Während sich am 18. März 1990 die Augen der internationalen Öffentlichkeit auf die ersten freien Wahlen in der zerbröselnden DDR richteten, sorgte diese nur drei Tage später am anderen Ende der Welt für ein hierzulande im Trubel der Ereignisse kaum wahrgenommenes Kuriosum. In Namibias Hauptstadt Windhuk eröffnete sie heute vor 34 Jahren noch ihre weltweit letzte Botschaft. Dabei hatte ihr Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten schon am 12. Januar 1990 bekannt gegeben, aus Kostengründen erste Botschaften der DDR in anderen Ländern schließen zu müssen. Aktenfunde aus dem DDR-Außenministerium und den Führungsgremien der SED geben preis, dass der beinahe paradoxe Vorgang lang geplante strategische Hintergründe hatte.

Außenpolitisch war Namibia Ende der 1980er-Jahre kein Top-Thema der DDR wie etwa die Sowjetunion, die BRD, Polen oder Ungarn. Im Rahmen ihrer Afrikapolitik aber hatte Namibia einen gewissen Stellenwert. Dieser ergab sich einerseits aus den engen Verbindungen der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zur Südwestafrikanischen Volksorganisation (SWAPO), die gegen die Besatzung Namibias durch Südafrika ankämpfte. Bereits 1962 hatte ihr Anführer Sam Nujoma die DDR besucht. Seit 1977 bestanden Parteibeziehungen zwischen SED und SWAPO, die ab 1978 in Ost-Berlin eine eigene Vertretung besaß. Beide Parteien sahen sich in weltanschaulichen und außenpolitischen Fragen des Sozialismus, des Antikolonialismus und der Anti-Apartheid-Bewegung verbunden, welche die DDR im Rahmen ihrer antiimperialistischen Solidarität stets lautstark vertrat.

Museum Pankow: Wie die DDR Patienten aus Namibia versorgte

19.02.2024

34 Jahre nach dem Mauerfall: Die skurrile Zusammenarbeit zwischen DDR und BRD in Namibia

08.11.2023

Doch damit gingen andererseits handfeste Interessen einher, die ab Ende 1978 in der SED-Führung kursierten. Denn am 29. September 1978 hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) in seiner Resolution 435 den Fahrplan für Namibias Freiheit festgelegt. Er sah freie Wahlen, die Bildung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung und die Unabhängigkeit Namibias von Südafrika vor. Diese Transformation sollte unter Aufsicht einer UN-Mission (United Nations Transition Assistance Group, UNTAG) möglichst rasch beginnen, weshalb die SED schon damals neben ihren ideologischen Sympathien mehrere Intentionen mit Namibia verband.

Das betraf zunächst den von der Entwicklungsländerkommission beim SED-Politbüro zu der Zeit forsch forcierten Afrika-Außenhandel. Das Sekretariat des SED-Zentralkomitees (ZK) beschloss bereits am 3. Januar 1979 ein Konzept für die Wirtschaftsbeziehungen mit einem vermeintlich schon bald befreiten Namibia. Die SED begehrte vor allem die reichen Fischbestände vor Namibias Atlantikküste und dessen Bodenschätze (Uran, Diamanten, Silber, Kupfer, Wolfram, Lithium) und hoffte auf Namibia als künftigen Exportmarkt. Hier schnell handlungsbereit zu sein, war den Auslandsstrategen der Partei und der involvierten Ministerien für Außenhandel und Auswärtiges besonders deshalb wichtig, da sie vermuteten, Namibia würde gar noch vor dem im April 1980 unabhängig werdenden Simbabwe seine Freiheit erlangen. Allein der Umstand, dass für Simbabwe kein solches Wirtschaftskonzept vorlag, illustriert die damals Namibia beigemessene Bedeutung.

gestern

gestern

gestern

Diese speiste sich zweitens aus dem Kalkül, eine aktivere Präsenz in den Vereinten Nationen zu entfalten. Denn dort war die DDR erst wenige Jahre zuvor (1973) gemeinsam mit der BRD aufgenommen worden und suchte nach Profilierungsoptionen. Friedensmissionen der UN (als „Blauhelmmissionen“ bekannt) wie jene in Namibia boten dazu die Chance. Zudem konnte die DDR mit der Teilnahme an einem solchen Einsatz ihren eigenen UN-Mitgliedsbeitrag teilweise refinanzieren. Wobei sich vor dem historischen Hintergrund Namibias als frühere deutsche Kolonie (1884–1915) und den bis heute dort lebenden deutschsprachigen Namibiern im Kontext der geplanten Loslösung Namibias von Südafrika die Brisanz damaliger deutsch-deutscher Rivalitäten widerspiegelte. Denn auch die Bundesrepublik war als Teil einer Verhandlungsgruppe (mit USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien) mit Namibias Unabhängigkeitsprozess befasst und betrat mit einer Teilnahme daran wie die DDR Neuland.

Diese stellte die Bonner Kontakte zur deutschstämmigen Gemeinde Namibias pauschal in die Ecke Ewiggestriger. Das ZK-Sekretariat der SED ging 1979 davon aus, dass ein UN-Einsatz in Namibia „in besonderer Konfrontation mit der BRD“ ablaufen würde. So wetterte im Oktober 1976 Peter Florin als DDR-Vertreter bei den Vereinten Nationen in New York, man „habe nichts mit jenen in Namibia wirkenden reaktionären deutschstämmigen Kräften gemein, die immer noch auf der Kaiserstraße und anderen nach notorischen Faschisten wie Göring und Goebbels benannten Plätzen marschieren“. Wobei er geflissentlich verschwieg, dass die damalige Göringstraße in Windhuk gar nicht Nazi-Reichsmarschall Hermann Göring, sondern dessen Vater Heinrich galt (der im einstigen Deutsch-Südwestafrika als Reichskommissar fungierte) und es einen Goebbels-Platz dort gar nicht gab.

Und drittens wollte die DDR mit der Aufnahme offizieller Beziehungen zu einem freien Namibia diplomatische Präsenz in direkter Nachbarschaft zu Südafrika zu zeigen, das ihr mit seinem Apartheid-System der gesellschaftlichen Rassentrennung in Afrika als Feindbild Nummer eins galt. Dafür brauchte es auch eine DDR-Botschaft in Windhuk. Doch erst über zehn Jahre später sollte es dazu kommen. Denn die Namibia-Frage war im Kalten Krieg der 1980er-Jahre engstens mit dem zum brutalen Stellvertreterkonflikt ausgearteten Bürgerkrieg im benachbarten Angola verwoben. Kuba und die Sowjetunion (mit der DDR im Schlepptau) einerseits sowie Amerika und Südafrika andererseits griffen militärisch entweder direkt oder indirekt dort ein und unterstützten verschiedene regionale Kampfparteien massiv mit Waffen. Erst am 22. Dezember 1988 lösten Gespräche in New York die starre Situation: Kuba zog sich aus Angola zurück. Dafür stimmte Südafrika der Unabhängigkeit Namibias und dem Start der dortigen Friedensmission zum 1. April 1989 zu.

In Ost-Berlin war all das aufmerksam registriert worden. Bereits am 2. September 1988 hatte Außenminister Oskar Fischer UN-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar offensiv die Mitwirkung der DDR an der UN-Mission angeboten. Zu ihr gehörte auch eine Polizeikomponente zur Überwachung der Lage in Namibia. Am 8. September 1988 beauftragte das ZK-Sekretariat der SED das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, für dieses Kontingent geeignetes Personal zu finden, um für die eventuelle Beteiligung der DDR daran mit einer eigenen Einheit gewappnet zu sein. Und am 20. Dezember 1988 holte das SED-Politbüro die Namibia-Pläne von 1978 in aktualisierter Variante aus der Schublade. Involvierte Institutionen drückten aufs Tempo. So hatte mit Udo-Dieter Wange der Minister für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie schon am 16. November 1988 der Erarbeitung eines Fischereiabkommens zugestimmt.

Am 26. Januar 1989 schlug das DDR-Verkehrsministerium ein Luft- und Schiffsverkehrsabkommen mit Namibia vor. Und das Ministerium für Außenhandel gab am 20. Februar 1989 bekannt, dass für DDR-Betriebe der Handel mit namibischen Firmen „ab sofort“ möglich war, sofern sich damit keine Kontakte nach Südafrika verbanden, um nicht in den Verruf eventueller Geschäfte mit dem Erzfeind zu geraten.

So verwundert es kaum, dass die erste aus den sozialistischen Staaten des Warschauer Paktes nach Namibia reisende Handelsdelegation im Oktober 1989 aus der DDR kam. Sie sprach in Windhuk, Tsumeb, Grootfontein, der Okanvango-Region, Swakopmund und Arandis mit über 20 Wirtschaftsvertretern, Bauernverbänden, Bergbaufirmen und Unternehmen. Außenhandelsbetriebe wie Interpelz Leipzig, die Deutsche Außenhandelsbank, der VEB Agro-Consult Dresden oder Fischimpex Rostock sollten künftig mögliche Namibia-Geschäfte ankurbeln. Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1990 sollte die DDR-Außenhandelskammer erstmals eine Wirtschaftsdelegation Namibias einladen, die staatliche Interflug eine Flugroute nach Windhuk prüfen.

Museum Neukölln: Eine Installation erinnert an den Völkermord an den Ovaherero und Nama

12.04.2024

Burg Beeskow: Ausstellung hinterfragt Deutschlands koloniale Geschichte

04.04.2024

Parallel stimmte am 26. April 1989 das ZK-Sekretariat der SED den von den Ministerien für Auswärtiges, Außenhandel und Finanzen entworfenen Plänen für eine DDR-Botschaft in Windhuk mit 14 Mitarbeitern und lokalem Personal zu, inklusive Handelsabteilung. Reserviert waren dafür noch für 1989 1,23 Millionen Valutamark (also Devisen) sowie 1,24 Millionen Mark der DDR. Vor allem, weil die DDR damals schon fünf Immobilien als Wohn- und Verwaltungsgebäude in Windhuk erwarb. Darunter zwischen den beiden prominenten Herrenhäusern Heinitzburg und Schwerinsburg ein Botschaftsgebäude, das heute die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau beherbergt.

Um all dies in die Wege zu leiten, hatte das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten den umsichtigen und erfahren Afrika-Diplomaten Dr. Hans-Georg Schleicher auserkoren. Wie 30 andere Staaten (darunter die Bundesrepublik) war die DDR zur Begleitung des Friedensprozesses in Namibia von April 1989 bis April 1990 mit einer diplomatischen Beobachtermission präsent, die Schleicher leitete. Zu betreuen hatte er auch die im Herbst 1989 von der DDR entsandten Wahlbeobachter und die nun tatsächlich für die Vereinten Nationen in Namibia tätige Polizeieinheit der DDR. Dass auch die Bundesrepublik dort mit Wahl- und Polizeibeobachtern aktiv war, verlieh der deutsch-deutschen Präsenz im Land unter der blauen Flagge der Vereinten Nationen noch vor der deutschen Einheit eine zusätzlich kuriose Note.

Als Namibia am 21. März 1990 unabhängig wurde, stellte es sofort diplomatische Beziehungen mit beiden deutschen Staaten her und die letzte Botschaft der DDR weltweit wurde eröffnet. Namibia selbst richtete im März 1990 in der DDR noch ein Generalkonsulat ein. Die einstigen Zukunftspläne der SED für die künftigen Namibia-Beziehungen der DDR wurden von deren Ende überrollt. Zwar hatte die Regierung Namibias für den Einsatz eines DDR-Botschafters noch im Frühjahr 1990 das entsprechende Agrément erteilt, doch entsandt wurde dieser von der ab 5. April 1990 amtierenden neuen DDR-Regierung nicht mehr. Die Botschaft der DDR in Windhuk wurde am 2. Oktober 1990 geschlossen.

Dr. Daniel Lange ist Historiker, Sportwissenschaftler und Vorstandsmitglied der Deutsch-Namibischen Gesellschaft. Zum Unabhängigkeitsprozess Namibias 1989/90 hat er die Studie „Auf deutsch-deutscher UN-Patrouille“ vorgelegt. Zuletzt ist von ihm der Band „Turnschuhdiplomatie“ über die Auslandsarbeit des DDR-Sports in Afrika erschienen.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de

QOSHE - Namibia: Die Eröffnung der letzten DDR-Botschaft in Windhuk - Daniel Lange
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Namibia: Die Eröffnung der letzten DDR-Botschaft in Windhuk

6 0
16.04.2024

Während sich am 18. März 1990 die Augen der internationalen Öffentlichkeit auf die ersten freien Wahlen in der zerbröselnden DDR richteten, sorgte diese nur drei Tage später am anderen Ende der Welt für ein hierzulande im Trubel der Ereignisse kaum wahrgenommenes Kuriosum. In Namibias Hauptstadt Windhuk eröffnete sie heute vor 34 Jahren noch ihre weltweit letzte Botschaft. Dabei hatte ihr Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten schon am 12. Januar 1990 bekannt gegeben, aus Kostengründen erste Botschaften der DDR in anderen Ländern schließen zu müssen. Aktenfunde aus dem DDR-Außenministerium und den Führungsgremien der SED geben preis, dass der beinahe paradoxe Vorgang lang geplante strategische Hintergründe hatte.

Außenpolitisch war Namibia Ende der 1980er-Jahre kein Top-Thema der DDR wie etwa die Sowjetunion, die BRD, Polen oder Ungarn. Im Rahmen ihrer Afrikapolitik aber hatte Namibia einen gewissen Stellenwert. Dieser ergab sich einerseits aus den engen Verbindungen der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zur Südwestafrikanischen Volksorganisation (SWAPO), die gegen die Besatzung Namibias durch Südafrika ankämpfte. Bereits 1962 hatte ihr Anführer Sam Nujoma die DDR besucht. Seit 1977 bestanden Parteibeziehungen zwischen SED und SWAPO, die ab 1978 in Ost-Berlin eine eigene Vertretung besaß. Beide Parteien sahen sich in weltanschaulichen und außenpolitischen Fragen des Sozialismus, des Antikolonialismus und der Anti-Apartheid-Bewegung verbunden, welche die DDR im Rahmen ihrer antiimperialistischen Solidarität stets lautstark vertrat.

Museum Pankow: Wie die DDR Patienten aus Namibia versorgte

19.02.2024

34 Jahre nach dem Mauerfall: Die skurrile Zusammenarbeit zwischen DDR und BRD in Namibia

08.11.2023

Doch damit gingen andererseits handfeste Interessen einher, die ab Ende 1978 in der SED-Führung kursierten. Denn am 29. September 1978 hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) in seiner Resolution 435 den Fahrplan für Namibias Freiheit festgelegt. Er sah freie Wahlen, die Bildung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung und die Unabhängigkeit Namibias von Südafrika vor. Diese Transformation sollte unter Aufsicht einer UN-Mission (United Nations Transition Assistance Group, UNTAG) möglichst rasch beginnen, weshalb die SED schon damals neben ihren ideologischen Sympathien mehrere Intentionen mit Namibia verband.

Das betraf zunächst den von der Entwicklungsländerkommission beim SED-Politbüro zu der Zeit forsch forcierten Afrika-Außenhandel. Das Sekretariat des SED-Zentralkomitees (ZK) beschloss bereits am 3. Januar 1979 ein Konzept für die Wirtschaftsbeziehungen mit einem vermeintlich schon bald befreiten Namibia. Die SED begehrte vor allem die reichen Fischbestände vor Namibias Atlantikküste und dessen Bodenschätze (Uran, Diamanten, Silber, Kupfer, Wolfram, Lithium) und........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play