Ein Literaturfestival bringt 21 Autorinnen und Autoren aus Rumänien und Moldau ins Literaturhaus, dazu gibt es Musik, Performances und Filme. Wir fragen die künstlerische Leiterin Ricarda Ciontos: Warum geben Sie dem Festival den Namen Don’t look back, schau nicht zurück – muss man nicht dem hiesigen Publikum erst einmal die Rückschau ermöglichen?

Ricarda Ciontos: Der Titel bezieht sich auf Themen, die eine Rolle spielen werden: Identität, Migration, Heimat, Fremde. Neun Millionen Rumänen werden in Europa als Arbeitsmigranten in der Landwirtschaft oder auf dem Bau eingesetzt. Es gibt aber auch Anwältinnen oder Ärzte, die im Ausland arbeiten, oder Literaten: Auch einige der Festival-Teilnehmer leben in Deutschland wie Alexandru Bulucz, Carmen-Francesca Banciu und Iris Wolff. Olga Tokarczuk sagt, wer sein Herkunftsland verlasse, erlebe das wie eine Amputation. Das kann Schmerzen und Traumata zur Folge haben, mindestens eine Narbe. Wir wollen mit dem Festival jedoch nicht in alten Wunden stochern, sondern den Ballast abwerfen und nach vorne schauen.

Ich bin selber in Rumänien geboren und mit elf Jahren nach Deutschland gekommen. Mein Vater konnte seinen Beruf als Richter nicht mehr ausüben, weil er die Sprache nicht gut genug beherrschte. Aber meine Mutter als Rumäniendeutsche fand als Technikerin gleich am dritten Tag Arbeit. Wir waren glücklich, weg zu sein, die wirtschaftliche Lage in Rumänien war schlimm, viele Menschen lebten in Armut. Wer deutsche Wurzeln hatte, ging in den Westen.

Mich interessiert gerade angesichts der hohen Zahl nicht in Rumänien lebender Rumänen die Frage: Wie transportieren sie ein eigenes Kulturgefühl? Gibt es so etwas überhaupt? Daran knüpft sich natürlich noch viel mehr, was zwar in der Vergangenheit seinen Anfang genommen hat, aber für die Gegenwart und den Blick nach vorn eine Rolle spielt. Kulturschaffenden fällt es meistens leicht, sich als Weltbürger zu definieren, aber Menschen mit eher bodenständigen Berufen sehen das oft anders, definieren sich auch über die Sprache. Rumänien hat sich nach 1989 rasant verändert, das spiegelt sich natürlich in der Literatur wider. Und die Auswahl der Filme ergänzt das, was wir diskutieren werden und in den Büchern aufleuchtet, durch großartige Bilder.

Don’t look back. 26.2. bis 2.3., Literaturhaus Berlin und Babylon Mitte

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Ricarda Ciontos: „Rumänien hat sich nach 1989 rasant verändert“

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26.02.2024

Ein Literaturfestival bringt 21 Autorinnen und Autoren aus Rumänien und Moldau ins Literaturhaus, dazu gibt es Musik, Performances und Filme. Wir fragen die künstlerische Leiterin Ricarda Ciontos: Warum geben Sie dem Festival den Namen Don’t look back, schau nicht zurück – muss man nicht dem hiesigen Publikum erst einmal die Rückschau ermöglichen?

Ricarda Ciontos: Der Titel bezieht sich auf Themen, die eine Rolle spielen werden: Identität, Migration, Heimat, Fremde. Neun Millionen Rumänen werden in Europa als Arbeitsmigranten in der Landwirtschaft oder auf dem Bau eingesetzt. Es gibt aber auch Anwältinnen oder Ärzte, die im........

© Berliner Zeitung


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