Am 25. April hätte der Schriftsteller Antonio Scurati im italienischen öffentlichen Rundfunk Rai einen Monolog zum Nationalfeiertag vorlesen sollen. An diesem Tag wird des Endes der deutschen Besatzung in Italien und des faschistischen Regimes während des Zweiten Weltkriegs gedacht. Dazu kam es jedoch nicht. Scurati wurde kurz vor dem geplanten TV-Auftritt ausgeladen.

Laut der Leitung von Rai waren die Honorarforderungen des Schriftstellers zu hoch. Die Opposition spricht dagegen von Zensur. Diesem Entschluss scheint auch die ARD in den „Tagesthemen“ zuzustimmen. Am Sonntagabend berichtet die Fernsehsendung über Scuratis Ausladung.

Kritik an der „postfaschistischen Regierung“ von Giorgia Meloni sei nicht leicht zu üben, raunte die Moderatorin Jessy Wellmer. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk schaut mit Besorgnis auf die Entwicklung der Presse- und Meinungsfreiheit in Italien. Doch wie sieht es eigentlich in Deutschland aus?

Seit Giorgia Meloni in Italien an die Macht gekommen ist, gab es beim Rai radikale Veränderungen. Moderatoren und Journalisten, die viele Jahre einen prominenten Platz in politischen Sendungen hatten, wurden beiseitegeschoben und sind zur besser bezahlenden privaten Konkurrenz abgewandert.

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Dass politische Einflussnahme in Italien nichts Neues sei, behauptete Wellmer ebenfalls, als sie den Beitrag in den „Tagesthemen“ ankündigte. Doch Proteste von Journalisten und Nachrichtensprechern würden der Angelegenheit einen „brisanten“ Aspekt verleihen.

Im italienischen öffentlichen Fernsehen wurden Protesterklärungen von Journalisten und Moderatoren live vorgelesen, ebenso wie Scuratis 3500 Zeichen langer Monolog, für den er 1500 Euro erhalten sollte. Dieser wurde im Nachhinein sogar von der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in den sozialen Medien veröffentlicht, um zu zeigen, dass sie keine Angst vor Kritik habe.

Scuratis Kernpunkt: Meloni habe sich nicht von ihrer Vergangenheit distanziert und würde die Demokratie infrage stellen, wenn sie sich nicht als „Antifaschistin“ bezeichnen würde. Scuratis Gesicht zierte über das Wochenende jedes italienische Medium.

Auch in Deutschland liegt ein besonderer Fokus auf allem, was „rechts“ sein soll. Die Alternative für Deutschland (AfD) könnte in den nächsten Wahlen so viele Stimmen wie nie zuvor erhalten. Um die möglichen Folgen einer rechten Regierung darzustellen, hat sich die ARD auf die jüngste italienische Polemik gestürzt. Der Schriftsteller Scurati selbst wurde von der ARD kontaktiert, um seine Haltung auch dem deutschen Publikum zu erklären.

Diese Berichterstattung der „Tagesthemen“ entbehrt jedoch nicht einer gewissen Heuchelei. Denn es ist kaum eine Woche her, dass in Berlin der israelkritische Palästina-Kongress unter noch nicht vollständig geklärten Umständen verboten wurde. Zudem soll die Einreise einiger Redner sogar verboten worden sein, wie die von Ghassan Abu Sitta, dem Rektor der University of Glasgow. Die Maßnahme wurde politisch weitestgehend begrüßt, doch die Berichterstattung fiel eher knapp aus.

Die Redaktion der „Tagesschau“ schien den Vorfall nicht für besonders relevant zu halten – in den „Tagesthemen“ fand das Verbot zumindest keinen Platz. Die Frage, ob es beim Verbot des Palästina-Kongresses um eine mögliche Einschränkung der Meinungsfreiheit geht, wurde nicht gestellt. Teilnehmer des Kongresses befragten die „Tagesthemen“ nicht.

Grüne nimmt Einfluss auf die „Tagesschau“: Berichte über Demos gegen AfD statt Bauernproteste

18.01.2024

„Nachrichten zu machen bedeutet, Nachrichten zu gewichten und eine Auswahl zu treffen“, sagt die Redaktion von ARD-aktuell auf Anfrage der Berliner Zeitung. Es werde jeden Tag aufs Neue darüber diskutiert und darum gerungen, über welche Ereignisse in welchem Umfang berichtet werde. Außer ein paar Online-Beiträgen zum Verbot des Palästina-Kongresses ist im ARD-Programm wenig zu finden. Die ARD-Redaktion hielt anscheinend einen Beitrag zum Lachgas für bedeutender.

Die Büchse der Pandora wurde jedoch schon vorher geöffnet, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner Aufgabe einer kritischen Berichterstattung während der Corona-Zeit scheiterte. Subjektive und politisch geprägte Berichte begünstigten eine Spaltung der Gesellschaft und verweigerten jegliche Art des demokratischen Austauschs – über die umstrittenen Maßnahmen wie Lockdowns oder auch die möglichen gesundheitlichen Folgen der Corona-Impfung.

Zuletzt behauptete sogar die NDR-Rundfunkrätin Jessica Kordouni (Bündnis 90/Die Grünen), Gespräche mit der „Tagesschau“-Chefredaktion gehabt zu haben, in denen sie eine umfassendere Berichterstattung in den „Tagesthemen“ über „Demos gegen rechts“ für angebrachter gehalten hätte als über die damaligen Bauernproteste. Der ÖRR weist jeden politischen Einfluss zurück. Kordouni antwortete auf eine Anfrage der Berliner Zeitung nie. Klarheit zum Vorfall wurde diesbezüglich nicht geschaffen.

Angesichts dieser Vorkommnisse stellt sich die Frage: Wenn Giorgia Meloni die Meinungsfreiheit beschneidet, weil sie „ultrarecht“ und „postfaschistisch“ ist, wie ist die Beschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland durch die Ampel zu bewerten?

QOSHE - Heuchelei des ÖRR: Besorgt um die Pressefreiheit in Italien, aber nicht um die in Deutschland - Franz Becchi
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Heuchelei des ÖRR: Besorgt um die Pressefreiheit in Italien, aber nicht um die in Deutschland

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24.04.2024

Am 25. April hätte der Schriftsteller Antonio Scurati im italienischen öffentlichen Rundfunk Rai einen Monolog zum Nationalfeiertag vorlesen sollen. An diesem Tag wird des Endes der deutschen Besatzung in Italien und des faschistischen Regimes während des Zweiten Weltkriegs gedacht. Dazu kam es jedoch nicht. Scurati wurde kurz vor dem geplanten TV-Auftritt ausgeladen.

Laut der Leitung von Rai waren die Honorarforderungen des Schriftstellers zu hoch. Die Opposition spricht dagegen von Zensur. Diesem Entschluss scheint auch die ARD in den „Tagesthemen“ zuzustimmen. Am Sonntagabend berichtet die Fernsehsendung über Scuratis Ausladung.

Kritik an der „postfaschistischen Regierung“ von Giorgia Meloni sei nicht leicht zu üben, raunte die Moderatorin Jessy Wellmer. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk schaut mit Besorgnis auf die Entwicklung der Presse- und Meinungsfreiheit in Italien. Doch wie sieht es eigentlich in Deutschland aus?

Seit Giorgia Meloni in Italien an die Macht gekommen ist, gab es beim Rai radikale Veränderungen. Moderatoren und Journalisten, die viele Jahre einen prominenten Platz in politischen Sendungen hatten, wurden beiseitegeschoben und sind zur besser bezahlenden privaten Konkurrenz abgewandert.

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