Wer bei der Wohnungssuche von einem klassischen Berliner Altbau träumt, hat wahrscheinlich die Architektur der Gründerzeit im Kopf. Diese Häuser mit ihren schönen Fassaden und kunstvollen Verzierungen entstanden vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Wohnraum für das wachsende Arbeitermilieu der Stadt. 516.000 der 1,9 Millionen Wohnungen, die es heute in Berlin gibt, wurden vor 1918 gebaut.

Die ehemaligen Arbeiterviertel, etwa in Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg, in denen sie sich befinden, gehören inzwischen zu den begehrtesten Nachbarschaften der Stadt – was sich in den rasch steigenden Mietpreisen widerspiegelt.

Doch an einer Schöneberger Kreuzung war am Mittwoch vergangener Woche das Alter eines Hauses an seiner Fassade abzulesen – und zwar im schlechten Sinne. Am Nachmittag des 10. April wurden die Bewohner des 1905 erbauten Eckhauses an der Goltz- und Grunewaldstraße in Sicherheit gebracht; das Haus drohte einzustürzen. Grund waren erhebliche Bauschäden, die am Morgen jenes Tages im Erdgeschoss des Hauses festgestellt wurden. Auch im Außenputz des Gebäudes waren viele große Risse zu sehen, die teils den darunter liegenden Backstein freilegten.

Wegen Einsturzgefahr: Mieter können nicht ins Wohnhaus zurück, Straßen bleiben gesperrt

11.04.2024

Auch am Freitag noch ist die ganze Kreuzung mit der Akazienstraße abgesperrt; Grüppchen von Hausnachbarn und Passanten stehen an der Sperrung rund um das Haus, knipsen Handyfotos und fragen einander, was hier los ist.

Da mehr als ein Viertel der Berliner Wohnungen aus einer ähnlichen Zeit wie das evakuierte Haus in Schöneberg stammen, mögen sich Mieter anderswo fragen: Ist mein Haus sicher? Die Berliner Zeitung hat mit Bauexperten gesprochen, um diese Frage zu beantworten.

Die möglichen Probleme, die längerfristig in Altbauhäusern aus der Gründerzeit entstehen können, haben oft mit den dabei verwendeten Materialien zu tun – und vor allem mit ihrer Anfälligkeit für Feuchtigkeitsschäden. „Schwachstellen bei diesen Gründerzeitgebäuden sind oft die alten Dachkonstruktionen, vor allem bei Holzbalkendecken“, sagt die Baugutachterin und Architektin Gunhild Reuter. „Die Balken gehen oft auch noch in die Außenwand hinein, und der Balkenkopf, der in der Außenwand liegt, ist besonders empfindsam.“ Vor allem in Berlin mit seinem oft kalten, nassen Wetter könne das schnell Feuchtigkeitsprobleme auslösen; die Dachbalken würden müde, teilweise morsch durch Feuchtigkeit oder Alterung, so Reuter.

•gestern

21.04.2024

21.04.2024

Urteil in Berlin: Manne, 84, soll sein Elternhaus räumen

•gestern

Weitere Probleme können dann entstehen, wenn Dachbalken über viele Jahrzehnte immer wieder überholt werden, sodass die Auflast vom Dach immer schwerer wird oder wenn modernere Elemente wie Aufzüge an ein älteres Haus angebaut werden.

Wandrisse wie in dem Haus in der Grunewaldstraße können ein Zeichen für grundlegende Schäden sein, die durch solche Bedingungen verursacht werden. „Auch wenn man sie erst mal nur im Putz sieht, sind sie trotzdem immer als problematisch anzusehen“, sagt Gunhild Reuter. „Da sollte man mal gucken, was darunter los ist und ob der Riss auch im Mauerwerk ist.“ Ob der Riss bereits vorgedrungen ist, ist daran zu erkennen, dass dieses nicht nur in den Fugen offen ist, sondern dass auch die Steine gerissen sind.

Das Haus an der Grunewaldstraße gehört dem Immobilienunternehmen Heimstaden; auf Anfrage der Berliner Zeitung bestätigt ein Sprecher, dass es schon vor der Evakuierung vom 10. April zu Sicherungsarbeiten an dem Haus gekommen sei. Dabei betont er auch: „Risse an Fassaden sind erst einmal nichts Ungewöhnliches, wichtig ist nur, dass man sie genau beobachtet und analysiert.“

Im Herbst vergangenen Jahres sei das Unternehmen auf neue Risse und die Vergrößerung alter Risse an der Außenwand des Hauses aufmerksam geworden und habe ein Ingenieurbüro damit beauftragt, die Schäden zu untersuchen.

Ab Januar sperrte das Unternehmen die Balkone des Hauses, um eine genauere Untersuchung des Fundaments und der Pfeiler zu vorbereiten, was dann Anfang April begann. Am 10. April entdeckte ein vom Unternehmen beauftragter Statiker Risse am Eckpfeiler, was nach Informierung der Bauaufsichtsbehörde und der Polizei zu der Evakuierung führte.

Nun wird das Eckhaus mit 16 Stahlstützen abgesichert; das ist laut Robert Wilhelm, Projekt- und Bauleiter und Gutachter bei der Bausachverständigenfirma Bauzeit Berlin, „der letzte und teuerste“ Absicherungsweg. Erst nach diesen Arbeiten werden die Mieter in ihre Wohnungen zurückkehren können. Zu den Kosten der Maßnahme nennt der Sprecher keine Zahlen – Wilhelm meint allerdings, solche Arbeiten als Sofortmaßnahme könnten um die 100.000 Euro kosten.

Wenn die Wohnung gekündigt wird: Erst mal Nerven behalten

21.04.2024

Sein Rat: Schnelles Handeln ist immer gefragt, um größere Bauarbeiten und hohe Kosten zu vermeiden. „Je früher man Schäden erkennt, desto minimaler kann man sie reparieren“, sagt er. In diesem Fall hätte eine frühere Ergänzung durch kleinere Stützen von innen gereicht, um die Standsicherheit des Hauses zu gewährleisten.

Bewohner sollten vor allem auf Schimmel oder nasse Flecken an der Wand achten und auf kleine Wandrisse, die plötzlich entstehen. Und bei Bedarf schnellstmöglich einen Fachmann einschalten.

Die beiden Sachverständigen sagen: Wer in einem Altbau ähnlicher Epoche und Bauart wie das Haus in Schöneberg wohnt, muss sich nicht automatisch um den Zustand des Gebäudes sorgen. Robert Wilhelm spürt seit dem Vorfall zumindest nicht, dass die Besorgnis der Altbaubewohner insgesamt zugenommen habe; die Zahl der Anfragen an sein Unternehmen, etwa drei pro Tag, ist nicht gestiegen.

Mieten-Explosion: Wohnen wird auch in Berlins „Arbeiterkiezen“ unbezahlbar

19.04.2024

„Grundsätzlich ist es so, dass viele statisch relevante Fragen mit kleinen Maßnahmen abzustellen sind – und wenn sie wirklich aufmerksam beobachtet werden, kann man die Probleme schnell beheben“, so Robert Wilhelm. „Es ist auf keinen Fall so, dass die Berliner Gründerzeitstruktur stark in Gefahr ist.“ Er will auch nicht von Problemgebieten sprechen, in denen Schwierigkeiten mit der Instandhaltung von Altbauten besonders verbreitet sind: „Es gibt in Neukölln wunderbare Häuser, die sehr gut erhalten sind, und es gibt im schönen Charlottenburg Häuser, wo sich überhaupt nicht darum gekümmert wird.“

Der Heimstaden-Sprecher schreibt der Berliner Zeitung, das Unternehmen führe für seinen gesamten deutschen Wohnungsbestand jährliche Sicherheitskontrollen durch „einen anerkannten Dienstleister“ durch, die gegebenenfalls zu weiteren Maßnahmen durch Fachexperten führen. Es bestehe allerdings keine Pflicht für Vermieter und Hauseigentümer, solche Kontrollen auf ihren Grundstücken durchzuführen.

Robert Wilhelm ist der Ansicht, dass eine solche Pflicht sinnvoll wäre – auch wenn viele Hausverwaltungen als Standard ihre Immobilien einmal pro Jahr durch einen Bausachverständigen oder einen Architekten überprüfen lassen. „Zum einen bringt so eine Überprüfung Sicherheit für alle Eigentümer, zum anderen wird dann ein Maßnahmenkatalog erstellt, sodass kleine Reparaturen nicht ewig verschleppt, sondern frühzeitig erkannt und ausgeführt werden.“

QOSHE - Nach Evakuierung in Schöneberg: Wie sicher sind Berliner Altbauten? - Elizabeth Rushton
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Nach Evakuierung in Schöneberg: Wie sicher sind Berliner Altbauten?

14 22
23.04.2024

Wer bei der Wohnungssuche von einem klassischen Berliner Altbau träumt, hat wahrscheinlich die Architektur der Gründerzeit im Kopf. Diese Häuser mit ihren schönen Fassaden und kunstvollen Verzierungen entstanden vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Wohnraum für das wachsende Arbeitermilieu der Stadt. 516.000 der 1,9 Millionen Wohnungen, die es heute in Berlin gibt, wurden vor 1918 gebaut.

Die ehemaligen Arbeiterviertel, etwa in Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg, in denen sie sich befinden, gehören inzwischen zu den begehrtesten Nachbarschaften der Stadt – was sich in den rasch steigenden Mietpreisen widerspiegelt.

Doch an einer Schöneberger Kreuzung war am Mittwoch vergangener Woche das Alter eines Hauses an seiner Fassade abzulesen – und zwar im schlechten Sinne. Am Nachmittag des 10. April wurden die Bewohner des 1905 erbauten Eckhauses an der Goltz- und Grunewaldstraße in Sicherheit gebracht; das Haus drohte einzustürzen. Grund waren erhebliche Bauschäden, die am Morgen jenes Tages im Erdgeschoss des Hauses festgestellt wurden. Auch im Außenputz des Gebäudes waren viele große Risse zu sehen, die teils den darunter liegenden Backstein freilegten.

Wegen Einsturzgefahr: Mieter können nicht ins Wohnhaus zurück, Straßen bleiben gesperrt

11.04.2024

Auch am Freitag noch ist die ganze Kreuzung mit der Akazienstraße abgesperrt; Grüppchen von Hausnachbarn und Passanten stehen an der Sperrung rund um das Haus, knipsen Handyfotos und fragen einander, was hier los ist.

Da mehr als ein Viertel der Berliner Wohnungen aus einer ähnlichen Zeit wie das evakuierte Haus in Schöneberg stammen, mögen sich Mieter anderswo fragen: Ist mein Haus sicher? Die Berliner Zeitung hat mit Bauexperten gesprochen, um diese Frage zu beantworten.

Die möglichen........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play