Ein Film über eine Abschiedstournee von Joan Baez klingt nach einem Widerspruch. Sollte die Queen of Folk jemals verstummen? Tatsächlich ist „Joan Baez – I am a Noise“ nur auf einer von mehreren Ebenen eine Chronik ihrer letzten Tour 2019. Ich hatte das Glück, sie damals gleich zweimal zu hören, weil sich Baez nicht verkneifen konnte, schon beim Konzert ihrer Freundin Patti Smith auf die Bühne zu steigen, die einen Tag vor ihr in Köln auftrat. Das eindrückliche Duett von „A Hard Rain’s Gonna Fall“, das dabei entstand, wurde zu einem YouTube-Hit.

Im Film erinnert sich die 82-Jährige, wie Bob Dylan mit dem frisch geschriebenen Song augenblicklich eine Party unterhielt. Die pessimistische Warnung des Titels kann inzwischen die vergangenen fünf Jahrzehnte überschreiben, in denen Joan Baez so beharrlich wie kaum ein zweiter Musikstar um eine bessere Welt gerungen hat.

Die gemeinsame musikalische Biografie mit ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Dylan ist freilich anderswo lebensnäher dokumentiert – am Rande von D.A. Pennebakers dokumentarischer Dylan-Momentaufnahme „Don’t Look Back“ oder in Martin Scorseses dokumentarischer Aufarbeitung der gemeinsamen „Rolling Thunder Revue“. Die Musik spielt hier, schwer zu glauben bei einem Joan-Baez-Film, eher eine Nebenrolle.

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Die Regisseurinnen Miri Novasky und Kren O’Connor haben stattdessen jenen Film gedreht, den eines der schönsten Filmplakate des Jahres verspricht. Es zeigt das Porträt einer in sich gekehrten Teenagerin in türkisem Shirt vor kalifornischer Wüstenlandschaft. Die beiläufig fotografierte Heranwachsende ist unverkennbar Joan Baez, die bald darauf, mit 18 Jahren, zum Shootingstar der amerikanischen Folkszene werden sollte. Einmal spricht sie von dem Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen zu sein, aber glücklich angefühlt hat sich das, nach allem, was wir dann erfahren, wohl eher selten.

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Vielleicht wird umgekehrt ein Schuh daraus, die in Greenwich Village neu entstandene Folkszene konnte von Glück sagen, auf diese Stimme zu treffen – die alten Heroen wie Pete Seeger ebenso Gehör verschaffte wie den jungen Songpoeten Phil Ochs oder Bob Dylan. Baez, die erst viel später in ihrer Karriere eigene, meist autobiografische Lieder aufnahm wie ihren strahlend-melancholischen Signature Song „Diamonds and Rust“, machte zahllose Fremdkompositionen zu Standards. Wie sie diese Lieder auswählte, welche Rolle ihre geradlinige Interpretationsweise, in die sich hier und da ein unverkennbares Vibrato mischte, dabei spielte, würden wir gern von ihr erfahren. Aber wie schon ein Gabriel-García-Márquez-Zitat am Filmanfang verheißt, glauben die Filmemacher wohl nicht daran, dass die Kunst ein Künstlerinnenleben dominieren müsse: „Jeder hat drei Leben: das öffentliche, das private und das geheime.“

Wer so früh in der Öffentlichkeit lebe, nehme seine Berühmtheit als Normalzustand an, sagt Baez. Zugleich durchläuft sie seit ihrer Jugend schwere psychische Krisen und ist über viele Jahre in Psychotherapie. Der buchstäbliche Schlüssel zu diesem „geheimen Leben“, den sie großzügig den Filmemacherinnen überlässt, führt zu einem Ort, den sie selbst zuvor nie betreten hat: ein Lagerraum, indem ihre verstorbenen Eltern ein Archiv ihrer Tochter von musealen Ausmaßen zusammentrugen.

Zum Bestand gehören neben Briefen und Zeichnungen – Baez ist bildnerisch weit talentierter als der inzwischen auf dem Kunstmarkt teuer gehandelte Dylan – auch kistenweise Aufnahmen von Therapiesitzungen. Dazu so erlesene private Fotografien wie die des Filmplakats, Super-8-Filme und Briefe, die auf dem Höhepunkt ihres Ruhms und aufreibender politischer Aktivitäten in Abgründe blicken lassen: Von Depressionen verfolgt, stellt sie ihre eigene gesellschaftliche Rolle und die erworbenen Privilegien fortwährend infrage.

Da aber auch diese Selbstzeugnisse oft mit pointierten eigenen Zeichnungen versehen sind, liefern sie den Filmemacherinnen auch eine künstlerische Perspektive. Sie dienen ihnen als Vorlage für Animationen, die den Film ebenso strukturieren wie die vielen, meist viel zu kurz angespielten Songs und Konzertausschnitte. Es wäre also noch immer Raum für einen zweiten Porträtfilm, eine „Folkumentary“ – dennoch hat man nicht das Gefühl, etwas vorenthalten zu bekommen. Im Gegenteil gibt es Momente, in denen man sich von so viel Offenheit fast beschämt fühlt.

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Ein zentrales Thema ist der Umgang ihrer beiden Schwestern mit Joans kometenhaftem Aufstieg. Die inzwischen gestorbene Pauline hat ein paar freundliche Sticheleien über die egozentrische und doch in ihrem sozialen Engagement so altruistische Joan hinterlassen. Über die jüngere, weit früher gestorbene, musikalisch ebenfalls begabte Mimi, die ihr nacheiferte, eröffnet sich im letzten Drittel ein dunkles Kapitel.

Sie litt schwer über eine Missbrauchserfahrung durch den Vater, was wiederum Joan erst dazu brachte, ihre Erinnerungen dahingehend zu hinterfragen. Was dabei zutage trat, bleibt vernebelt in quälender Ungewissheit – doch der Verdacht wiegt schwer genug. Nach dem Tod ihrer Eltern, die beteuerten, nichts davon zu erinnern, entschied sich Baez dazu, das Trauma öffentlich zu machen. In Berlin erklärte sie diese Entscheidung zu Recht damit, dass vielen Menschen, die Missbrauch erlitten hätten, solche Bekenntnisse dabei helfen würden, mit den eigenen Traumata umzugehen.

Vielleicht liegt darin auch eine Spur, die zu den vermissten Teilen dieses Films führt – als Antwort auf die Frage nach ihrer künstlerischen Leitlinie in der Auswahl ihrer Lieder. Und eine Erklärung für die spezifische Färbung ihrer Interpretationen – dieser Mischung aus Geradlinigkeit, schmerzhafter Präzision und Offenheit.

Joan Baez machte sich die Lieder, die ihr begegneten, zu eigen, ohne sie sich verbiegend anzueignen – deshalb griffen so viele Menschen nach ihren Platten zur Gitarre und lernten die einfachen Akkorde vieler Folksongs. Auch einen Dylan-Song lernt man besser von Joan Baez – jedenfalls, wenn einen die Melodien interessieren, wie er sie geschrieben hat. Dass die Tiefe dieser Interpretationen wie die Unnachgiebigkeit des politischen Engagements nicht ohne dunkle Seiten ausgekommen sind, war stets bekannt – schon 1969, bei ihrem Woodstock-Auftritt, erinnerte sie an ihren damals wegen Wehrpflichtverweigerung inhaftierten Ehemann, den Journalisten David Harris.

Nach einem Leben auf Tournee wirkt Joan Baez noch immer wie die 16-Jährige auf dem Filmplakat – auf der Suche mach dem Selbst unter der Plakatwand ihres Lebens.

Joan Baez – I am a Noise. Dokumentarfilm, USA 2023. Regie: Miri Novasky und Kren O’Connor. 109 Minuten

QOSHE - „Joan Baez – I am a Noise“: Ein ehrliches Film-Selbstporträt der Queen of Folk - Daniel Kothenschulte
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„Joan Baez – I am a Noise“: Ein ehrliches Film-Selbstporträt der Queen of Folk

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27.12.2023

Ein Film über eine Abschiedstournee von Joan Baez klingt nach einem Widerspruch. Sollte die Queen of Folk jemals verstummen? Tatsächlich ist „Joan Baez – I am a Noise“ nur auf einer von mehreren Ebenen eine Chronik ihrer letzten Tour 2019. Ich hatte das Glück, sie damals gleich zweimal zu hören, weil sich Baez nicht verkneifen konnte, schon beim Konzert ihrer Freundin Patti Smith auf die Bühne zu steigen, die einen Tag vor ihr in Köln auftrat. Das eindrückliche Duett von „A Hard Rain’s Gonna Fall“, das dabei entstand, wurde zu einem YouTube-Hit.

Im Film erinnert sich die 82-Jährige, wie Bob Dylan mit dem frisch geschriebenen Song augenblicklich eine Party unterhielt. Die pessimistische Warnung des Titels kann inzwischen die vergangenen fünf Jahrzehnte überschreiben, in denen Joan Baez so beharrlich wie kaum ein zweiter Musikstar um eine bessere Welt gerungen hat.

Die gemeinsame musikalische Biografie mit ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Dylan ist freilich anderswo lebensnäher dokumentiert – am Rande von D.A. Pennebakers dokumentarischer Dylan-Momentaufnahme „Don’t Look Back“ oder in Martin Scorseses dokumentarischer Aufarbeitung der gemeinsamen „Rolling Thunder Revue“. Die Musik spielt hier, schwer zu glauben bei einem Joan-Baez-Film, eher eine Nebenrolle.

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© Berliner Zeitung


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