Zu Beginn des Films sitzt die junge Amy Winehouse sichtlich unbeholfen mit einer Klampfe auf ihrem Bett und bastelt an ein paar Liedzeilen. „Emulated all the shit my mother hated …“. Sie müsse nun einmal all die Dinge nachmachen, die ihre Mutter hasst.

Ein Erklärfilm also? In dem Song „What It Is About Men“, aus dem die Verse stammen, ist die Rede vom Zwang, ein Freudianisches Schicksal zu demonstrieren.

Marisa Abela spielt in „Back to Black“, einem Film der Regisseurin Sam Taylor-Johnson, eine junge Erwachsene, die am Beginn einer Gesangskarriere steht. Familiäre Altlasten, das Drama eines Scheidungskindes, werden weitgehend ausgeblendet. Der gutmütig-besorgte Vater ist eine onkelhaft-freundliche Bezugsperson, kann den sich früh abzeichnenden Sog ins Elend jedoch nicht aufhalten. Wie Amy Winehouse in ihrem wohl berühmtesten Lied „Rehab“ trotzig die Notwendigkeit einer Entziehungskur von sich weist, wehrt sich der Film gegen allzu naheliegende psychologische Deutungsmuster und reproduziert sie dennoch in einem fort.

Das gestalterische Problem liegt auf der Hand: Selbst wenn man bemüht wäre, sich der Geschichte von Amy Winehouse mit ambitionierten Erzählformen anzunähern, gelänge es vermutlich nicht, diese von ihrem tragischen Ende abzulösen – Alkohol, Liebesunglück und selbstzerstörerische Drogenexzesse. Der Ruhm der Amy Winehouse wurde übergroß erst nach deren Tod und speiste sich unweigerlich aus der scheinbaren Zwangsläufigkeit, dem Schicksal schutzlos ausgeliefert zu sein.

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Sam Taylor-Johnson wehrt sich mit konventionellen erzählerischen Mitteln gegen die Vorhersehbarkeit der Geschichte ihrer Protagonistin. Was hängen bleiben soll, ist ein Akt der Selbstermächtigung und des unbändigen Willens einer jungen Frau, sie selbst zu sein. Einer einzigartigen Sängerin sowieso. Marisa Abela sing selbst und spielt sie sehr überzeugend, viele ihrer gut einstudierten Gesten kennt man aus den Bühnenshows der Winehouse, nicht zuletzt aber auch von den Abwehrversuchen der sie jagenden Meute der Paparazzi. Und wenn es mit dramaturgischen Mitteln einmal nicht so recht weitergeht, hilft ein Stück aus dem knappen, aber umso intensiveren Œuvre der so jung gestorbenen Sängerin.

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Das Stilbewusstsein der Amy Winehouse – der dicke Lidstrich und die Beehive-Frisur – wird gleichermaßen als emanzipatorischer Akt und als Reverenz an ihre Groß- und Ersatzmutter Cynthia Levy gedeutet, die ihr, neben der Plattensammlung ihres Vaters, gegen alle popkulturellen Zeitläufte das Erbe des Jazz aufgeprägt hat. „I am no fuckin’ Spicegirl“ schleudert sie ihrem Manager entgegen, und ihrem narzisstischen Liebhaber Blake flüstert sie warnend zu: „I am Jazz“.

Blake ist es, der Amy Winehouse mit harten Drogen in Kontakt bringt und sie mehrfach von Entziehungskuren abhält. Aber letztlich möchte auch Blake nicht der Bad Boy sein, der von der Nachwelt für ihren Tod verantwortlich gemacht werden wird, und diese Lesart verstieße ja auch gegen das Mantra der Selbstbehauptung, das die Film-Amy trotz aller Abstürze hinterlassen möchte.

Sam Taylor-Johnson liefert zu viel und zu wenig. Es wäre gar nicht nötig gewesen, für die Künstlerin Amy Winehouse derart dick aufzutragen. Was an dokumentarischen Aufnahmen über die Ikone des Neo-Soul verfügbar ist, zeichnet das Bild einer Meisterin der Phrasierungen, in denen es ihr gelingt, die afroamerikanischen Wurzeln ihrer Musik mit britischer Direktheit zu versehen. Leider werden der jüdische Familienhintergrund sowie deren musikalische Traditionen allenfalls angedeutet. Es dient als biografische Folklore zu einem Film, der über sein Kernmotiv, die Stärken einer allzu leidenschaftlichen Frau hervorzuheben, die Zwischentöne verschluckt und das am Rande Liegende übersieht.

Back to Black. USA/UK. Regie: Sam Taylor-Johnson; Drehbuch: Matt Greenhalgh; mit Marisa Abela, Lesley Manville, Eddie Marsan und Jack O’Connell, 122 Minuten

QOSHE - Eine starke Frau fürs Kino: Die Geschichte der Amy Winehouse als Film - Harry Nutt
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Eine starke Frau fürs Kino: Die Geschichte der Amy Winehouse als Film

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10.04.2024

Zu Beginn des Films sitzt die junge Amy Winehouse sichtlich unbeholfen mit einer Klampfe auf ihrem Bett und bastelt an ein paar Liedzeilen. „Emulated all the shit my mother hated …“. Sie müsse nun einmal all die Dinge nachmachen, die ihre Mutter hasst.

Ein Erklärfilm also? In dem Song „What It Is About Men“, aus dem die Verse stammen, ist die Rede vom Zwang, ein Freudianisches Schicksal zu demonstrieren.

Marisa Abela spielt in „Back to Black“, einem Film der Regisseurin Sam Taylor-Johnson, eine junge Erwachsene, die am Beginn einer Gesangskarriere steht. Familiäre Altlasten, das Drama eines Scheidungskindes, werden weitgehend ausgeblendet. Der gutmütig-besorgte Vater ist eine onkelhaft-freundliche Bezugsperson, kann den sich früh abzeichnenden Sog ins Elend jedoch nicht aufhalten. Wie Amy Winehouse in ihrem wohl berühmtesten Lied „Rehab“ trotzig die Notwendigkeit einer Entziehungskur von sich weist, wehrt sich der Film gegen allzu naheliegende psychologische Deutungsmuster und reproduziert sie dennoch in einem........

© Berliner Zeitung


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