Es ist ein herber Rückschlag. Am Donnerstag machte der Gipfel des südamerikanischen Wirtschaftsraums im brasilianischen Rio de Janeiro auch die letzten Hoffnungen auf einen Abschluss des Freihandelsvertrags zwischen EU und Mercosur noch in diesem Jahr zunichte. Trotz der Anstrengungen des Gastgebers, Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, in den vergangenen Wochen hatte sich ein vorläufiges Scheitern der Verhandlungen in den letzten Tagen abgezeichnet.

Damit rückt das Abkommen, das eine der größten Freihandelszonen der Welt mit mehr als 700 Millionen Einwohnern von Europa bis zu den Mercosur-Staaten Brasilien, Paraguay, Uruguay und Argentinien geschaffen hätte, wieder einmal in die Ferne. In Rio de Janeiro kritisierte Lula die „mangelnde Flexibilität“ der Europäischen Union in den Verhandlungen. Schuld am Scheitern sei außerdem der „Protektionismus“ des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

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Seinem turnusmäßigen Nachfolger an der Spitze des Mercosur, dem paraguayischen Präsidenten Sebastián Peña, gab er den Rat mit auf den Weg, „niemals aufzugeben“. Peña hatte am Montag gegenüber dem TV-Sender Gen erklärt, Lula habe „übermenschliche Anstrengungen unternommen, um das Abkommen abzuschließen“. Das Problem sei allerdings, „dass die andere Seite kein Interesse hat“. Die Haltung der EU in den Verhandlungen bezeichnete er als „unnachgiebig“, ein Ja vonseiten des Mercosur käme einem „Verlust an Souveränität“ gleich.

Bereits Ende September hatte Peña erklärt, er sehe den Freihandelsvertrag als gescheitert an, sollte er bis zum Beginn seines Mercosur-Vorsitzes nicht in trockenen Tüchern sein. Dabei war der Optimismus noch in der vergangenen Woche groß gewesen. BNN Bloomberg beispielsweise berichtete, der Abschluss der Verhandlungen sei „so nah wie noch nie“.

Am Samstag jedoch erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron am Rande des Weltklimagipfels COP28 in Dubai, das Abkommen berücksichtige „im Grunde genommen nicht die biologische Vielfalt des Klimas“, weshalb es „für niemanden gut“ sei. Kurz zuvor hatte bereits Argentiniens scheidender Staatschef Alberto Fernández angekündigt, dem Vertrag nicht zustimmen zu wollen, woraufhin EU-Handelskommissar Valdis Dombrovkis seine Reise zum Gipfeltreffen in Rio de Janeiro absagte.

Eigentlich war 2019 eine Grundübereinkunft über das Abkommen getroffen worden – fast 20 Jahre nach Beginn der ersten Gespräche. Allerdings legte die EU Anfang dieses Jahres einen Zusatzkatalog vor, der strenge Umweltauflagen vorsieht. Die Mercosur-Staaten kritisierten den Vorschlag als „inakzeptabel“ und als Versuch einiger europäischer Länder, insbesondere Frankreichs, ihre eigenen Produzenten vor kostengünstigeren Agrarprodukten aus Südamerika auf dem europäischen Markt schützen zu wollen. Als weiterer Streitpunkt kam in den vergangenen Monaten hinzu, dass die Länder des Mercosur die bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge an nationale Unternehmen nicht aufgeben wollen.

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Besonders die Bundesregierung und die deutsche Exportwirtschaft pochen seit langem auf einen baldigen Abschluss des Abkommens, zuletzt im Rahmen von Lulas Staatsbesuch in Berlin Anfang der Woche. Am Donnerstag zitierte das Redaktionsnetzwerk Deutschland Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir mit den Worten: „Wir brauchen dieses Abkommen.“ Sollte die EU den Freihandelsvertrag ablehnen, sei das „ein Signal an die Brasilianer, dass sie auf deutsche und europäische Zusagen pfeifen können“. Zudem warnte Özdemir davor, dass China für den Fall des endgültigen Scheiterns bereitstünde, um die Lücke zu füllen.

Offiziell sollen die Verhandlungen über das Abkommen weitergehen. In einem gemeinsamen Kommuniqué von EU und Mercosur, das am Donnerstag veröffentlicht wurde, heißt es, Ziel sei weiterhin, rasch zu einem Ergebnis zu kommen, das für beide Seiten vorteilhaft sei. In den vergangenen Monaten seien beachtliche Fortschritte erzielt worden. Die EU und der Mercosur hätten sich „zu einem konstruktiven Dialog verpflichtet, um die noch offenen Fragen im Bereich des Assoziierungsabkommens abzuschließen“.

Es ist wahrscheinlich, dass die Gespräche nach dem Amtsantritt des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei am Sonntag wieder aufgenommen werden. Milei hatte sich in der Vergangenheit als strikter Gegner des Abkommens präsentiert. Mittlerweile hat er seine rigorose Ablehnungshaltung allerdings aufgegeben.

Wann und ob es überhaupt noch zu einer Einigung zwischen EU und Mercosur kommt, ist fraglich. Bereits am Montag hatte Peña verkündet: „Wir schauen bereits in die andere Richtung.“ Damit gemeint sein dürfte insbesondere Asien. Auf dem Gipfel am Donnerstag schloss der Mercosur ein Abkommen über eine Freihandelszone mit Singapur ab. Ziel sei „die Liberalisierung und Erleichterung des Handels und der Investitionen zwischen den Vertragsparteien“, so der Text. Das argentinische Portal La Política Online zitierte eine Quelle aus dem Außenministerium mit den Worten, dass „die Gegenseite ein völlig anderes Profil hat und unseren Produzenten keine Beschränkungen auferlegt, wie es die EU tut“.

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Auch China dürfte mit dem erneuten Rückschlag für das Abkommen mit der EU nun verstärkt in den Fokus der Mercosur-Staaten rücken. Am Mittwoch forderte der uruguayische Außenminister Omar Paganini in Rio de Janeiro Fortschritte bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik. Es sei für Uruguay „von entscheidender Bedeutung, einen präferenziellen Zugang zu den dynamischsten Volkswirtschaften der Welt zu erhalten“, erklärte er.

Montevideo strebt seit langem einen Freihandelsvertrag mit China an, erst im November vereinbarte Präsident Luis Lacalle Pou bei einem Staatsbesuch in Peking eine noch engere Handelspartnerschaft. Allerdings verbieten die Statuten des Mercosur es den einzelnen Mitgliedstaaten, eigene Handelsabkommen zu schließen. Erschwerend kommt hinzu, dass Paraguay keine Beziehungen zur Volksrepublik, sondern zu Taiwan pflegt – als einziges Land der Region.

Seit Donnerstag hat der Mercosur zudem ein weiteres Mitglied. Beim Gipfel in Rio de Janeiro formalisierten die Staatschefs von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay die Aufnahme von Bolivien. Wie die brasilianische, die argentinische und die uruguayische gilt auch die bolivianische Wirtschaft als überaus eng an China orientiert.

QOSHE - Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur gescheitert - Frederic Schnatterer
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Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur gescheitert

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08.12.2023

Es ist ein herber Rückschlag. Am Donnerstag machte der Gipfel des südamerikanischen Wirtschaftsraums im brasilianischen Rio de Janeiro auch die letzten Hoffnungen auf einen Abschluss des Freihandelsvertrags zwischen EU und Mercosur noch in diesem Jahr zunichte. Trotz der Anstrengungen des Gastgebers, Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, in den vergangenen Wochen hatte sich ein vorläufiges Scheitern der Verhandlungen in den letzten Tagen abgezeichnet.

Damit rückt das Abkommen, das eine der größten Freihandelszonen der Welt mit mehr als 700 Millionen Einwohnern von Europa bis zu den Mercosur-Staaten Brasilien, Paraguay, Uruguay und Argentinien geschaffen hätte, wieder einmal in die Ferne. In Rio de Janeiro kritisierte Lula die „mangelnde Flexibilität“ der Europäischen Union in den Verhandlungen. Schuld am Scheitern sei außerdem der „Protektionismus“ des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

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© Berliner Zeitung


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