Betrachtet man die Schlagzeilen der letzten Wochen, bekommt man den Eindruck, ehemals erklärtermaßen unerschütterliche Unterstützer der Ukraine zögern nun mit ihren Investitionen für das Land. Nach einem Boykott Ungarns wird die Ukraine vorerst kein 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket von der EU erhalten. Zugleich hat der ukrainische Militärchef Walerij Saluschnyj eine „Pattsituation“ an der Front beklagt, in den Medien wird vermehrt von „Kriegsmüdigkeit“ unter den Soldaten berichtet. Geht es der ukrainischen Bevölkerung auch so?

„Kriegsmüde“ sind die Hunderte Menschen, die am Donnerstag vor dem Rathaus von Kiew demonstrierten, offenbar nicht. Die Bürgerinitiative „Hroschi na ZSU“ („Gelder für die Ukrainischen Streitkräfte“) ruft zu einer Kundgebung an dem Tag auf, an dem das Städteparlament den neuen Haushalt für 2024 verabschieden sollte. Darin sind eine Milliarde Hrywnja (etwa 24,7 Millionen Euro) aus dem Haushalt von 72,6 Milliarden Hrywnja für das ukrainische Militär vorgesehen. Die Demonstranten befürworten hingegen einen Anteil von 20 Prozent. Ähnliche Protestaktionen fanden in den letzten Wochen auch in mehreren anderen ukrainischen Städten wie Charkiw, Czernowitz und Mykolajiw statt.

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13.12.2023

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Auf den Protestschildern der Demonstranten standen Sprüche wie: „Wir brauchen kein Kopfsteinpflaster und keine Parks“, „Drohnen statt Stadien“, „Ihre Entscheidungen töten uns“. Sie brachten auch konkrete Kritik an mehreren geplanten Projekten in der Stadt zum Ausdruck: Dazu gehören der Umbau der Verkehrsinfrastruktur an mehreren Verkehrsknotenpunkten, mehr Investitionen in den Wohnungsbau sowie neue Projekte für Tourismus und Umweltschutz. Solche Projekte nützen schließlich nichts, wenn die Ukraine letztlich von Russland besiegt wird, so das Argument der Demonstranten.

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In seinem aktuellen Stand zielt der Jahreshaushalt Kiews für 2024 „in keiner Weise darauf ab, den Sicherheits- und Verteidigungskräften zu helfen, die für das ganze Land oberste Priorität haben sollten“, so die Aktivisten in einem Statement. Sie werfen dem Stadtrat Gier und den Wunsch vor, „mit dem Bau von neuen Brücken, Straßen, Autobahnkreuzen, Parkplätzen und Großreparaturen von Parks Geld zu verdienen“. Unter den Demonstranten besteht auch der Verdacht der Korruption im Zusammenhang mit solchen Projekten. „Wir haben zwei Räuber – Korruption und Russland“, stand auf dem Protestschild einer Aktivistin.

Auf der Webseite des Kiewer Stadtrats haben 6000 Einwohner eine Petition zur Unterstützung der Kampagne unterschrieben. Haushaltsmittel sollten eher für den Kauf dringend benötigter Drohnen, Autos, Medizin und anderer Ausrüstung verwendet werden, heißt es dort. Es ist keine Seltenheit, dass solche Gegenstände über Crowdfunding oder durch von Zivilisten organisierte Wohltätigkeitsaktionen gekauft werden. Laut einer Umfrage vom Oktober 2023 vertrauen 93 Prozent der Ukrainer ihren Streitkräften.

Dabei teilen die Demonstranten die Ansicht des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Investitionen in Stadtprojekte in Zeiten des Krieges. In einer Abendansprache im Juli meinte Selenskyj, Projekte wie neue Museen und Sanierungsarbeiten an nationalen Symbolen wie der Kiewer Mutter-Heimat-Statue seien zwar wichtig – „aber wir haben andere Prioritäten“. Zugleich will aber der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko (dessen Kritik an Selenskyj und seiner Kriegsstrategie mittlerweile bekannt ist) mehr Energie und Geld für städtische Anliegen in Kiew ausgeben, die schon immer seine Themen als Bürgermeister waren: Infrastruktur, Straßen, Parks.

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Im Städteparlament während der Debatte zum neuen Haushalt am Donnerstag erinnerte Klitschko daran, dass die Stadt Kiew im vergangenen Jahr mehr als fünf Milliarden Hrywnja für die Verteidigung der Ukraine ausgegeben hat – nachdem im Haushalt für 2023 ursprünglich 100 Millionen Hrywnja vorgesehen waren. Er sei überzeugt, die Stadt werde weiterhin alle Möglichkeiten ergreifen, das Militär zu unterstützen. „In der Tat hat der [ukrainische] Staat der Hauptstadt und anderen Städten und Gemeinden die Möglichkeit genommen, den Streitkräften zu helfen, indem man die Einkommensteuer für Militärangehörige abschaffte“, so Klitschko. Seiner Meinung nach hätten diese Steuereinnahmen zu einer besseren Finanzierung des Militärs beitragen können.

Er nahm aber auch die Demonstranten ins Visier. „Wir haben ein großes Problem mit der Mobilisierung, und ich finde es sehr seltsam, wenn jetzt die überwiegende Mehrheit der Jungs im Alter zwischen 20 und 40 Jahren zu uns kommt und sich beschwert, dass das Geld nicht an die ZSU geht“, sagte der Bürgermeister. „Wem das Herz weh tut, warum zieht er nicht eine Militäruniform an und schützt das Land?“

Schließlich hat der Kiewer Stadtrat den Haushalt am Donnerstagabend unverändert verabschiedet. Auf ihrer Instagram-Seite schreiben die Aktivisten von „Hroschi na ZSU“, noch nicht aufgeben zu wollen. Eine weitere Protestaktion wird vor dem Kiewer Rathaus am Samstag, dem 16. Dezember stattfinden.

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Korruption in Kiews Stadtrat? Bürger wollen Geld fürs Militär statt für Parks

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15.12.2023

Betrachtet man die Schlagzeilen der letzten Wochen, bekommt man den Eindruck, ehemals erklärtermaßen unerschütterliche Unterstützer der Ukraine zögern nun mit ihren Investitionen für das Land. Nach einem Boykott Ungarns wird die Ukraine vorerst kein 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket von der EU erhalten. Zugleich hat der ukrainische Militärchef Walerij Saluschnyj eine „Pattsituation“ an der Front beklagt, in den Medien wird vermehrt von „Kriegsmüdigkeit“ unter den Soldaten berichtet. Geht es der ukrainischen Bevölkerung auch so?

„Kriegsmüde“ sind die Hunderte Menschen, die am Donnerstag vor dem Rathaus von Kiew demonstrierten, offenbar nicht. Die Bürgerinitiative „Hroschi na ZSU“ („Gelder für die Ukrainischen Streitkräfte“) ruft zu einer Kundgebung an dem Tag auf, an dem das Städteparlament den neuen Haushalt für 2024 verabschieden sollte. Darin sind eine Milliarde Hrywnja (etwa 24,7 Millionen Euro) aus dem Haushalt von 72,6 Milliarden Hrywnja für das ukrainische Militär vorgesehen. Die Demonstranten befürworten hingegen einen Anteil von 20 Prozent. Ähnliche Protestaktionen fanden in den letzten Wochen auch in mehreren anderen ukrainischen Städten wie Charkiw, Czernowitz und Mykolajiw statt.

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