Eine lange Schlange hat sich um die Mittagszeit vor dem Geldautomaten der Sparkasse in der Hasenheide in Berlin-Neukölln gebildet. Das Warten dauert zum Glück nicht lange. Ein älterer Herr hebt ein paar blaue Scheine ab und steckt sie in die Brieftasche. Über seiner Schulter hängt eine Stofftasche; er will am Hermannplatz einkaufen, dort findet heute ein Markt statt. Doch ohne Bargeld bliebe die Tasche leer.

Viele entscheiden sich heutzutage für eine kontaktlose Zahlung mit Karte oder Handy. In der Hauptstadt ist jedoch die Kartenzahlung an mehreren Orten unerwünscht. Woran liegt das, und wie sieht es in anderen Ländern der Europäischen Union aus?

„Die Gebühren sind bei Kartenzahlungen zu hoch“, sagt Hassan Awad. Er steht an der Kasse beim Späti47 in der Sonnenallee. Wer bei ihm einkauft, muss Cash dabeihaben – Kartenzahlung ist hier nicht möglich.

Etwa 700 Euro im Monat würde der Laden an Gewinn verlieren, wenn er ein sogenanntes POS-Terminal benutzen würde, also ein mobiles Kartenlesegerät, schätzt der Verkäufer. „An einer Packung Zigaretten, die mit Karte bezahlt wird, würde ich nur 50 Cent verdienen.“ Eine Barzahlung bringe mehr. Die Kunden wüssten mittlerweile alle Bescheid; die meisten Läden in der Gegend seien nur bargeldfreundlich. Tatsächlich akzeptieren nur wenige Neuköllner Läden digitale Zahlungsmethoden.

In Berlin und Brandenburg ist die Nachfrage nach Barzahlungen noch hoch, wenngleich sie jedes Jahr um einige Prozentpunkte sinkt. So wurden im Jahr 2022 nur noch circa 37,5 Prozent des stationären Einzelhandelsumsatzes in bar abgewickelt. 2015 waren es noch 53,4 Prozent, geht aus Studien des Handelsforschungsinstituts EHI hervor. Im Allgemeinen weicht die Tendenz in der Hauptstadt nicht wesentlich von der auf Bundesebene ab: Elektronische Zahlungen nehmen zu.

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Von EC-Karten will aber auch das vietnamesische Restaurant Family Quan in der Wildenbruchstraße nichts wissen. „Nur Barzahlung“, steht auf einem Schild an der Kasse. „Das hat mehrere Gründe“, sagt die Kellnerin Minh Thuy Dao. „Wenn der Kartenleser schlappmacht oder die Verbindung schlecht ist, dann kommt es zu Problemen.“ Bei Bargeld würde dies nie der Fall sein.

Auch das Trinkgeld sinke bei einer digitalen Zahlung wegen der Gebühren. „Bei Bargeldzahlung bekommt man, was einem zusteht“, sagt Thuy Dao. Sie selbst würde jedoch oft mit Karte zahlen, sagt die Vietnamesin und lacht. „Ich vergesse oft, Bargeld abzuheben, und die Karte ist eigentlich ganz praktisch“, gibt sie zu.

In der Gegend gibt es jedoch eine große Ausnahme: das Café Geschwister Nothaft direkt am S-Bahnhof Sonnenallee. An diesem sonnigen Apriltag ist es drinnen und draußen voll. An der Kasse klirren jedoch keine Münzen. Das Einzige, was hier klirrt, sind die Kaffeetassen. Das Geräusch, das man hier mit Geld verbindet, ist ein elektronisches Piepen, das aus einem POS-Terminal ertönt.

Im Gegensatz zu vielen Läden in der Gegend wird hier kein Cash akzeptiert. Einerseits wolle man damit Diebstähle vermeiden, sagt ein Kellner, der sich jedoch schnell wieder auf seine Arbeit konzentrieren muss, der Kartenleser funktioniert plötzlich nicht, und die Warteschlange wird länger. Wie beim Reifenwechsel in einem Formel-1-Rennen tauscht er in Sekundenschnelle die Batterie des Geräts aus. Dann können die EC-Karten wieder benutzt werden.

In Deutschland genießen Händler große Freiheit bei der Wahl ihrer Zahlungsmethoden. Sie können selbst entscheiden, wie Kunden, Dienstleistungen und Produkte vergütet werden sollen. Diese Freiheit zeigt sich auch in der Möglichkeit, Mindestwerte für Kartenzahlungen festzulegen. Eine solche Praxis ist in der Sonnenallee selten, aber dennoch möglich, wie zum Beispiel in der Konditorei Damaskus.

„Die meisten Kunden zahlen bei uns mit Karte“, sagt der Kassierer Alsakka Tamim. Er stellt gerade frischgebackene Baklavas in der Vitrine aus. Doch um eine einzige Baklava zu naschen, braucht man auch hier Bargeld. Erst ab zehn Euro lässt die Konditorei Kartenzahlungen zu, wie viele Cafés und Restaurants in Berlin. Diesen Wert kann der Betreiber in Deutschland nach Belieben festlegen.

In anderen EU-Ländern haben Händler nicht dieselbe Freiheit wie in Deutschland. In Italien zum Beispiel: Dort sind Verkäufer sogar verpflichtet, den Kunden elektronische Zahlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht gibt es hier bereits seit dem Jahr 2014, doch erst acht Jahre später wurde sie von der damaligen Draghi-Regierung konsequent durchgesetzt.

Im Juni 2022 wurden für italienische Händler, die im Laden kein funktionierendes POS-Terminal haben, Bußgelder eingeführt. Wer sich weigert, diese Maßnahme umzusetzen, muss mit einer Geldstrafe von 30 Euro sowie vier Prozent vom Wert der abgelehnten Kartenzahlung rechnen. Für eine abgelehnte Kartenzahlung von 100 Euro riskieren Händler also eine Gesamtstrafe von 34 Euro.

Man wolle die Schattenwirtschaft bekämpfen, lautete das Argument der Politik für die Einführung der Zwangskartenzahlung. Dass diese exklusiv von Bargeldzahlung befördert werde, lässt sich jedoch schwer beweisen. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Bundesbank: Im Zuge der Digitalisierung würden illegale Transaktionen ebenso online abgewickelt, insbesondere im Darknet, wie aus einem Bericht aus dem Jahr 2019 hervorgeht.

Die Maßnahme stieß in Italien auch auf Protest. Wie beim historischen Café und Konditorei Mangini in Genua. „Dem EU-Recht zufolge sind Banknoten und Münzen die gewöhnliche Zahlungsmethode“, sagt der Betreiber des Cafés, Giacomo Rossignotti. Seine Familie führt das Café bereits seit 1957.

„Wenn der Staat Kartenlesegeräte zur Pflicht macht, müssten dann auch Karten- und Barzahlungen gleichwertig sein“, erklärt Rossignotti. Durch die Gebühren sei dies jedoch nicht so. Bei EC-Karten liegen die Gebühren zwischen 0,23 und 0,3 Prozent vom Wert der Transaktion. Bei Kreditkarten sind sie höher und betragen im Schnitt zwischen einem und drei Prozent. Dem Unternehmer zufolge sollten die Gebühren im Falle einer Kartenzahlungspflicht wegfallen.

Sein Protest sei „eine Frage des Prinzips“, sagt er. Eine Kundin will zahlen. Für ihren Cappuccino und ein Croissant würden ein paar Euro-Münzen ausreichen. Doch die Frau hat kein Geld dabei. Stattdessen zieht sie eine American-Express-Karte aus dem Portemonnaie. Rossignotti lächelt und zeigt auf die Schilder, die darauf hinweisen, dass Karten hier nicht erwünscht seien. „Das geht aufs Haus“, sagt er und verabschiedet sich freundlich.

„Man will uns alles wegnehmen“, klagt Maurizio Romania. Seit 35 Jahren arbeitet er im Café Mangini. Er unterstützt den Protest seines Arbeitgebers: „Es geht um unsere Freiheit“, sagt er. Romania selbst benutze manchmal die Karte, jedoch eher bei größeren Beträgen. Beim Zahlen von kleineren Summen, etwa für einen Kaffee, vollziehe er dies jedoch nicht nach. „Bargeld ist einfach wichtig“, sagt der Genueser. Er befürchtet, dass Bargeld irgendwann vollkommen abgeschafft wird. Außerdem würde er beim Einkaufen gerne selbst über die Zahlungsart entscheiden.

In einer bargeldlosen Gesellschaft sind elektronische Zahlungsmethoden wie Kreditkarten, mobile Geldbörsen und digitale Transaktionen weit verbreitet und Bargeldtransaktionen nicht vorhanden. So sollen Effizienz und Bequemlichkeit gefördert werden – doch dahinter verbergen sich auch potenzielle Herausforderungen hinsichtlich Datenschutz, digitalem Ausschluss und der Abhängigkeit von Technologie. Was passiert zum Beispiel bei einem großen Stromausfall?

Trotz des Bestrebens von Staaten und Banken nach bargeldloser Zahlung scheint eine vollkommene Abschaffung von Bargeld noch nicht in Sicht zu sein. Der Handelsverband Berlin-Brandenburg lehnt eine Kartenlesegerätepflicht nach italienischem Beispiel ab: „Es sollte Handel und Verbrauchern überlassen bleiben, wie gezahlt wird und welche Zahlungsangebote bereitgestellt und genutzt werden“, sagt Christine Minkley, Regionalleiterin im Handelsverband Berlin-Brandenburg e.V., der Berliner Zeitung.

Der Handelsverband ist der Auffassung, dass Bargeld auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird. Wichtig sei eine sichere und nachvollziehbare Gestaltung des Zahlungsverkehrs für die Beteiligten, mit einer Vereinfachung der Bürokratie und der Zahlungsvorgänge. Minkley zufolge sollte der Anspruch gelten: „Selbstbestimmt, bis zum Ende des Lebens.“

Das wünscht sich auch Rossignotti. Wegen der verweigerten Kartenzahlung bei einer verkauften Wasserflasche hat der Italiener bereits eine Geldstrafe bekommen. Auf diesen Moment hat der Unternehmer gewartet – er möchte vor einem Gericht beweisen, dass die Maßnahme widersprüchlich ist. „Gut, dass die Staatsanwaltschaft direkt hier neben dem Laden ist“, sagt er. Diese sei nämlich der erste Ansprechpartner bei Geldstrafen.

Im Sekundentakt tippt der Unternehmer die Rechnungen an der Kasse ab und zählt mit schnellen Fingern das Wechselgeld. Einige setzen auf Kartenzahlungen aus hygienischen Gründen, doch Rossignotti schreckt nicht vor Bakterien zurück. „Diese Routine hält mein Gehirn schön trainiert“, sagt er. Bei Kartenzahlungen hätte er nichts zu zählen.

Insgesamt scheinen Bargeldliebhaber keine grundsätzliche Abneigung gegen Karten zu haben. Einige geben sogar zu, sie gelegentlich zu nutzen. Dennoch sollten ausschließliche Kartenzahler sich fragen, ob sie bereit wären, in einer Wohnung ohne Treppen und mit nur einem Aufzug zu leben, der ihnen jedes Mal zur Verfügung steht, wenn sie dafür bezahlen, und dessen Nutzung sogar verweigert werden kann, wenn sie dem Betreiber unsympathisch sind. Es sollte bedacht werden: Nutzt den Aufzug, aber nehmt bitte nicht die Treppe weg.

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Bargeld statt Kartenzahlung in Berlin: „Man will uns alles wegnehmen!“

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22.04.2024

Eine lange Schlange hat sich um die Mittagszeit vor dem Geldautomaten der Sparkasse in der Hasenheide in Berlin-Neukölln gebildet. Das Warten dauert zum Glück nicht lange. Ein älterer Herr hebt ein paar blaue Scheine ab und steckt sie in die Brieftasche. Über seiner Schulter hängt eine Stofftasche; er will am Hermannplatz einkaufen, dort findet heute ein Markt statt. Doch ohne Bargeld bliebe die Tasche leer.

Viele entscheiden sich heutzutage für eine kontaktlose Zahlung mit Karte oder Handy. In der Hauptstadt ist jedoch die Kartenzahlung an mehreren Orten unerwünscht. Woran liegt das, und wie sieht es in anderen Ländern der Europäischen Union aus?

„Die Gebühren sind bei Kartenzahlungen zu hoch“, sagt Hassan Awad. Er steht an der Kasse beim Späti47 in der Sonnenallee. Wer bei ihm einkauft, muss Cash dabeihaben – Kartenzahlung ist hier nicht möglich.

Etwa 700 Euro im Monat würde der Laden an Gewinn verlieren, wenn er ein sogenanntes POS-Terminal benutzen würde, also ein mobiles Kartenlesegerät, schätzt der Verkäufer. „An einer Packung Zigaretten, die mit Karte bezahlt wird, würde ich nur 50 Cent verdienen.“ Eine Barzahlung bringe mehr. Die Kunden wüssten mittlerweile alle Bescheid; die meisten Läden in der Gegend seien nur bargeldfreundlich. Tatsächlich akzeptieren nur wenige Neuköllner Läden digitale Zahlungsmethoden.

In Berlin und Brandenburg ist die Nachfrage nach Barzahlungen noch hoch, wenngleich sie jedes Jahr um einige Prozentpunkte sinkt. So wurden im Jahr 2022 nur noch circa 37,5 Prozent des stationären Einzelhandelsumsatzes in bar abgewickelt. 2015 waren es noch 53,4 Prozent, geht aus Studien des Handelsforschungsinstituts EHI hervor. Im Allgemeinen weicht die Tendenz in der Hauptstadt nicht wesentlich von der auf Bundesebene ab: Elektronische Zahlungen nehmen zu.

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Auch das Trinkgeld sinke bei einer digitalen........

© Berliner Zeitung


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