Zwei Jahre nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sind die Fronten weiterhin verhärtet. Das gilt auch im übertragenen Sinne – zwischen den Unterstützern Kiews und jenen, die ihre Beziehungen zu Moskau in Folge des 24. Februar 2022 nicht abgebrochen haben. Zuletzt wurde dies beim Treffen der G20-Außenminister im brasilianischen Rio de Janeiro deutlich.

Dort kamen am Mittwoch und Donnerstag die Chefdiplomaten der führenden Wirtschaftsnationen sowie der Europäischen und der Afrikanischen Union zusammen, um über die sogenannte internationale Sicherheitsarchitektur und die Rolle multilateraler Organisationen zu beraten. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nutzte die Gelegenheit, um medienwirksam moralische Appelle an ihren russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zu richten. Sie forderte Lawrow auf, an sein eigenes Volk, an die russischen Kinder und Jugendlichen zu denken und den Krieg „jetzt“ zu beenden.

In Richtung der anderen G20-Außenminister sagte Baerbock, sie respektiere die unterschiedlichen Perspektiven auf den Krieg in der Ukraine. Dieser werde je nach Entfernung zu Kiew unterschiedlich wahrgenommen. Dennoch zeigte sich Baerbock sicher: „Russlands Aggression ist mehr als ein regionaler Konflikt.“

Meinungsverschiedenheiten gibt es durchaus, auch zwei Jahre nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Gerade in Lateinamerika, wo Russland bei weitem nicht so vehement kritisiert wird wie im Westen. Zwar verurteilte eine Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten in den entsprechenden UN-Generalversammlungen die Invasion. Keine Regierung jedoch schloss sich den westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Moskau an. Keiner der sechs Staaten, die im Besitz von Waffen aus russischer Produktion sind, hat diese an die Ukraine weitergegeben. Lediglich der chilenische Präsident Gabriel Boric lud seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj dazu ein, sich an das Parlament seines Landes zu wenden.

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Am Mittwoch kritisierte der brasilianische Außenminister Mauro Vieira bei der Eröffnung des Treffens der G20-Außenminister die „inakzeptable Lähmung“ des UN-Sicherheitsrats. Diese zeige sich darin, dass er nicht in der Lage gewesen sei, die Kriege in der Ukraine oder in Gaza zu beenden, geschweige denn zu verhindern, so Vieira weiter. „Diese Untätigkeit hat zum Verlust des Lebens Unschuldiger geführt.“ Brasilien hat dieses Jahr den G20-Vorsitz inne.

Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat in der Vergangenheit nicht mit Kritik an Kiew gespart. Noch vor seiner Wahl erklärte er gegenüber dem Magazin Time, Selenskyj sei „genauso verantwortlich für den Krieg wie Putin“. Bei einem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Brasilien Anfang des vergangenen Jahres kurz nach Lulas Amtsantritt lehnte er es ab, Berlin Munition zur Verfügung zu stellen, die dann an Kiew weitergegeben worden wäre.

Statt für einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld setzt sich die brasilianische Regierung für direkte Friedensverhandlungen zwischen Moskau und Kiew ein – bisher ohne Erfolg. Auch die diesjährige G20-Präsidentschaft soll laut Lula genutzt werden, um die beiden Kriegsparteien an einen Tisch zu bringen. Den USA gab er in der Vergangenheit auch schon einmal eine Mitschuld daran, dass der Krieg anhält.

Lula kritisiert dabei auch die weltweiten Militärausgaben, die im vergangenen Jahr ein Rekordniveau erreicht haben. Auf dem COP28-Gipfel in Dubai sagte er Anfang Dezember 2023, die mehr als zwei Billionen US-Dollar, die 2023 für Rüstungsgüter ausgegeben wurden, hätten „in den Kampf gegen den Hunger und den Klimawandel“ investiert werden können. Auch sein Außenminister Vieira kritisierte am Mittwoch, dass derzeit nur drei beziehungsweise fünf Prozent dieses Betrags für Entwicklungshilfe oder die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen bereitgestellt würden.

Doch die andere Perspektive auf den Ukraine-Krieg ist keineswegs nur humanitär motiviert. Gerade Brasilien mit seinem bedeutenden Agrarsektor hat auch ein wirtschaftliches Interesse an guten Beziehungen zu Moskau. Der südamerikanische Riese ist vor allem auf Düngemittel aus russischer Produktion angewiesen. Ungeachtet der westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland bleibt Brasilien deren wichtigster Abnehmer. Hinzu kommt, dass das Land gemeinsam mit Russland Teil der Brics-Gruppe ist.

Dass es oft wirtschaftliche Interessen sind, die Staaten in ihrem Umgang mit dem Ukraine-Krieg leiten, zeigte jüngst ein weiterer Fall aus Südamerika deutlich. Wie Mitte Februar bekannt wurde, verzichtet Ecuador auf die Weitergabe von Waffen und Munition aus russischer Produktion an die USA. Anfang Januar hatte der ecuadorianische Präsident Daniel Noboa den Deal inmitten des eskalierenden Drogenkriegs angekündigt. Im Gegenzug sollte Washington Ausrüstung im Wert von 200 Millionen US-Dollar an Quito liefern.

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Das Pikante: Die Waffen und Munition aus Ecuador waren von den USA zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte bestimmt. Die Warnungen aus Moskau an Quito ließen nicht lange auf sich warten. So erklärte die Sprecherin des Außenministeriums, Marija Sacharow, Ecuador verstoße gegen seine internationalen Verpflichtungen, wenn es Militärgüter aus russischer Produktion an Dritte weitergebe. Das könne sich negativ auf die bilaterale Zusammenarbeit auswirken.

Weitaus wirksamer dürfte jedoch eine andere Maßnahme gewesen sein. Am 5. Februar verhängte Russland ein Einfuhrverbot für fünf ecuadorianische Bananenunternehmen. Begründet wurde dies mit dem Auftreten der schädlichen Buckelfliege. Mehrere Indizien sprechen jedoch dafür, dass die Maßnahme vor allem geopolitisch motiviert war. So erklärte der Präsident des ecuadorianischen Verbandes der Bananenproduzenten, Franklin Torres, dass das Problem der Buckelfliege keineswegs neu sei. Vielmehr stellten die Restriktionen aus Moskau eine „klare Botschaft“ an die Regierung dar.

Hinzu kommt: Nur kurz bevor die Entscheidung Ecuadors bekannt wurde, auf die Weitergabe der Waffen zu verzichten, hatte Russland seine Sanktionen wieder aufgehoben. Vorausgegangen waren nach Angaben der ecuadorianischen Außenministerin Gabriela Sommerfeld Gespräche mit dem russischen Botschafter, die zur Aufhebung des Importverbots führten. 23 Prozent aller Bananenexporte Ecuadors – einer der größten Bananenexporteure der Welt – gehen nach Russland.

Dass Russland in Lateinamerika keineswegs isoliert ist, zeigte Außenminister Lawrow Anfang der Woche. Bevor er zum Treffen der G20 nach Brasilien reiste, besuchte er die engen Verbündeten Kuba und Venezuela. Dabei kritisierte er die „Hegemoniebestrebungen“ der USA, die mit „Erpressungen, Ultimaten und Drohungen“ durchgesetzt werden sollten. Um beide Regierungen noch enger an Russland zu binden, setzt Moskau auf den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen und Investitionen. Bei seinem Treffen mit Lula am Donnerstag habe Lawrow Bereitschaft gezeigt, über „Themen der bilateralen und internationalen Agenda“ zu sprechen.

Auch US-Außenminister Anthony Blinken verband seine Reise zum G20-Treffen mit bilateralen Terminen. Mit Lula überwogen dabei die Meinungsverschiedenheiten über den Krieg in der Ukraine, wie die argentinische Tageszeitung Página12 unter Berufung auf US-Quellen berichtet. So habe der brasilianische Präsident die Notwendigkeit einer diplomatischen Lösung betont, während Blinken darauf beharrte, dass die Voraussetzungen dafür nicht gegeben seien. Washington stehe daher fest an der Seite Kiews.

Deutlich mehr Gemeinsamkeiten erwarteten Blinken bei seinem anschließenden Besuch in Argentinien. Am Freitag (Ortszeit) empfing Präsident Javier Milei den US-Außenminister in Buenos Aires. Milei, der noch keine drei Monate im Amt ist, gilt als pro-westlich. Seine ersten Auslandsreisen als argentinischer Staatschef führten ihn nach Washington und nach Israel.

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Sein Vorgänger Alberto Fernández hatte dagegen auf gute Beziehungen zu Moskau gesetzt, auch wenn diese nach der russischen Invasion in der Ukraine etwas abkühlten. Nach seinem Amtsantritt im Dezember 2023 vollzog Milei eine Kehrtwende um 180 Grad. Er sagte den Beitritt Argentiniens zur Brics-Gruppe ab, der ursprünglich Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika angehörten. Die Führer Russlands und Chinas bezeichnete er wiederholt als Diktatoren.

Auch an seiner Unterstützung für Kiew ließ der Ultralibertäre keine Zweifel aufkommen, wofür ihm Selenskyj seinen Dank aussprach. Zur Amtseinführung am 10. Dezember lud Milei seinen ukrainischen Amtskollegen persönlich nach Buenos Aires ein. Der versuchte auf seiner ersten Lateinamerikareise, bei den für seine Charmeoffensive offenen Staatschefs für mehr Unterstützung für Kiew zu werben: Daniel Noboa aus Ecuador, Santiago Peña aus Paraguay, Luis Alberto Lacalle Pou aus Uruguay und der Chilene Gabriel Boric.

Die unterschiedlichen Perspektiven auf den Krieg in der Ukraine sorgen auch zwei Jahre nach seinem Ausbruch noch für Streit. Das zeigt auch die Episode um eine Erklärung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vom Mittwoch, in der die russische Invasion verurteilt wird. 25 OAS-Mitgliedstaaten unterzeichneten das Dokument, in dem der Einmarsch Russlands in die Ukraine als „eine eklatante und anhaltende Verletzung des Völkerrechts“ und „angesichts des menschlichen Leids“ als „Tragödie“ bezeichnet wird. Außerdem wird im Kommuniqué ein „sofortiges Ende des Krieges“ gefordert.

Zu den Staaten, die die Erklärung nicht unterzeichnet haben, gehören Brasilien, Kolumbien und Mexiko. Gründe dafür wurden von den Vertretern der Regierungen bei der OAS nicht genannt. Insgesamt lässt sich aber sagen: Seit der russischen Invasion in der Ukraine vor zwei Jahren ist die Kluft zwischen dem Westen und dem Globalen Süden größer geworden. Es ist unwahrscheinlich, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern wird. Die unterschiedlichen Perspektiven auf Israels Krieg im Gaza-Streifen deuten in die entgegengesetzte Richtung.

QOSHE - Ukraine-Krieg entzweit Südamerika – „Untätigkeit hat zum Verlust des Lebens Unschuldiger geführt“ - Frederic Schnatterer
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Ukraine-Krieg entzweit Südamerika – „Untätigkeit hat zum Verlust des Lebens Unschuldiger geführt“

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23.02.2024

Zwei Jahre nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sind die Fronten weiterhin verhärtet. Das gilt auch im übertragenen Sinne – zwischen den Unterstützern Kiews und jenen, die ihre Beziehungen zu Moskau in Folge des 24. Februar 2022 nicht abgebrochen haben. Zuletzt wurde dies beim Treffen der G20-Außenminister im brasilianischen Rio de Janeiro deutlich.

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In Richtung der anderen G20-Außenminister sagte Baerbock, sie respektiere die unterschiedlichen Perspektiven auf den Krieg in der Ukraine. Dieser werde je nach Entfernung zu Kiew unterschiedlich wahrgenommen. Dennoch zeigte sich Baerbock sicher: „Russlands Aggression ist mehr als ein regionaler Konflikt.“

Meinungsverschiedenheiten gibt es durchaus, auch zwei Jahre nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Gerade in Lateinamerika, wo Russland bei weitem nicht so vehement kritisiert wird wie im Westen. Zwar verurteilte eine Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten in den entsprechenden UN-Generalversammlungen die Invasion. Keine Regierung jedoch schloss sich den westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Moskau an. Keiner der sechs Staaten, die im Besitz von Waffen aus russischer Produktion sind, hat diese an die Ukraine weitergegeben. Lediglich der chilenische Präsident Gabriel Boric lud seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj dazu ein, sich an das Parlament seines Landes zu wenden.

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Am Mittwoch kritisierte der brasilianische Außenminister Mauro Vieira bei der Eröffnung des Treffens der G20-Außenminister die „inakzeptable Lähmung“ des UN-Sicherheitsrats. Diese zeige sich darin, dass er nicht in der Lage gewesen sei, die Kriege in der Ukraine oder in Gaza zu beenden, geschweige denn zu verhindern, so Vieira weiter. „Diese Untätigkeit hat zum Verlust des Lebens Unschuldiger geführt.“........

© Berliner Zeitung


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