Wie schneidet man im Notfall ein Kettenhemd auf, wenn ein verletzter Ritter in den Wäldern Berlins am Boden liegt? Und wie lange dauert der Kampf zwischen zwei Rittern? Was für die meisten Menschen Wissen vergangener Zeiten ist, gehört zu Frank Berliners Alltag.

Der 37-Jährige ist Gründungsmitglied der Berliner Rittergilde. Gemeinsam mit 200 Mitgliedern veranstaltet er regelmäßig historische Schaukämpfe und Schlachten in voller Montur: mit Rüstung, Schwert und Schild.

Ein Kampf zwischen zwei Rittern dauert laut Berliner oft nicht länger als eine Minute: Danach ist entweder einer der beiden Kontrahenten so erschöpft, dass er aufgeben muss, oder jemand hat längst die Überhand gewonnen. So erzählt es der Hobby-Ritter der Berliner Zeitung.

Frank Berliner ist Historischer Berater und arbeitet vor allem für Medienproduktionen und Softwareunternehmen, denen er sein Wissen über die mittelalterliche Epoche weitergibt. Wichtig ist ihm, dass dabei „das reguläre Publikum noch Spaß daran hat“.

Geschichtlich weiß man einiges über die Großstadt Berlin. Zu oft geht es dabei um das geteilte Deutschland oder die zwei Weltkriege. Das Mittelalter bleibt meist außen vor. Frank Berliner ist gebürtiger Berliner, und er findet es gerade spannend, sich mit der Umgebung zu beschäftigen, in der er groß geworden ist. Das Mittelalter in Berlin sieht er als „Tote-Winkel-Epoche“.

Den Großraum Berlin-Brandenburg finde ich sehr interessant, weil das eben eine Epoche ist, über die man eigentlich gar nichts weiß.

Berliner hat die hauptstädtische Rittergilde gegründet, weil ihn dieses Thema fasziniert. Als Alternative zu anderen Sportarten entwickelte er einen Kampfsport der etwas anderen Art. Statt mit Handschuhen im Ring wird bei ihm wie noch vor 800 Jahren mit Schwert und Rüstung gekämpft.

26.03.2024

26.03.2024

•gestern

26.03.2024

gestern

Berliner im Mittelalter: Fleisch war ihr Gemüse

11.12.2022

Ostermärkte in Berlin: Acht Tipps für die Feiertage

•vor 6 Std.

Dabei geht es nicht darum, die anderen Gegner zu besiegen oder gar zu verletzen. „Es geht beim Schaukampf, wie wir ihn betreiben, vornehmlich darum, etwas zu inszenieren, was dem Publikum gefallen soll. Aber es sind keine choreografierten Kämpfe wie im Film, sondern freie Kämpfe“, erzählt er.

Dass sie nicht mit richtigen Waffen kämpfen, ist ihm wichtig. Die Schwerter sind zwar aus Stahl, aber nicht geschärft, sodass sie juristisch nicht unter das Waffenrecht fallen und niemand schwerwiegend verletzt werden kann. Seiner „Rittergilde“ ist es trotzdem wichtig, intensiv zu trainieren, um Gefahren zu meiden. Intensiv heißt, dass man sich mit den Regeln der Gilde auseinandersetzt und den Umgang mit dem Schwert erlernt, als wäre man ein echter Ritter.

Seine „Gilde“ besteht aus 200 kampfbereiten Rittern. Die Geschlechterrolle ist kein Thema bei ihnen. Trotzdem gilt: „Wer eine bestimmte Rolle erfüllen möchte, muss auch dahinterstehen. Um das mal plakativ zu sagen: Wir haben keine holde Maid mit wehendem Haar, in leichtem Kleide, die ihr Schwert schwingt. Die Dame muss wie alle anderen auch eine Rüstung tragen“.

Zu beachten sind die physischen Voraussetzungen. Eine Rüstung kann bis zu 25 Kilogramm schwer sein. Wer Ritter sein möchte, muss also extreme Gewichte und Bedingungen aushalten. So heterogen wie das Mittelalter sind auch die Aufgaben eines Ritters. Frank Berliner bildet nicht nur im Schwert- und Schildkampf aus, sondern auch Bogen- und Armbrustschützen und die Kavallerie, also „Ritter zu Pferde“. Außerdem wird der Umgang mit Katapulten geschult.

Den Zweck seiner Organisation gliedert er in drei Bereiche. Priorität hat der Unterhaltungsfaktor. Den bieten sie vor allem auf mittelalterlichen Festen mit Zweikämpfen, aber auch für Filme und Musikvideos werden sie gebucht. Im Video zu „Deutschland“ von der Band Rammstein lieferten sie die Rüstungen – und zeigten Till Lindemann und Co., wie man sich in solch einer zu bewegen hat.

Zum Zweiten will er seinen Mitgliedern ein spannendes Hobby bieten, möchte „Kampfsport von einer ganz anderen Seite zeigen“. Des Weiteren geht es um Bildung und Wissensvermittlung über eine Zeit, die lange zurückliegt.

Karfreitags-Verbote: Respektvoll oder aus der Zeit gefallen?

heute

Schlagende Verbindungen: Blutige Zweikämpfe locken Hunderte nach Berlin

21.03.2024

Berliner gibt Unterricht in Schulen und benutzt seine Repliken von Schwert bis Schild, um den Kindern eine Vorstellung vom Mittelalter zu geben. Der Bildung zuliebe hat er das Projekt Stundenglasmedia ins Leben gerufen. Dieses Projekt dient der Vermittlung von Wissen über die Epoche des Mittelalters.

Wichtig ist ihm dort der persönliche Bezug: „Wir glauben, dass das Schaffen eines persönlichen Bezugs der erste Schritt beim Bilden eines geschichtlichen Bewusstseins ist. Daher visualisieren wir eine vergangene Epoche an den Orten, mit denen sich ein Publikum am besten identifizieren kann – dem eigenen Zuhause.“

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die diese Zeit gerne verklären. Wir haben heute dank vieler medialer Einflüsse über ‚Herr der Ringe‘ bis ‚Game of Thrones‘ eine sehr romantisierte Einstellung zum Mittelalter.

Das Mittelalter bietet für ihn mehr als eine Abwechslung zwischen Schlachten und Pest, Romanzen und Hinterhalt. Berliner ist es wichtig, ein grundständiges geschichtliches Bewusstsein der Vergangenheit zu haben. Es gilt zu lernen, was man verpasst hat, um so in der Zukunft Fehler zu vermeiden und besser mit Vergangenem zu arbeiten und Geschichtliches in einen Kontext zusammenzusetzen.

Ein sehr gutes Beispiel ist der Film „Avengers: Endgame“. Schaut man den Film beispielsweise mit der Großmutter, die vorher noch nie einen Marvel-Film gesehen hat, wird sie von dem Film nichts verstehen. „Sie kennt die Vorgeschichte nicht.“

Berliner sagt von sich, dass er kein Fan von Gewaltverherrlichung sei. „Ich bin der Meinung, dass Kampfsport eine ganz hervorragende Möglichkeit ist, die körperliche und geistige Disziplin zu stärken und zu beherrschen. Es geht darum, die eigene Kontrolle über sich und seinen Körper zu stärken und damit etwas zu erschaffen, woran andere Freude haben.“ Ganz wichtig sei an seinem Kampfsport das Miteinander.

Darum ist es auch so wichtig, die Regeln zu befolgen. Ein Berliner Ritter hat sich daran zu halten. Dazu gehört: Nüchtern sein. Auch wenn es im Mittelalter den ein oder anderen Wein vor dem Turnier gab, ist Alkohol vor einem Kampf heute ein absolutes Tabu.

Auch die politische Haltung gehört nicht in den Kampfsport: „Die Mitglieder unserer Organisation kommen aus 14 verschiedenen Nationen, und darüber freuen wir uns“, erklärt Berliner. Natürlich gebe es unterschiedliche Meinungen zu dem, was in der Welt so passiere. „Diese Meinungen haben hier aber nichts zu suchen, der Sport soll im Vordergrund stehen.“ Ebenso soll ein positives Bild nach außen getragen werden. Dazu gehören Charme, Freundlichkeit und ein familienfreundliches Verhalten.

Oster-Ritterfest in der Zitadelle Spandau: Mit der Axt aufeinander losgehen

10.04.2023

Zehlendorf: Aktivitäten im Freilichtmuseum Düppel während der Osterferien

20.03.2024

Ein Bild von mittelalterlichen Festen und Schaukämpfen kann sich jeder selbst machen. Am Osterwochenende gibt es in der Zitadelle Spandau ein Ritterfest. Drei Tage wird ein historisches Erlebnis geboten, das nicht nur für Mittelalter-Liebhaber interessant ist. Frank Berliner wird mit seinem Bildungsprojekt vor Ort sein. Die Eintrittspreise für das Fest sind ihm allerdings zu hoch. „Was heute als mittelalterliche Darstellung verkauft wird, ist oft Blödsinn“, erklärt Berliner. Es ginge zu sehr um Fantasy und Geld.

Frank Berliner ist trotz seiner 37 Jahre noch selbst aktiv in Ritterrüstung. Die Einheit von Kampfsport und Berliner Geschichte, die er präsentiert, ist aufregend und trotz alter Traditionen modern. Wer eine Abwechslung braucht, sollte sich einfach mal auf das „ritterliche Schlachtfeld“ trauen.

QOSHE - Berliner Rittergilde: Wo auch die „holde Maid“ eine Rüstung tragen muss - Ferdinand Hübner
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Berliner Rittergilde: Wo auch die „holde Maid“ eine Rüstung tragen muss

10 10
28.03.2024

Wie schneidet man im Notfall ein Kettenhemd auf, wenn ein verletzter Ritter in den Wäldern Berlins am Boden liegt? Und wie lange dauert der Kampf zwischen zwei Rittern? Was für die meisten Menschen Wissen vergangener Zeiten ist, gehört zu Frank Berliners Alltag.

Der 37-Jährige ist Gründungsmitglied der Berliner Rittergilde. Gemeinsam mit 200 Mitgliedern veranstaltet er regelmäßig historische Schaukämpfe und Schlachten in voller Montur: mit Rüstung, Schwert und Schild.

Ein Kampf zwischen zwei Rittern dauert laut Berliner oft nicht länger als eine Minute: Danach ist entweder einer der beiden Kontrahenten so erschöpft, dass er aufgeben muss, oder jemand hat längst die Überhand gewonnen. So erzählt es der Hobby-Ritter der Berliner Zeitung.

Frank Berliner ist Historischer Berater und arbeitet vor allem für Medienproduktionen und Softwareunternehmen, denen er sein Wissen über die mittelalterliche Epoche weitergibt. Wichtig ist ihm, dass dabei „das reguläre Publikum noch Spaß daran hat“.

Geschichtlich weiß man einiges über die Großstadt Berlin. Zu oft geht es dabei um das geteilte Deutschland oder die zwei Weltkriege. Das Mittelalter bleibt meist außen vor. Frank Berliner ist gebürtiger Berliner, und er findet es gerade spannend, sich mit der Umgebung zu beschäftigen, in der er groß geworden ist. Das Mittelalter in Berlin sieht er als „Tote-Winkel-Epoche“.

Den Großraum Berlin-Brandenburg finde ich sehr interessant, weil das eben eine Epoche ist, über die man eigentlich gar nichts weiß.

Berliner hat die hauptstädtische Rittergilde gegründet, weil ihn dieses Thema fasziniert. Als Alternative zu anderen Sportarten entwickelte er einen Kampfsport der etwas anderen Art. Statt mit Handschuhen im Ring wird bei ihm wie noch vor 800 Jahren mit Schwert und Rüstung gekämpft.

26.03.2024

26.03.2024

•gestern

26.03.2024

gestern

Berliner im Mittelalter: Fleisch war ihr Gemüse

11.12.2022

Ostermärkte in Berlin: Acht Tipps für die........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play