Auf der Suche nach einem Platz für das Interview gehen wir mit Regina Kittler, der Berliner Vorsitzenden des Deutschen Bibliotheksverbandes, durch die Haupthalle der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) zum Pop-up-Bau. Alle Tische zwischen den Regalen sind besetzt. Wir wollen über den möglichen Umzug der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) ins Gebäude des Kaufhauses Galeries Lafayette sprechen. Die AGB am Blücherplatz in Kreuzberg ist ein Teil der ZLB, der andere Teil befindet sich an der Breiten Straße in Mitte. Regina Kittler vertritt die Vielfalt der Berliner Bibliothekslandschaft.

Frau Kittler, es gibt Leute, die sagen, wenn jetzt alle Anstrengungen auf den Umzug der ZLB gerichtet werden, würde das Netz an Bezirksbibliotheken leiden. Was halten Sie davon?

Entschuldigung, das ist Blödsinn. Natürlich müssen wir diese Bibliotheken stärken. Dafür gibt es die Zielvereinbarung, durch die jetzt jedes Jahr Millionenmittel in die Bezirke fließen. Neue Stellen sind bewilligt, der Medienbestand muss weiter ausgebaut werden. Und wir brauchen auch Investitionsmittel zur Sanierung, darüber gibt es keine Diskussion. Die ZLB ist etwas anderes. Schauen Sie mal auf die Unterschriftenliste für den Umzug, da sind alle Bibliotheksleiter der zwölf Berliner Bezirke dabei.

Als Ende August die Umzugsidee vorgestellt wurde, wirkte Clara Hermann, die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, aber etwas skeptisch.

Weil sie weiß, wie wichtig der Ort für die Menschen hier ist, für die Kinder und Jugendlichen vor allem. Der Standort soll unbedingt weiter für Kultur, auch als Bibliothek, genutzt werden. Das unterstützt der Kultursenator Joe Chialo auch. Sie haben ja gerade gesehen, was hier los ist. Und erst sonntags, da ist es rammeldickevoll!

Obwohl sonntags nicht ausgeliehen werden darf?

Aber man kann die Bücher, die Medien und den Ort nutzen. Wir greifen zu Trick 17 und machen Veranstaltungen, mit zusätzlich angemieteten Sicherheitsleuten und Aufsichtspersonal.

Im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses war am Montag Volker Heller, der Chef der ZLB, zu Gast und empfahl den Politikern aus dem Bereich Arbeit und Soziales auch einen Sonntagsbesuch. Was haben die Sozialpolitiker dagegen?

Die Gewerkschaft Verdi sagt, unsere Beschäftigten sollen wenigstens den Sonntag arbeitsfrei haben. Es gibt keine Bundesgesetzgebung dazu. In Nordrhein-Westfalen wurde es erlaubt, aber Verdi klagt dagegen.

•gestern

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Was sagen Sie als Linke dazu?

Wir streiten, das ist ja typisch für Linke. Aber Sie sprechen doch mit mir als Vorsitzender der Berliner Sektion des Deutschen Bibliotheksverbandes?

Klar, aber Sie waren als Mitglied der Partei Die Linke lange in wichtigen Funktionen für Bildung und Kultur im Abgeordnetenhaus.

Wir haben die Mitarbeiter der Bibliotheken gefragt. Es gibt einige, die gegen die Sonntagsöffnung sind. Aber in der Mehrheit haben sie geantwortet, dass sie es begrüßen würden, wenn sie dann einen Tag in der Woche dafür freibekämen. Sie wissen, dann kommt viel mehr Publikum. Denn wann gehen Leute in Bibliotheken?

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Sagen Sie es mir.

Wenn sie Zeit haben. Und das ist am Wochenende. Sie lesen, informieren sich, lernen was Neues kennen, sie begegnen sich hier.

Ich glaube, manche, die jetzt nur über das viele Geld für die Zentral- und Landesbibliothek reden, haben noch die alte Vorstellung von einem reinen Ort der Bücherausleihe.

Tja, leider. Es gibt nicht nur Bücher, Filme, Musik oder Kunst. In Pankow werden in der Bibliothek der Dinge auch Bohrmaschinen und Beamer verliehen. In der Mark-Twain-Bibliothek in Marzahn, für mich die schönste in Berlin, gibt es Musikinstrumente. Mehrere Bibliotheken bieten Arbeitsräume, Treffpunkte, Proberäume an. Es ist der meistbesuchte Kulturort der Stadt, er kostet die Besucherinnen und Besucher anders als Opernhäuser, Theater, Museen nur zehn Euro im Jahr. Selbst diese Gebühr wollen wir mit dem Bibliotheksgesetz abschaffen. Wir haben 2023 ungefähr 7,9 Millionen Bibliotheksbesucher in Berlin gehabt. Vor dem Corona-Lockdown, 2019, waren es 9,5 Millionen.

Oh, es geht zurück.

Es steigt langsam wieder. Und das, obwohl es hier so voll ist. Sehen Sie sich die anderen Zahlen an: Wir haben 2023 rund 4,3 Millionen digitale Ausleihen gezählt, 2019 waren es nur zwei Millionen. Im Moment gibt es 438.000 gültige Leseausweise, 2019 waren es nur 418.000. Noch eine Zahl? Wir hatten 118.000 Neuanmeldungen, nur 80.000 im Jahr 2019. Und man kann ja auch ohne Leseausweis kommen.

Gibt es noch andere Bibliotheken außer der AGB, die sonntags offen haben?

Pankow und Tempelhof-Schöneberg zum Beispiel. Es hängt immer davon ab, wie viel der Bezirk sich leisten kann. Aber das Land Berlin gibt über die Zielvereinbarung – ich habe sie anfangs erwähnt – Geld für die Bibliotheken an die Bezirke, das ist eine richtig große Hausnummer, ein erster Schritt zur Verwirklichung des Bibliotheksentwicklungskonzeptes von 2021.

Und die Bezirke entscheiden, wie sie es verwenden?

Es gilt vor allem der Personalaufstockung. Uns fehlen über 430 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bibliotheken. Nun könnten mehr als 350 Stellen besetzt werden – sobald die Bezirke in der Lage sind, diese Ausschreibungen zu starten. Denn dafür fehlt auch das Personal.

Was steht noch im Bibliotheksentwicklungskonzept?

Zum Beispiel ein Vergleich zur Situation in den deutschen Großstädten, über wie viele Bibliotheken sie pro 10.000 Einwohner verfügen. Rechnet man das hoch, sieht Berlin ganz schlecht aus.

Nämlich?

Es fehlen uns 68 Bibliotheken.

Oh. In den östlichen Bezirken gab es zu DDR-Zeiten mehr als heute.

Ja, die sind nach und nach geschlossen worden, neu genutzt, zum Teil sogar abgerissen. Aber ich bin schon sehr froh, dass der jetzige Senat weiter das Bibliotheksentwicklungskonzept umsetzen will, es stammt ja noch aus der Rot-rot-grünen Koalition.

Nun geht das Kaufhaus Galeries Lafayette eher aus seinem Gebäude in der Friedrichstraße, doch der Jahrhundertvorschlag von Joe Chialo, dort die Zentral- und Landesbibliothek unterzubringen, scheint sich nicht verwirklichen zu lassen.

Wieso? Alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus, bis auf die SPD, haben erklärt, dass sie diesen Umzug wollen. Inhaltlich ist auch die SPD nicht dagegen, die sagen nur: Wo sollen wir das Geld hernehmen?

Die SPD hat allerdings ihren Anteil daran, dass die Mittel für den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek aus der Finanzplanung für 2022–26 gestrichen wurden.

Das ist das eigentliche Problem. Es gibt den Senatsbeschluss von 2018 für den Neubau hier am Blücherplatz, dem waren etliche teure Studien vorausgegangen, in denen Standorte wie das ICC und der Flughafen Tempelhof geprüft und verworfen wurden. Jetzt könnten wir mit weniger Geld und dem Vorteil eines Direktumzuges – während der Neubauarbeiten hier hätte die AGB für etwa drei Jahre geschlossen werden müssen – in das Kaufhaus ziehen und nebenbei die traurige Friedrichstraße beleben.

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Woher soll das Geld für den Umzug kommen?

Erst einmal müssen wir erfahren, wie viel es wirklich kostet. Die rund 589 Millionen Euro für den Kauf des Gebäudes und den Umbau als Bibliothek, die Tishman Speyer als Eigentümer genannt hat, sind ja nur ein Angebot. Es wird noch darüber verhandelt. Der Neubau war mit 635 Millionen Euro geplant. Ein Vorschlag zur Beschaffung der Mittel kam jetzt in der Anhörung von Daniel Wesener, dem ehemaligen Finanzsenator der Grünen: Man müsse kreditfinanziert über einen Landesbetrieb gehen. Die Stadt selber kann wegen der Schuldenbremse keine Kredite aufnehmen. Aber Wohnungsbaugesellschaften zum Beispiel könnten das.

Glauben Sie noch daran, dass es klappt?

Das ist keine Glaubensfrage, es muss sein. Seit 120 Jahren gibt es das Thema in Berlin, dass die Stadt eine Zentral- und Landesbibliothek braucht, seit der Wiedervereinigung 1990 ist der Widersinn der Zweiteilung offensichtlich, und dann wurden die Gebäude hier und in der Breiten Straße immer maroder.

Was muss passieren? Soll der Regierende Bürgermeister ein Machtwort sprechen?

Das würde ich sehr gut finden. Ansonsten erwarte ich, dass die Koalition sich zusammenrauft. Wir haben dreieinhalbtausend Nutzer in der AGB am Tag, sie wurde für 500 Besucher errichtet, das Pop-up-Gebäude fängt den Überfluss nicht auf. Das Lafayette könnte 10.000 Leute am Tag aufnehmen. Diese Chance kommt nicht wieder. Und der Vorschlag stammt nicht von irgendeiner windigen Gestalt, sondern vom Kultursenator dieser Stadt. Übrigens war es ursprünglich mal eine Idee von André Schmitz, dem Kulturstaatssekretär unter Wowereit, er hatte gehört, dass das Lafayette über einen Auszug nachdenkt. Joe Chialo von der CDU hat das durchplanen und -rechnen lassen. Aber das ist längst keine Sache, die nur die Kulturpolitik betrifft.

Und nicht nur die Finanzen?

Natürlich nicht. Eine zentrale Bibliothek ist ein Ort der Demokratie, des sozialen Miteinanders, besser bekommen wir es nicht.

Interview: Cornelia Geißler

QOSHE - Regina Kittler: Umzug der ZLB in die Galeries Lafayette „ist keine Glaubensfrage, es muss sein“ - Cornelia Geißler
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Regina Kittler: Umzug der ZLB in die Galeries Lafayette „ist keine Glaubensfrage, es muss sein“

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12.04.2024

Auf der Suche nach einem Platz für das Interview gehen wir mit Regina Kittler, der Berliner Vorsitzenden des Deutschen Bibliotheksverbandes, durch die Haupthalle der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) zum Pop-up-Bau. Alle Tische zwischen den Regalen sind besetzt. Wir wollen über den möglichen Umzug der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) ins Gebäude des Kaufhauses Galeries Lafayette sprechen. Die AGB am Blücherplatz in Kreuzberg ist ein Teil der ZLB, der andere Teil befindet sich an der Breiten Straße in Mitte. Regina Kittler vertritt die Vielfalt der Berliner Bibliothekslandschaft.

Frau Kittler, es gibt Leute, die sagen, wenn jetzt alle Anstrengungen auf den Umzug der ZLB gerichtet werden, würde das Netz an Bezirksbibliotheken leiden. Was halten Sie davon?

Entschuldigung, das ist Blödsinn. Natürlich müssen wir diese Bibliotheken stärken. Dafür gibt es die Zielvereinbarung, durch die jetzt jedes Jahr Millionenmittel in die Bezirke fließen. Neue Stellen sind bewilligt, der Medienbestand muss weiter ausgebaut werden. Und wir brauchen auch Investitionsmittel zur Sanierung, darüber gibt es keine Diskussion. Die ZLB ist etwas anderes. Schauen Sie mal auf die Unterschriftenliste für den Umzug, da sind alle Bibliotheksleiter der zwölf Berliner Bezirke dabei.

Als Ende August die Umzugsidee vorgestellt wurde, wirkte Clara Hermann, die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, aber etwas skeptisch.

Weil sie weiß, wie wichtig der Ort für die Menschen hier ist, für die Kinder und Jugendlichen vor allem. Der Standort soll unbedingt weiter für Kultur, auch als Bibliothek, genutzt werden. Das unterstützt der Kultursenator Joe Chialo auch. Sie haben ja gerade gesehen, was hier los ist. Und erst sonntags, da ist es rammeldickevoll!

Obwohl sonntags nicht ausgeliehen werden darf?

Aber man kann die Bücher, die Medien und den Ort nutzen. Wir greifen zu Trick 17 und machen Veranstaltungen, mit zusätzlich angemieteten Sicherheitsleuten und Aufsichtspersonal.

Im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses war am Montag Volker Heller, der Chef der ZLB, zu Gast und empfahl den Politikern aus dem Bereich Arbeit und Soziales auch einen Sonntagsbesuch. Was haben die Sozialpolitiker dagegen?

Die Gewerkschaft Verdi sagt, unsere Beschäftigten sollen wenigstens den Sonntag arbeitsfrei haben. Es gibt keine........

© Berliner Zeitung


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