Zuerst die Zahlen, Daten, Fakten – nachzulesen auf der Webseite des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF): Im vergangenen Jahr wurden in Berlin 16.762 Asylbewerber registriert, das ist der höchste Wert seit 2016, dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise. Im ersten Monat 2024 waren es 922 Menschen.

Die meisten von ihnen stammen aus der Türkei, Vietnam, Syrien, Afghanistan und der Republik Moldau. Die Menschen aus der Ukraine genießen den Status von Kriegsflüchtlingen. Sie tauchen in diesen Statistiken nicht auf.

In Berlin leben zurzeit 35.017 Asylbewerber in Einrichtungen des LAF. Diese Einrichtungen sind verteilt über die gesamte Stadt. Doch nicht gleichmäßig.

Die Verteilung über die Bezirke erfolgt folgendermaßen: Pankow, Berlins einwohnerstärkster Bezirk, beherbergt und versorgt den größten Anteil der Menschen: 16,6 Prozent. Es folgt Tempelhof-Schöneberg (13,9 Prozent) vor Marzahn-Hellersdorf (12,1 Prozent), Lichtenberg (11,6 Prozent) und Treptow-Köpenick (9,7 Prozent). Am Ende steht Reinickendorf mit 3,7 Prozent. Das sind vier Ostbezirke unter den Top 5. Auch bei der absoluten Zahl von Einrichtungen liegt Pankow an der Spitze (17) und Reinickendorf wieder ganz hinten (5).

Als Gründe für die ungleiche Verteilung geben das LAF und Berlins Flüchtlingsunterbringungskoordinator Albrecht Broemme unisono an: Während die Innenstadtbezirke sehr dicht besiedelt sind, gibt es in den Außenbezirken, vor allem direkt an der Stadtgrenze, oft noch freie Flächen. Es bietet sich also an, dort zu bauen. Hinzu kommen vor allem in den Ostbezirken noch immer große Bestände an leer stehenden Gebäuden im öffentlichen Eigentum, die mit vergleichsweise geringem Aufwand belegungsfähig gemacht werden können.

gestern

18.02.2024

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Soweit zu den Zahlen, Daten, Fakten. Nun zu den Folgen daraus: Die ungleiche Verteilung der Asylbewerber über die zwölf Berliner Bezirke verstärkt in den betroffenen Bezirken und Kiezen noch ein vorherrschendes Gefühl der Ungleichbehandlung.

Exemplarisch zeigt sich das am Beispiel des Spitzenreiters Pankow. Dort ballen sich im relativ dünn besiedelten Norden (ausreichend Platz) und im Gewerbegebiet an der Storkower Straße in Prenzlauer Berg-Ost (leere Gebäude) die Einrichtungen. In beiden Fällen fehlen die dafür notwendigen Kapazitäten in der Umgebung. Die Folge ist: Die Bewohner schlagen seit Jahren bei jeder Neueröffnung Alarm, längst beklagt sich auch das Grün-geführte Bezirksamt darüber, von der Landesebene alleingelassen zu werden.

Tatsächlich nämlich ist die Versorgung à la „satt, sauber, trocken“ nur ein Teil der Aufgaben in der Asylbewerber- und Flüchtlingsunterbringung. Hinzu kommen die Bereitstellung von ausreichend Kita- und Schulplätzen sowie weiterer sozialer, medizinischer und integrierender Infrastruktur, aber auch insgesamt die Gestaltung eines auch nur irgendwie lebenswerten Umfelds. Jede Form von Ghettobildung soll vermieden werden. Und das ist häufig Aufgabe der Bezirke, die davon vielfach überfordert sind.

Und dabei fällt unweigerlich der Blick auf das Schlusslicht unter den Bezirken, auf Reinickendorf. Im Bezirk im Nordwesten befindet sich mit dem Ankunftszentrum Akuz auf dem ehemaligen Flughafen Tegel Berlins größte Flüchtlingsunterkunft mit derzeit rund 5000 Bewohnern. Und das Bezirksamt wird nicht müde, darauf hinzuweisen. Nach dem Motto: Wir haben unsere Pflicht übererfüllt.

Doch in Wahrheit kommt die gesamte Versorgung des Akuz vom Land Berlin. Der Bezirk muss wenig bis nichts beitragen: Ärzte, Betreuer, Kitas, Schule – alles in der gewaltigen Zelt- und Hüttenstadt, die auf dem Areal entstanden ist, wird vom Land bereitgestellt. Das hat auch Schattenseiten. Als vorige Woche die Bildungssenatorin eine Einrichtung voller Willkommensklassen in Tegel vorstellte, prägten Kritiker den Begriff Lagerschule. Ein böses Wort.

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Ein Gegenbeispiel zur Quasi-Insel Tegel ist das Gelände des früheren Flughafens Tempelhof. Dort ist die mittlerweile zweitgrößte Flüchtlingseinrichtung der Stadt entstanden. Allerdings müssen die umliegenden Bezirke – dazu gehören neben dem zuständigen Tempelhof-Schöneberg auch Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln – die gesamte Integrationsleistung schultern. Und sei es, um den Ärger und Unmut wegen überfüllter Kitas, Schulen und Arztpraxen in der Umgebung zu moderieren. Angesichts dieser massiven Unterschiede sieht selbst das LAF den Bezirk Reinickendorf in der Pflicht, mehr Flächen für weitere Unterkünfte zu benennen.

Man kann es drehen und wenden, differenzieren und analysieren: Am Ende bleibt der Blick auf die nackten Zahlen zwischen den Bezirken. Und diese sprechen die Sprache der Ungerechtigkeit, sie wecken Argwohn und mindern am Ende die Akzeptanz von Asylbewerberheimen im Bezirk wie in den Kiezen. Und sie treiben einen Keil zwischen Ost und West. Es sind schlechte Zahlen.

QOSHE - Flüchtlingsunterkünfte in Berlin: Warum es so nicht weitergehen kann - Elmar Schütze
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Flüchtlingsunterkünfte in Berlin: Warum es so nicht weitergehen kann

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20.02.2024

Zuerst die Zahlen, Daten, Fakten – nachzulesen auf der Webseite des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF): Im vergangenen Jahr wurden in Berlin 16.762 Asylbewerber registriert, das ist der höchste Wert seit 2016, dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise. Im ersten Monat 2024 waren es 922 Menschen.

Die meisten von ihnen stammen aus der Türkei, Vietnam, Syrien, Afghanistan und der Republik Moldau. Die Menschen aus der Ukraine genießen den Status von Kriegsflüchtlingen. Sie tauchen in diesen Statistiken nicht auf.

In Berlin leben zurzeit 35.017 Asylbewerber in Einrichtungen des LAF. Diese Einrichtungen sind verteilt über die gesamte Stadt. Doch nicht gleichmäßig.

Die Verteilung über die Bezirke erfolgt folgendermaßen: Pankow, Berlins einwohnerstärkster Bezirk, beherbergt und versorgt den größten Anteil der Menschen: 16,6 Prozent. Es folgt Tempelhof-Schöneberg (13,9 Prozent) vor Marzahn-Hellersdorf (12,1 Prozent), Lichtenberg (11,6 Prozent) und Treptow-Köpenick (9,7 Prozent). Am Ende steht Reinickendorf mit 3,7 Prozent. Das sind vier Ostbezirke unter den Top 5. Auch bei der absoluten Zahl von Einrichtungen liegt Pankow an der Spitze (17) und Reinickendorf wieder ganz hinten........

© Berliner Zeitung


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