Während des Winterabschiebestopps in Berlin vom 22. Dezember 2023 bis 28. Februar 2024 hat es mehrere Dutzend Ausnahmen gegeben: Trotz des aus humanitären Gründen beschlossenen Stopps wurden 73 abgelehnte Asylbewerber zurück in ihre Heimatländer oder in die EU-Länder gebracht, die sie als Erste aufgenommen hatten. Das geht aus einer Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Linke-Abgeordneten Ferat Koçak hervor. Während Koçak die Praxis scharf kritisiert, verteidigen Vertreter der schwarz-roten Koalition die Abschiebungen auch in der kalten Jahreszeit.

Wie aus der Antwort der Innenverwaltung hervorgeht, handelte es sich bei den Abgeschobenen um Menschen aus rund 20 Staaten, die wiederholt oder schwere Straftaten begangen hatten oder als sogenannte Gefährder der öffentlichen Sicherheit galten. Betroffen waren auch Menschen, gegen die mindestens drei strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Vergehen oder ein Ermittlungsverfahren wegen eines Verbrechens eingeleitet wurden. Zuvor sei jeder Einzelfall sorgfältig geprüft worden, hieß es.

Im Januar wurden demzufolge 41 Menschen abgeschoben, im Februar 32. Das größte Januar-Kontingent stellten Menschen aus Moldau (zwölf Abschiebungen), vor Georgien (neun) und Polen (sechs). Im Februar stand die Türkei an erster Stelle (sechs Fälle), es folgten Polen (vier) und Bulgarien (drei). Zu den Staaten, in die trotz des Stopps abgeschoben wurde, gehörten in jeweils einem Fall auch Nigeria, die Dominikanische Republik und die USA.

All diese Menschen dürfen abgeschoben werden, obwohl in Berlin im hiesigen Winter generell ein Abschiebestopp in Länder besteht, in denen mitunter harte Witterungsbedingungen herrschen. Eine Rückkehr sei ihnen dann nicht zuzumuten – insbesondere, wenn ihnen dort Obdachlosigkeit drohe.

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18.03.2024

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Berlin ist neben Thüringen das einzige Bundesland mit einem Winterabschiebestopp. Möglich macht dies das Bundesaufenthaltsgesetz. Es regelt die Voraussetzungen für einen Stopp – allerdings ohne Bezug zu den Jahreszeiten. Es ermächtigt aber die obersten Landesbehörden, aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen „die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate auszusetzen“. Mit den genannten Ausnahmen bei Straffälligen.

Diese Ausnahmepraxis kritisiert der Linke-Parlamentarier Koçak scharf. Er spricht von „skandalösen Ausnahmen“, die unbedingt beendet werden müssten. Seine Fraktion werde „für einen konsequenten Winterabschiebestopp und für ein ganzjähriges humanitäres Bleiberecht kämpfen“, kündigte er an.

Innenpolitiker der Regierungskoalition halten dagegen. So ordnete Martin Matz (SPD) „die reine Zahl als völlig unspektakulär“ ein. Im Übrigen sei der Winterabschiebestopp inklusive der Ausnahmen für Straftäter mit der CDU verabredet und bleibe bestehen.

Lisa Paus hat sich zur Bundesgesellschaftsministerin ernannt: „Selbstermächtigung der Grünen kennt keine Grenzen“

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Wegner regiert wie Rot-Grün-Rot: Als einziges Bundesland keine Abschiebungen im Winter

06.12.2023

CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger erinnert im Gespräch mit der Berliner Zeitung daran, dass „der Winterabschiebestopp keine Idee der CDU“ gewesen sei. Tatsächlich hatte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner die Praxis noch im September in einem Interview infrage gestellt. Er wolle mit dem Koalitionspartner darüber sprechen, ob „wir uns den Winterabschiebestopp von Oktober bis April leisten können“, hatte der CDU-Politiker angekündigt. Das Ergebnis war die Halbierung der Pause auf die Zeit von Ende Dezember bis Ende Februar.

Tatsächlich gab es solche Ausnahmen vom Winterabschiebestopp auch unter dem Vorgängersenat aus SPD, Grünen und Linken – sehr zum Unmut übrigens von Linke-Politiker Koçak. „Bereits unter Rot-Grün-Rot haben wir die weit gefassten Ausnahmen scharf kritisiert und gegenüber der Innensenatorin auf Änderungen gedrängt“, teilt er mit. Fragt sich am Ende, wer „wir“ ist.

So oder so wurden laut Innenverwaltung in den vier Monaten zwischen Anfang Dezember 2022 und Ende März 2023 – also Koçaks Koalitionszeit – insgesamt 157 Menschen abgeschoben. Wie wirksam der Winterabschiebestopp trotz der Ausnahmen ist, illustriert eine weitere Zahl: So wurden im November 2022 allein 175 Abschiebungen vorgenommen. Das waren mithin mehr als in den folgenden vier Monaten zusammen.

Dennoch bleibt Koçak, ein selbst ernannter Aktivist in den Bereichen Antirassismus, Antifaschismus und Klimagerechtigkeit, bei seiner Kritik. Er spricht von „nicht nachvollziehbaren Ausnahmen“, die zu weit gefasst seien. „Es ist abstrus, dass nach wie vor auch Menschen, die für Fahren ohne Fahrschein oder andere geringfügige Taten zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen verurteilt wurden, vom Winterabschiebestopp ausgenommen werden“, sagt Koçak.

CDU-Mann Dregger nennt diese Kritik „irrelevant“. Doch als Partner der SPD, die obendrein mit Iris Spranger die Innensenatorin stellt, muss auch er kompromissbereit sein. Also wertet Dregger es als „einen Erfolg, wenn es gelingt, eine hohe Zahl von Abschiebungen zu erreichen“, wie er der Berliner Zeitung sagt.

Es bleibt das Ziel, so viele Straftäter wie möglich abzuschieben. Auch im Winter.

Im Gespräch weist Dregger darauf hin, dass Berlin ohnehin eines der Bundesländer sei, „die in Sachen Abschiebung zu den erfolgreichsten gehören“. Dennoch sei es weiterhin das Ziel, „so viele Straftäter wie möglich abzuschieben. Auch im Winter.“ Deshalb sei man auf „einer permanenten Suche nach Optimierungsmöglichkeiten“.

Bei der Gelegenheit erteilt der innenpolitische Sprecher der größten Abgeordnetenhausfraktion Überlegungen eine Absage, die Ermessensspielräume des Landes Berlin in dem Bereich zu vergrößern. Die Schutzbedürftigkeitsprüfung solle beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verbleiben. „Ich habe kein Interesse an einer zweiten Ebene“, sagt Dregger.

QOSHE - Berliner Politik gespalten: Im Winter gilt ein Abschiebestopp – abgeschoben wird trotzdem - Elmar Schütze
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Berliner Politik gespalten: Im Winter gilt ein Abschiebestopp – abgeschoben wird trotzdem

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20.03.2024

Während des Winterabschiebestopps in Berlin vom 22. Dezember 2023 bis 28. Februar 2024 hat es mehrere Dutzend Ausnahmen gegeben: Trotz des aus humanitären Gründen beschlossenen Stopps wurden 73 abgelehnte Asylbewerber zurück in ihre Heimatländer oder in die EU-Länder gebracht, die sie als Erste aufgenommen hatten. Das geht aus einer Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Linke-Abgeordneten Ferat Koçak hervor. Während Koçak die Praxis scharf kritisiert, verteidigen Vertreter der schwarz-roten Koalition die Abschiebungen auch in der kalten Jahreszeit.

Wie aus der Antwort der Innenverwaltung hervorgeht, handelte es sich bei den Abgeschobenen um Menschen aus rund 20 Staaten, die wiederholt oder schwere Straftaten begangen hatten oder als sogenannte Gefährder der öffentlichen Sicherheit galten. Betroffen waren auch Menschen, gegen die mindestens drei strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Vergehen oder ein Ermittlungsverfahren wegen eines Verbrechens eingeleitet wurden. Zuvor sei jeder Einzelfall sorgfältig geprüft worden, hieß es.

Im Januar wurden demzufolge 41 Menschen abgeschoben, im Februar 32. Das größte Januar-Kontingent stellten Menschen aus Moldau (zwölf Abschiebungen), vor Georgien (neun) und Polen (sechs). Im Februar stand die Türkei an erster Stelle (sechs Fälle), es folgten Polen (vier) und Bulgarien (drei). Zu den Staaten, in die trotz des Stopps abgeschoben wurde, gehörten in jeweils einem Fall auch Nigeria, die Dominikanische Republik und die USA.

All diese Menschen........

© Berliner Zeitung


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