Am Samstagnachmittag glitzert noch immer der Tannenbaum vor dem Reichstagsgebäude am Platz der Republik, ein großer Herrnhuter Stern hängt noch immer im Bundeskanzleramt von Olaf Scholz. Es ist der Dreikönigstag, der letzte Tag der Weihnachtszeit – und doch ist die Stimmung auf der Straße vor dem Kanzleramt alles andere als festlich. Die ukrainische Zivilorganisation Vitsche hat zu ihrer ersten Protestaktion des Jahres aufgerufen – um ein konsequenteres Handeln des Bundeskanzlers zur Unterstützung der Ukraine zu verlangen.

Viele der etwa 1000 Demonstranten – Ukrainer sowie Berliner anderer Nationalitäten, die ihnen zur Seite stehen wollten – tragen selbstgebastelte Schilder mit Sprüchen wie „Stoppt den russischen Terror“, „Die Ukraine muss gewinnen“ und „Worauf wartet ihr noch?“. Das sind ihre Botschaften zu Beginn eines weiteren Jahres, in dem ein Ende des russischen Angriffskrieges noch immer nicht in Sicht ist.

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Der Silvesterabend vor einer Woche sah in der Ukraine ganz anders aus als in Deutschland, sagen die Vitsche-Aktivistinnen Eva Yakubovska und Vlada Vorobiova, die die Demonstration zweisprachig auf Deutsch und Ukrainisch anführen. Während sich die Menschen in Deutschland in den letzten Dezembertagen 2023 auf das Reinfeiern ins neue Jahr vorbereiteten, waren ukrainische Städte einer erneuten russischen Angriffswelle mit Drohnen und Raketen ausgesetzt. Eine derart tödliche Angriffswelle auf die zivile Infrastruktur der Ukraine hatte es in diesem Krieg schon lange nicht mehr gegeben; mindestens 40 Menschen wurden dabei getötet.

Die Aktivistinnen verlesen sechs Forderungen, die der Ukraine helfen sollen, sich besser gegen solche russische Angriffe zu verteidigen. Eingefrorene russische Vermögenswerte in Europa sollten zur Unterstützung der Ukraine verwendet werden, eine Ausweitung der Sanktionen gegen Russland und eine Isolierung von russischen Diplomaten sollte es auch geben. Aber es geht auch um Waffen, konkret um eine Beschleunigung von Waffenproduktion und -lieferungen an die Ukraine sowie die Bereitstellung von Kampfdrohnen und Langstreckenraketen. Da seien vor allem die Taurus-Marschflugkörper gefragt; „Taurus jetzt“ skandieren die Demonstranten wiederholt.

Dass dieses Jahr in nur wenigen Wochen den zweiten Jahrestag der großen russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar bringen wird, ist hier allen bewusst. „Viele Deutsche mögen denken, das wäre keine so lange Zeit“, sagt die Demonstrantin Iryna. Sie ist vor fast zwei Jahren mit ihrer Mutter Valentyna und Schwester Olha aus Kiew nach Berlin geflüchtet. „Aber so fühlt es sich für uns nicht an, denn wir wissen, dass unsere Landsleute in der Ukraine jeden Tag einem Überlebenskampf ausgesetzt sind.“ Valentyna, die eine ukrainische Fahne um die Schultern trägt, findet härtere Worte. „Dieser Krieg dauert schon Hunderte Jahre an“, sagt sie. „So lange müssen wir schon unser Land und unsere Traditionen gegen Russland verteidigen.“

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Dass die ukrainischen Demonstranten bei diesem Protest auch ihre Dankbarkeit gegenüber Deutschland für die bisherige Unterstützung zeigen wollen, wird schnell klar. Ein Mann trägt ein Protestschild mit den Worten „Danke Deutschland“; an einer Stelle skandiert die ganze Menge „djakujemo“ – danke auf Ukrainisch. Aber die Demonstranten wollen sich auch nicht vormachen, dass dieser Krieg schnell vorbei sein wird. „Deutschland hat viel für uns getan – aber es kann und muss noch mehr tun“, sagt Iryna. Vor allem über Olaf Scholz äußern sich die Frauen enttäuscht. „Er hat seine Versprechen an uns vergessen, so viele Entscheidungen sind nur schleppend getroffen worden“, sagt Olha.

Valentyna befürchtet allerdings, dass das Problem der schwindenden internationalen Unterstützung für die Ukraine viel größer ist. Schließlich haben sowohl die EU als auch die USA in jüngster Zeit große Hilfspakete für die Ukraine abgelehnt. „Europa und die ganze Welt schlafen ein“, sagt Valentyna. „Wir sind hier, damit sie wissen, dass sie rechtzeitig aufwachen müssen, denn sonst wird Russland den Krieg auch hierher bringen.“

Auch Krista-Marija Läbe, Sprecherin von Vitsche, kritisiert das „Zögern“ von Scholz und der Bundesregierung. „Wir können keinen Tag länger warten, bis diese Entscheidungen getroffen werden“, sagt sie. „Experten haben schon vor zwei Jahren verlangt, die Produktions- und Lieferkapazitäten auszubauen, denn dieser Krieg wird lange dauern.“ Diese Chance sei versäumt worden – das Ergebnis seien das tägliche Sterben von ukrainischen Soldaten an der Front und eine Zunahme des russischen Terrors gegen die Zivilbevölkerung.

Putin nutzt solche Versäumnisse aus, um in der Ukraine Terror auszuüben, sagt Krista-Marija Läbe. Deutschland und Europa müssten nun ein klares Signal gegen diesen Trend setzen. Vitsche verspricht, im deutschen Diskurs über die Ukraine dauerhaft und lautstark präsent zu bleiben, vor allem jetzt, wo sich der Krieg der Zweijahresmarke nähert. Das sei die Verantwortung aller Ukrainerinnen und Ukrainer im Ausland, die das „Privileg“ haben, in Frieden zu leben, so Vlada Vorobiova.

Kurz vor 16 Uhr kommt die Demonstration zu ihrem Ende; die Teilnehmenden mit ihren ukrainischen Fahnen und blau-gelben Outfits ziehen sich zurück, um sich vor den Temperaturen um null Grad zu schützen. Vor dem Hauptbahnhof ruft eine Familie einer jungen Demonstrantin „Slava Ukraini“, Ruhm der Ukraine, zu. Da muss sie trotz der Kälte lächeln. Angesichts einer ungewissen Zukunft bedeuten solche Gesten immer noch viel.

QOSHE - „Die Welt schläft“: Ukraine-Demo heizt Olaf Scholz vor dem Kanzleramt ein - Elizabeth Rushton
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