lindgren: „Ein bisschen verrückt, Normen hinterfragen, sich selbst nicht zu ernst nehmen und dadurch auch anderen mit Humor ein bisschen den Spiegel vorhalten. Ich sehe mich ja auch als so eine Art erwachsene Pippi Langstrumpf. Und meine Perücken und Kostüme erinnern mich auch manchmal daran.“

QOSHE - Olivia Jones sieht sich als erwachsene Pippi Langstrumpf - Cornelia Geißler
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Olivia Jones sieht sich als erwachsene Pippi Langstrumpf

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26.02.2024

Als Olivia Jones noch Oliver Knöbel hieß, gehörte für ihn das Vorlesen durch die Großmutter zu den schönsten Stunden der Kindheit. 1969 geboren und aufgewachsen in der Nähe von Hannover, zog Knöbel mit knapp 20 Jahren nach Hamburg. Dort wurde er auf St. Pauli als Travestiekünstler im Glitzerkleid und mit Perücke bald zur Kiezgröße – auch nach dem Körpermaß von 1,95 Meter. Er ist inzwischen mit seiner Figur verschmolzen. Am Dienstag bekommt die Dragqueen Olivia Jones eine überregionale Auszeichnung, die hat mit dem frühen Großmuttererlebnis zu tun.

Wenn nämlich die Stiftung Lesen eine ganze Reihe von Ehrungen für beispielhafte Projekte der Leseförderung vergibt, erhält........

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