An einem Berliner Gymnasium lautet dieses Jahr das Thema der Projektwoche vor den Sommerferien: „Unsere Schule im Glück“. Man wolle Wege erkunden, wie sich das Glück im Alltag finden lasse. Schon 2007 hat eine Heidelberger Schule „Glück“ als Unterrichtsfach eingeführt. Es gibt mittlerweile auch Lehrmaterialien dazu und an der TU Berlin kann man sich seit 2019 gar zur Glückslehrkraft ausbilden lassen.

Dass ein hierarchisches System wie die Schule, die im gesellschaftlichen Auftrag Lernleistungen bewertet, Zugangsberechtigungen erteilt und damit Aufstiegschancen ermöglicht oder eben nicht, nun auch noch für das Glück der Schülerinnen und Schüler zuständig sein soll, erscheint bizarr.

Neu sind derartige Verbiegungen allerdings nicht. Der Schule sind über die letzten Jahrzehnte auch Inklusion, Gewalt- und Suchtprävention, Demokratieerziehung, Erziehung zur Nachhaltigkeit und Medienbildung aufgebürdet worden. Da können die das mit dem Glück jetzt doch auch noch machen, oder?! Immerhin versuchen Lehrerinnen und Lehrer seit Jahrhunderten, das Unmögliche möglich zu machen.

Nach Carl Rogers, Lernpsychologe und Psychotherapeut, ist es unmöglich, jemandem etwas beizubringen. Man kann nur Bedingungen schaffen, unter denen jemand sich selbst etwas aneignen kann, vorausgesetzt er oder sie, will es. Ähnlich beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa das Lernen als einen der Prozesse, die unverfügbar sind. Damit meint er Prozesse, die wir zwar anstreben und auch anbahnen können, deren Zustandekommen jedoch nicht garantiert werden kann, wie zum Beispiel einen schönen Abend zu haben, sich zu verlieben oder eben etwas zu lernen. Denn nicht nur muss, so Rosa, jemand lernen wollen, es muss auch der Lerninhalt den Lernwilligen „anreden“, ihm oder ihr etwas sagen, damit ein gegenseitiges „Anverwandeln“ stattfinden kann, in dessen Verlauf sich beides, Lernender und Gegenstand verändern.

•gestern

21.04.2024

21.04.2024

Dennoch treten seit der Antike Lehrer vor Klassen mit dem festen Vorsatz: Heute lernen „wir“ das Dividieren, das Deklinieren, das Debattieren. Im Sinne der Kompetenzorientierung wird gar der Versuch unternommen, Lernprozesse in genau definierte Teilschritte auf verschiedenen Anspruchsniveaus zu zerlegen, um sie dadurch scheinbar vorhersehbar, steuer- und messbar zu machen. Auch Lernfortschritte und -ergebnisse erscheinen so als quantifizierbare und messbare Größen. Voilà! Keine Rede davon, dass Lernen individuell unterschiedlich und diskontinuierlich vor sich gehe oder gar unverfügbar sei.

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21.04.2024

Auch Eltern erwarten von Lehrern hin und wieder geradezu Magisches. Frustriert und ratlos sitzen sie in Lehrersprechstunden: „Sagen Sie mir, was ich machen soll! Statt zu lernen, sitzt er immer nur am Computer.“ Oder: „Was kann ich tun? Sie hängt den ganzen Tag und die halbe Nacht am Handy.“ Da sollen wir es sagen, das Zauberwort, welches das Kind zur Besinnung und weg vom Bildschirm bringt. Oder: „Meine Tochter interessiert sich nicht so für sprachliche Sachen oder Bücher. Wie kann sie ihre Deutschnote denn verbessern?“ Da sollen wir ihn schwingen, den Zauberstab und machen, dass das Kind gerne zum Buch greift, zumindest aber, dass aus der Deutsch-Vier eine Zwei wird oder besser noch eine Eins.

Nicht zuletzt die Senatsverwaltung für Bildung erwartet immer wieder Wunder von ihrem Personal. Ein aktuelles Beispiel: Kinder und Jugendliche sollen in Vorbereitung auf die Arbeitswelt „Medienkompetenz“ erwerben. Dieses Bildungsziel hat schon 2016 die Kultusministerkonferenz der Länder in ihrem „Strategiepapier Bildung in der digitalen Welt“ festgeschrieben. Um den Berliner Lehrerinnen und Lehrern bei dieser Aufgabe zu helfen, hat die Senatsverwaltung etwas getan: Nicht etwa den Rahmenplan ausgemistet, um in der Stundentafel Zeit für das neue Fach zu schaffen oder Fachkundige einen Lehrplan dafür erarbeiten lassen, das nicht! Aber sie erarbeitete ihrerseits ein Papier, das „Basiscurriculum Medienbildung“.

Auf 37 Seiten steht da zu lesen, was genau die Schülerinnen und Schüler jetzt zusätzlich zu Deutsch, Mathe, Sport, Kunst, Ethik usw. in der Schule lernen sollen. „Medienkompetenz beinhaltet“, so das Papier, „folgende Kompetenzbereiche: Informieren, Kommunizieren, Präsentieren, Produzieren, Reflektieren, Analysieren.“ Und damit nicht genug: „Zeitnah soll der Bereich ‚Schützen‘ hinzukommen.“ Weil es aber für die Vermittlung und Einübung all dieser Fähigkeiten keine zusätzlichen Stunden im ohnehin übervollen Stundenplan geben soll, wird die Medienbildung als so genannte Querschnittaufgabe aller Fächer angelegt. Das heißt, alle Fächer sollen Medienbildung irgendwie nebenher mitunterrichten. Dann kostet’s keine Lehrerstellen und keine zusätzlichen Stunden. Simsalabim!

Im Jahr 2021 wurden schließlich sogar Zauberstäbe… pardon, Microsoft Surface Go 2-Tablets an alle Unterrichtenden ausgeteilt, auf dass in den Schulen besser gelernt werde. Allerdings musste man bald feststellen, dass die meisten dieser Geräte gar nicht genutzt werden. Nur ein Drittel der Berliner Lehrerschaft, so hat die noch laufende Studie „Arbeitszeit Lehrkräfte Berlin“ der Georg-August-Universität in Göttingen ergeben, nutzt diese Geräte tatsächlich. Viele haben dagegen ihr Tablet schon zurückgegeben und nutzen weiter private Geräte. Die Nicht-Nutzer kritisieren den mit 10,5 Zoll zu kleinen Bildschirm sowie das Fehlen vieler gängiger Funktionen. Oft ist auch eine Verbindung der Geräte mit den vorhandenen Smartboards in den Klassenräumen nicht möglich und nur eine Handvoll bestimmter Apps kann auf den Tablets installiert werden. Na, und zaubern können sie leider auch nicht.

Nun also „Schule im Glück“? Seit Jahrzehnten wird dem System Schule immer mehr an Bildungs- und Erziehungsaufgaben aufgebürdet, ohne nach den Belastungsgrenzen von Lehrern oder Schülern zu fragen. Glücklich macht das weder die einen noch die anderen.

Franziska Klumpp ist Lehrerin an einem Gymnasium im Norden Berlins.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

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„Schule im Glück“? Von wegen! Schüler und Lehrer sind überlastet

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23.04.2024

An einem Berliner Gymnasium lautet dieses Jahr das Thema der Projektwoche vor den Sommerferien: „Unsere Schule im Glück“. Man wolle Wege erkunden, wie sich das Glück im Alltag finden lasse. Schon 2007 hat eine Heidelberger Schule „Glück“ als Unterrichtsfach eingeführt. Es gibt mittlerweile auch Lehrmaterialien dazu und an der TU Berlin kann man sich seit 2019 gar zur Glückslehrkraft ausbilden lassen.

Dass ein hierarchisches System wie die Schule, die im gesellschaftlichen Auftrag Lernleistungen bewertet, Zugangsberechtigungen erteilt und damit Aufstiegschancen ermöglicht oder eben nicht, nun auch noch für das Glück der Schülerinnen und Schüler zuständig sein soll, erscheint bizarr.

Neu sind derartige Verbiegungen allerdings nicht. Der Schule sind über die letzten Jahrzehnte auch Inklusion, Gewalt- und Suchtprävention, Demokratieerziehung, Erziehung zur Nachhaltigkeit und Medienbildung aufgebürdet worden. Da können die das mit dem Glück jetzt doch auch noch machen, oder?! Immerhin versuchen Lehrerinnen und Lehrer seit Jahrhunderten, das Unmögliche möglich zu machen.

Nach Carl Rogers, Lernpsychologe und Psychotherapeut, ist es unmöglich, jemandem etwas beizubringen. Man kann nur Bedingungen schaffen, unter denen jemand sich selbst etwas aneignen kann, vorausgesetzt er oder sie, will es. Ähnlich beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa das Lernen als einen der Prozesse, die unverfügbar sind. Damit meint er Prozesse, die wir zwar anstreben und auch anbahnen können, deren Zustandekommen jedoch nicht garantiert werden kann, wie zum Beispiel einen schönen Abend zu haben, sich zu verlieben oder eben etwas zu lernen. Denn........

© Berliner Zeitung


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