Kamil F. hält die rechte Hand vor den Mund und runzelt die Stirn. Mit seinen nach hinten gekämmten dunkelbraunen Haaren sitzt der 40-Jährige in schwarzer Jeans und ebenso schwarzem Pullover im Saal 572 des Amtsgerichts Tiergarten in der Turmstraße. Er wartet darauf, dass die Anwesenden ihren Eid ablegen und die Hauptverhandlung wegen versuchten Betrugs an diesem Mittwochvormittag beginnen kann.

Am 29. September vorigen Jahres soll Kamil F. gemeinsam mit einem oder mehreren unbekannten Komplizen versucht haben, sich rechtswidrig Vermögen zu verschaffen. Eine Komplizin soll ein älteres Ehepaar angerufen haben, um ihnen zu sagen, dass deren Tochter in einen Autounfall mit Todesfolge verwickelt gewesen sei. Um ihre Tochter zu befreien, müssten sie 76.000 Euro zahlen, die an Kamil F. übergeben werden sollten. Das Ehepaar habe den Betrug jedoch erkannt und den Angeklagten aus Stettin als Täter identifiziert. Dieser behauptet am Mittwoch, die Tat zu bereuen.

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Kamil F. blickt dem Geschädigten Edmund D. während seiner Aussage direkt in die Augen. Die Ehefrau des Rentners ist bei der Verhandlung aufgrund einer schweren Krankheit nicht anwesend, sagt D. Sie sei erst vor kurzem aus dem Krankenhaus entlassen worden.

Edmund D. war 35 Jahre lang als Polizeibeamter tätig. Das wird auch an seiner Ausdrucksweise deutlich, als er dem Richter den Vorfall schildert. Kurz vor Prozessbeginn hatte er vor dem Saal noch darüber gesprochen und gelacht – im Zeugenstand aber ist ihm bezüglich des Falls gar nicht zum Lachen zumute. „Es hat so wehgetan!“, sagt Edmund D. und muss eine lange Pause machen, bevor er die richtigen Worte findet.

Es war kurz nach 16 Uhr, als das Telefon des Ehepaars klingelt. Eine Frau gab vor, von der Staatsanwaltschaft zu sein, und behauptete, dass deren Tochter in einen tödlichen Unfall verwickelt war. Als sie mit dem Auto unterwegs war, habe sie an einer Kreuzung einen Radfahrer übersehen. Sie soll ihn überfahren und dadurch getötet haben. Um die Tochter zu befreien, soll eine Kaution in Höhe von 76.000 Euro gezahlt werden.

29.01.2024

29.01.2024

29.01.2024

gestern

gestern

Den Anruf hatte seine kranke Frau entgegengenommen, die er emotional getroffen auffand. „Sie war blass und hat gezittert“, sagt das Opfer. Kurz danach habe er begriffen, dass der Anruf nicht authentisch war. Beide Autos waren noch bei ihnen zu Hause geparkt, deren Tochter konnte deswegen nicht im angeblichen Unfall verwickelt sein, erklärt Edmund D. dem Richter.

Die Betrugsmasche ist nicht neu, jedoch fallen immer wieder Menschen, hauptsächlich ältere, drauf rein. Es handelt sich dabei um den sogenannten Enkeltrick. Täter geben sich am Telefon oder per Kurznachricht als Verwandte in einer Notlage aus. Sie versuchen dann, ihre Opfer dazu zu bewegen, Geld an sie zu überweisen oder an der Haustür zu übergeben.

Mit den neuen Technologien, wie zum Beispiel der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz, ist es jetzt für Betrüger leichter geworden, auch Stimmen künstlich nachzumachen. Wie im Fall der Berliner Mutter Hannah K., die einen Betrugsanruf mit der Stimme ihrer Tochter erhalten hat. Die Berliner Zeitung hat berichtet.

Doch das Rentner-Ehepaar ist nicht auf die Masche hereingefallen. Als Edmund D. verstanden hat, dass der Anruf nicht echt war, hat er mitgespielt. „Ich habe den Spieß umgedreht“, sagt er. Er habe die Anweisungen der Frau am Telefon befolgt, in der Zwischenzeit hat sich seine Ehefrau mit der Polizei verständigt.

Die Frau, die der Angeklagte als „Alena“ bezeichnete, ohne weitere Details zu ihrer Identität zu verraten, soll den Beschädigten aufgefordert haben, Bargeld an einem Automaten an einer Tankstelle abzuheben. „Ich musste sowieso Geld abheben“, sagt Edmund D. und lächelt kurz. Danach wurde er an eine Adresse geschickt, wo er dem Angeklagten das Geld übergeben sollte.

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An der Tankstelle ist dann ein Polizist ins Auto des Rentners eingestiegen und hat sich dort versteckt. Der Beschuldigte soll sich dann dem Auto des Opfers genährt und sich als „Herr König“ ausgewiesen haben. Die Frau am Telefon bestätigte, dass es sich um einen Polizisten handelte. Als er einen Beutel entgegennahm, kam der Polizist aus seiner Deckung heraus. Kamil F. versuchte wegzurennen, wurde aber kurz danach aufgegriffen und von dem Beamten festgenommen. Im Beutel seien eine Rettungsdecke gewesen und wertlose Papiere. „Das Ganze habe ich dann auch wiederbekommen“, sagt Edmund D. nach dem Prozess.

Am selben Vormittag wird das Urteil verlesen. Kamil F. atmet schnell und unregelmäßig, als er auf die Worte des Richters wartet. Zwei Jahre Freiheitsstrafe bekommt Kamil F., die nicht auf Bewährung ausgesetzt werden können. Dies entspricht der vorherigen Forderung der Staatsanwaltschaft. Der polnische Staatsbürger wurde schon vor etwa zehn Jahren wegen Betrug vorbestraft.

Das Gericht verurteilte den Angeklagten als Mittäter und nicht wegen Beihilfe, wie sein Verteidiger in seinem Plädoyer gefordert hatte. Er habe von der Illegalität der Operation gewusst und habe im Kontakt mit seinen Komplizen gestanden. Dem Richter zufolge sei die Vorgehensweise des versuchten Betrugs „verwerflich“ und „höchst kriminell“. Zuvor versuchte Kamil F., die Kammer davon zu überzeugen, dass er lediglich von einer Paketübergabe wusste und dafür 10.000 Euro bekommen hätte.

Edmund D. sagt, im Nachhinein froh über das Urteil zu sein, jedoch sei es schade, dass keine größere Ermittlung einberufen worden sei. Eine Untersuchung der Elektronik hätte dem ehemaligen Polizisten zufolge zu einem womöglich größeren Fang verholfen. „Es passiert immer wieder“, sagt Edmund D. in Bezug auf die Schockanrufe. Die Entschuldigung des Mittäters lehnte er im Laufe des Verfahrens ab.

QOSHE - Opfer eines Enkeltrick-Anrufs sagt vor Gericht aus: „Es hat so wehgetan!“ - Franz Becchi
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Opfer eines Enkeltrick-Anrufs sagt vor Gericht aus: „Es hat so wehgetan!“

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31.01.2024

Kamil F. hält die rechte Hand vor den Mund und runzelt die Stirn. Mit seinen nach hinten gekämmten dunkelbraunen Haaren sitzt der 40-Jährige in schwarzer Jeans und ebenso schwarzem Pullover im Saal 572 des Amtsgerichts Tiergarten in der Turmstraße. Er wartet darauf, dass die Anwesenden ihren Eid ablegen und die Hauptverhandlung wegen versuchten Betrugs an diesem Mittwochvormittag beginnen kann.

Am 29. September vorigen Jahres soll Kamil F. gemeinsam mit einem oder mehreren unbekannten Komplizen versucht haben, sich rechtswidrig Vermögen zu verschaffen. Eine Komplizin soll ein älteres Ehepaar angerufen haben, um ihnen zu sagen, dass deren Tochter in einen Autounfall mit Todesfolge verwickelt gewesen sei. Um ihre Tochter zu befreien, müssten sie 76.000 Euro zahlen, die an Kamil F. übergeben werden sollten. Das Ehepaar habe den Betrug jedoch erkannt und den Angeklagten aus Stettin als Täter identifiziert. Dieser behauptet am Mittwoch, die Tat zu bereuen.

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Edmund D. war 35 Jahre lang als Polizeibeamter tätig. Das wird auch an seiner Ausdrucksweise deutlich, als er........

© Berliner Zeitung


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