Berlin versucht den Anschluss nicht zu verpassen – und geht in die Offensive. Das ist das Zeichen, das von den zweitägigen Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und Brasilien ausgehen sollte, die unter dem Motto „Starke Partner für Fortschritt und Nachhaltigkeit“ standen und am Montag in der deutschen Hauptstadt beendet worden sind.

Auf der anschließenden Pressekonferenz mit dem brasilianischen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz den Aufbau von „lokalen Wertschöpfungsketten“ und den Bezug von grünem Wasserstoff an. Auch sollten verstärkt Fachkräfte aus Brasilien auf den deutschen Arbeitsmarkt geholt werden.

Die Bandbreite an Themen, die bei den ersten Konsultationen seit mehr als acht Jahren besprochen wurden, war groß. Im Mittelpunkt der Gespräche standen jedoch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt und der größten Lateinamerikas. Mit durchaus zufriedenstellendem Ausgang, wie Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), am Dienstag der Berliner Zeitung erklärte. So habe der Staatsbesuch des brasilianischen Präsidenten in Deutschland „aus Sicht der Wirtschaft wichtige Impulse für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit gebracht“.

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Seinen offiziellen Abschluss fand Lulas Aufenthalt am späten Montagnachmittag im Haus der Wirtschaft in Berlin. Dort hatten die Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft (LAI) und die Brasilianische Agentur für Export- und Investitionsförderung (APEX) zum Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftsforum geladen – laut Treier für mehr als 200 Unternehmensvertreter aus beiden Ländern „die Gelegenheit, im direkten Austausch mit den beiden Regierungsdelegationen wichtige Zukunftsthemen zu besprechen“.

Die Situation für die deutsche Wirtschaft ist alarmierend. Zwar war Deutschland im vergangenen Jahr der viertwichtigste Handelspartner Brasiliens und der bedeutendste in Europa. Der Abstand zu anderen Volkswirtschaften auf der Welt wächst jedoch. So konnten die USA ihre Exporte nach Brasilien in den letzten zehn Jahren um 38 Prozent auf 547 Milliarden Dollar steigern. Chinas Ausfuhren nahmen im gleichen Zeitraum sogar um ganze 87 Prozent auf 252 Milliarden Dollar zu. Deutschlands Exporte hingegen stiegen gerade einmal um drei Prozent auf 44 Milliarden Dollar.

Kein Wunder also, dass sich die deutsche Exportwirtschaft Sorgen macht. Am Freitag veröffentlichte der Lateinamerika-Ausschuss der deutschen Wirtschaft (LADW) anlässlich der Regierungskonsultationen mit Brasilien eine neue „CEO Agenda für die Zusammenarbeit mit der Region“. Ziel des Papiers sei es, so der Lobbyverband, „wirtschaftliche Potenziale der Region aufzuzeigen, erforderliche Strategien und Ansätze für die Diversifizierung deutscher Unternehmen zu liefern und den Ausbau der Zusammenarbeit mit Lateinamerika voranzutreiben“. Denn: „Trotz intensiver Reisetätigkeit und einem zuletzt gesteigerten Bemühen der Bundesregierung um die Region“ seien „die Potenziale der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gefährdet“.

Neben einer Fokussierung auf „kritische“ und „nachhaltige“ Rohstoffe wie Lithium, seltene Erden und grünen Wasserstoff fordert der LADW unter anderem den Aufbau von Produktionsstätten in Südamerika sowie eine Allianz von Unternehmen zur Entwicklung von Projekten im Bereich Energie und Rohstoffe. Besonders bedeutend sei jedoch das EU-Mercosur-Abkommen. Auch der Vorsitzende der Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft (LAI), Ingo Kramer, warnte für den Fall eines Scheiterns des Abkommens, andere große Wettbewerber wie China stünden „längst bereit, hier in die Bresche zu springen“. Der „große Verlierer“ wären in dem Fall „die besonders exportorientierten deutschen Unternehmen“.

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DIHK-Außerwirtschaftschef Treier betonte gegenüber dieser Zeitung: „Die Vereinbarung eröffnet deutschen Unternehmen nicht nur zusätzliche Marktchancen in einem wichtigen Wirtschaftsraum, sondern bietet auch neue und große Möglichkeiten zur Lieferkettendiversifizierung und Rohstoffversorgung.“ Die Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay seien „mit ihrer jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung und ihrem niedrigen geopolitischen Risiko“ ein „idealer Standort für deutsche Investitionen“. Daher solle die Bundesregierung „auch weiterhin alle Möglichkeiten nutzen, um sich nachdrücklich für die zügige Ratifizierung des Abkommens einzusetzen“.

Nach den Regierungskonsultationen hatten Scholz und Lula auf einer Pressekonferenz am Montag erklärt, alles für einen baldigen Abschluss der Gespräche über das EU-Mercosur-Abkommen tun zu wollen. Über das Abkommen mit dem südamerikanischen Wirtschaftsraum, dem neben Brasilien derzeit Uruguay, Paraguay und Argentinien angehören, wird seit mehr als 20 Jahren gestritten. Obwohl 2019 eine Grundsatzeinigung erzielt worden war, ist die Freihandelszone, der mehr als 700 Millionen Einwohner angehören würden, noch immer nicht Realität. Zuletzt hatten EU und Mercosur die Verhandlungen mit neuer Intensität wieder aufgenommen. Als Ziel wurde ein Kompromiss bis Ende des Jahres ausgegeben.

Die Wahrscheinlichkeit, das zu schaffen, schwindet allerdings täglich. Am Samstag erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron am Rande des COP28-Gipfels in Dubai, das Abkommen sei „für niemanden gut“. Paris stemmt sich seit Jahren gegen den Freihandelsvertrag, da es südamerikanische Agrarprodukte als gefährliche Konkurrenz fürchtet. Hinzu kamen in den letzten Tagen negative Signale aus Buenos Aires. Außenminister Santiago Cafiero ließ verlauten, die Bedingungen seien nicht gegeben, das Abkommen zu unterschreiben, da die Einigung nach jetzigem Stand „schlecht“ sei und sich „negativ auf die Industrie und die Agrarexporte auswirken würde“. Am kommenden Sonntag übernimmt der Ultralibertäre Javier Milei die Präsidentschaft am Río de la Plata.

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Brasilien gehört neben Deutschland mittlerweile zu den wichtigsten Fürsprechern des EU-Mercosur-Abkommens. Berlin hofft auf Absatzmärkte für seine Industrieprodukte, Brasilia möchte vor allem seine Agrarerzeugnisse verkaufen. Im Gegensatz zu Deutschland verfügt das Land allerdings über Alternativen. Den Sanktionskurs des Westens gegenüber Russland infolge des Ukraine-Krieges hat der südamerikanische Gigant nie mitgemacht. Zu China pflegt er seit Jahrzehnten besonders enge Kontakte, mittlerweile ist die Volksrepublik der mit Abstand wichtigste Handelspartner und Investor des Landes. Hinzu kommen immer bessere Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Regionen der Welt. Allein in der vergangenen Woche reiste der brasilianische Staatschef zusammen mit einer Wirtschaftsdelegation nach Saudi-Arabien und Katar, bevor er nach Dubai zur Weltklimakonferenz COP28 weiterfuhr.

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