Am Straßenrand an der Haltestelle des Hauptbahnhofs steht ein Bus der Linie M41 in einer Ecke. Die Fahrgäste warten etwas weiter vorne, bis es losgeht. „Ruhepause“ steht auf einem Schild, das sich neben dem Bus befindet. Der Fahrer sitzt dort und schaut aus dem Fenster.

Es ist kurz nach Mittag, und es ist nicht viel los. Manche Touristen sind gerade mit dem Zug angekommen und wollen ihr Gepäck ablegen, bevor sie die Stadt erkunden. Eine ältere Frau möchte eine Freundin am Hermannplatz besuchen.

Der Busfahrer hat noch drei Minuten Zeit, um seine Augen auszuruhen – danach muss er etwa 45 Minuten fahren, um die Endhaltestelle in der Sonnenallee zu erreichen. Er fährt noch einmal mit seiner Hand durch seinen langen graumelierten Bart, dann ist es schon so weit. Er schaut auf seine Armbanduhr, zieht Handschuhe an und schließt die Türen. Dann fährt er los.

Nach der ersten Kurve hält er seine Hand vors Gesicht, die Sonne scheint an diesem außergewöhnlich schönen Januartag besonders stark. Rasch zieht er den Sonnenschutz nach unten, der am oberen Teil der Windschutzscheibe befestigt ist. Jetzt kann er wieder klar sehen. „Man hat als Busfahrer viel Verantwortung“, sagt Marco. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen, deswegen wurde er von der Redaktion geändert. Es sei nicht immer leicht, den ganzen Tag konzentriert zu bleiben. „Wenn ich auch nur einen Fehler mache, bin ich ruiniert!“

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28.01.2024

27.01.2024

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Die M41 ist praktisch leer. Außer ein paar Touristen und einer alten Frau ist im langen Mercedes-Bus niemand. Das ist auch zeitlich bedingt; am Samstagabend soll es zum Beispiel insbesondere auf dieser Linie randvoll sein. Doch schon am Potsdamer Platz steigen ein Dutzend Fahrgäste ein. Ein Mann grüßt sogar den Fahrer, was sehr selten ist, sagt Marco.

„Vor Corona war alles anders“, sagt Marco. Davor sei er als Fahrer noch öfter gegrüßt worden, erzählt er. Doch während der Pandemie haben sich die Menschen drastisch verändert. „Heute ist der Umgang wesentlich unfreundlicher“, sagt er und kritisiert dabei die Gesellschaft. Er zieht einen seiner Handschuhe aus, holt einen Notizblock heraus und notiert etwas.

Im Bus ist es besonders ruhig. Eine Frau hat sich in ein Buch vertieft. Sie liest gerade Heinrich Bölls „Ansichten eines Clowns“, als Lesezeichen benutzt sie ihre Fahrkarte. Die Frau hatte sie bereits am Hauptbahnhof abgestempelt - ob das auch alle anderen Fahrgäste gemacht haben? Sie hebt die Augen und merkt, dass sie gerade ihre Haltestelle verpasst hat. Dann steht sie auf und läuft gelassen zur Tür. Es ist wohl nicht das erste Mal.

Am Wochenende sei es im Bus wesentlich lauter, sagt Marco. Doch das würde ihn nicht stören, ganz im Gegenteil: „Wenn Betrunkene einsteigen, dann bin ich froh“, sagt der Busfahrer. „Dann weiß ich nämlich, dass sie sich nicht berauscht ans Steuer setzen.“ Er bringt sie gesund und munter ans Ziel.

Über den kommenden Warnstreik am Freitag, den die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ausgerufen haben, möchte er lieber nicht reden. Darüber würde sich die Pressestelle Sorgen machen. Die BVG wird am 2. Februar bestreikt, wobei U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse vom frühen Morgen bis 10 Uhr betroffen sind. Verdi plant auch bundesweit Streiks bei über 130 kommunalen Verkehrsbetrieben, darunter 14 in Brandenburg, die den gesamten Tag dauern sollen.

Warnstreik bei der BVG: Das sind die Einzelheiten – und so reagiert Berlin

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Ein ganz normaler Tag bei der BVG: Was Fahrgäste und Personal erdulden müssen

04.12.2023

Am Halleschen Tor wird es im Bus etwas lauter. Ein paar Jungs kommen gerade aus der Schule, sie steigen ein und lassen ihre Schulranzen auf dem Boden liegen. Sie sprechen Türkisch und Deutsch miteinander. Einer von ihnen hält einen Döner in der Hand, ein anderer einen Fußball. „Gib mal her, Habibi“, sagt ein Junge, der eine Winterjacke des Berliner Amateurvereins Türkiyemspor Berlin trägt.

Sie steigen einige Haltestellen später am Hermannplatz aus, genauso wie die ältere Frau, die ihre Freundin besucht. Auf diesem Teil der Sonnenallee müssen sich Busfahrer besonders konzentrieren. Autos bleiben auf den Straßen einfach stehen, Fahrräder kommen aus allen Richtungen. Gerade hat ein Fahrrad der M41 die Straße abgeschnitten, Marco reagiert schnell, kommentiert anschließend das Fehlverhalten mit einem kurzen Hupen. „Unerhört“, murmelt er.

Der 50-Jährige ist seit sieben Jahren in Berlin Busfahrer, davor hatte er viele Jahre lang in der Gastronomie gearbeitet. „Dann war es mir zu viel“, sagt Marco. Jetzt habe er Spaß an seiner Arbeit. In seiner Freizeit könne er aber nicht mehr Auto fahren: „Das ist mir jetzt zu langweilig“, sagt Marco und lacht. Dafür habe er seinen Sohn, der gerne den privaten Fahrer für ihn spielt.

QOSHE - „Wenn ich auch nur einen Fehler mache, bin ich ruiniert!“ – eine Fahrt mit der Linie M41 - Franz Becchi
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„Wenn ich auch nur einen Fehler mache, bin ich ruiniert!“ – eine Fahrt mit der Linie M41

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30.01.2024

Am Straßenrand an der Haltestelle des Hauptbahnhofs steht ein Bus der Linie M41 in einer Ecke. Die Fahrgäste warten etwas weiter vorne, bis es losgeht. „Ruhepause“ steht auf einem Schild, das sich neben dem Bus befindet. Der Fahrer sitzt dort und schaut aus dem Fenster.

Es ist kurz nach Mittag, und es ist nicht viel los. Manche Touristen sind gerade mit dem Zug angekommen und wollen ihr Gepäck ablegen, bevor sie die Stadt erkunden. Eine ältere Frau möchte eine Freundin am Hermannplatz besuchen.

Der Busfahrer hat noch drei Minuten Zeit, um seine Augen auszuruhen – danach muss er etwa 45 Minuten fahren, um die Endhaltestelle in der Sonnenallee zu erreichen. Er fährt noch einmal mit seiner Hand durch seinen langen graumelierten Bart, dann ist es schon so weit. Er schaut auf seine Armbanduhr, zieht Handschuhe an und schließt die Türen. Dann fährt er los.

Nach der ersten Kurve hält er seine Hand vors Gesicht, die Sonne scheint an diesem außergewöhnlich schönen Januartag besonders stark. Rasch zieht er den Sonnenschutz nach unten, der am oberen Teil der Windschutzscheibe befestigt ist. Jetzt kann er wieder klar sehen. „Man hat als Busfahrer viel Verantwortung“, sagt Marco.........

© Berliner Zeitung


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