Für den Nachweis antisemitischer Reflexe in deutschen Kultureinrichtungen hätte es keine einschneidendere Szene geben können als die unlängst abgebrochene Performance der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera im Hamburger Bahnhof. Noch immer wirkt die aggressive Störung jener Kunstaktion nach, die am Mittwoch zur Anhörung im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages erneut thematisiert wurde. Eine der Betroffenen, deren Lesung eines Textes von Hannah Arendt am 11. Februar unmöglich geworden war, war Mirjam Wenzel, die Leiterin des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main.

Ohne auf die massiven Einschüchterungen zurückzukommen, denen sie an jenem Nachmittag ausgesetzt war, plädierte Wenzel in ihrem Statement für die Erarbeitung differenzierter Einschätzungen dessen, was antisemitische Attacken überhaupt sind. Zur Orientierung schlug sie vor, sich an die Formel der drei Ds zu halten: Dämonisierung, doppelte Standards und Delegitimierung. Judenhass besteht nicht allein aus Affekten, vielmehr liegen ihm durchdachte Strategien zugrunde.

Zu diesem Zeitpunkt befand man sich in dem kurzen Anhörungsformat bereits inmitten einer komplexen Zusammenschau vielfältiger Fragen und Probleme, mit denen nicht zuletzt auch deutsche Kultureinrichtungen nach den terroristischen Anschlägen vom 7. Oktober 2023 befasst sind. Marina Chernivsky von OFEK, der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, sprach von einem Akt der Solidaritätsverweigerung, die gerade auch innerhalb der Kulturräume zu konstatieren sei. Mehr denn je befänden sich Juden in Deutschland dabei in einer Situation, erlittene Diskriminierungen nachweisen zu müssen.

Dem pflichtete Daniel Bothmann vom Zentralrat der Juden bei, indem er nüchtern feststellte, dass sich in den vergangenen Monaten ein Klima des Israelhasses etabliert habe, der vor hiesigen Kultureinrichtungen keineswegs haltgemacht habe. Die Kunstwelt sei für Juden zu einem unsicheren Ort geworden. Wie zum Beweis zitierte Bothmann in diesem Zusammenhang aus der Social-Media-Botschaft eines Künstlers, der die Vergewaltigungen vom 7. Oktober zu einer Form der poetischen Gerechtigkeit („poetical justice“) verklärt hatte. Für die deutschen Kulturinstitutionen forderte Bothmann eine Form selbstkritischer Aufarbeitung. Es komme insbesondere darauf an, Judenhass als solchen überhaupt zu erkennen.

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19.02.2024

Schnell fielen Stichworte wie Leitfaden, Antisemitismusklausel und der sogenannte Code of Conduct, den Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erarbeiten lässt. Als kulturpolitisch Verantwortliche sind sie und die jeweiligen Minister auf Landesebene bemüht, Problembewusstsein und Handlungsbereitschaft zu signalisieren. Hat ein erkennbarer Bewusstseinswandel eingesetzt oder haben wir es mit beflissenen Scheinaktivitäten zu tun? Letzteres unterstellte Gitta Connemann (CDU) der Kulturstaatsministerin. Bislang seien von ihr vor allem Plattitüden zu vernehmen gewesen.

Protestwelle: Welche politischen Stürme der Berlinale jetzt drohen

12.02.2024

Soziologe Natan Sznaider: „Ich kann nicht mit denen sprechen, die mich vernichten wollen“

06.02.2024

Jenseits des politischen Kleinkleins betrachtet Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank die administrativen Aktivitäten mit einer gehörigen Portion Skepsis. Trotz vieler erschreckender Vorkommnisse plädierte er für eine Kultur des Vertrauens, die insbesondere den Kulturinstitutionen entgegengebracht werden müsse. Ein Code of Conduct sei nur sinnvoll, wenn er aus dem Innern der Einrichtungen erarbeitet werde. Die Gefahr einer Verfestigung antisemitischer Ressentiments gehe nicht zuletzt von einer Kultur des Verdachts und der fortgesetzten Inszenierung von Boykotten aus.

Meron Mendels unprätentiöse Gelassenheit verlieh dem Nachmittag im Deutschen Bundestag so etwas wie die Würde reflexiven Innehaltens. Wobei nicht unterschlagen werden sollte, dass die ganze Bandbreite der virulenten Aspekte zum Thema Antisemitismus in zahlreichen Schlagworten ausgebreitet wurde. Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, sprach an, dass ein vergifteter Diskurs um den Begriff Israelkritik einen Nährboden bereitet habe, auf dem auch auf deutschen Straßen Gewalt gedeihe. Eine rote Linie für Kultureinrichtungen formulierte er mit den Worten: „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit darf nicht gefördert werden“, es bedürfe einer gefestigten kuratorischen Verantwortung.

Gute Argumente wechselten sich ab mit Schlagworten. Wie in einer heiß gelaufenen Waschtrommel wurde der Zusammenhang von postkolonialistischer Theorie und Antisemitismus erörtert. Das Wort Überforderung war wiederholt zu hören in der Sitzung des Kulturausschusses.

Die engagierten Statements der Experten wurden schließlich mehrfach von den Abgeordneten konterkariert, wenn es darum ging, sie in parteipolitisches Kapital umzumünzen. So bestand Marc Jongen von der AfD auf einer besonderen Kenntlichmachung eines muslimischen Antisemitismus. Den gebe es zwar, bestätigte Daniel Bothmann, aber es führe zu nichts, wenn man versuche, die Varianten antisemitischer Gewalt gegeneinander aufzurechnen.

QOSHE - Zentralrat im Kulturausschuss: Die Kunstwelt ist zu einem unsicheren Ort für Juden geworden - Harry Nutt
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Zentralrat im Kulturausschuss: Die Kunstwelt ist zu einem unsicheren Ort für Juden geworden

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21.02.2024

Für den Nachweis antisemitischer Reflexe in deutschen Kultureinrichtungen hätte es keine einschneidendere Szene geben können als die unlängst abgebrochene Performance der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera im Hamburger Bahnhof. Noch immer wirkt die aggressive Störung jener Kunstaktion nach, die am Mittwoch zur Anhörung im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages erneut thematisiert wurde. Eine der Betroffenen, deren Lesung eines Textes von Hannah Arendt am 11. Februar unmöglich geworden war, war Mirjam Wenzel, die Leiterin des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main.

Ohne auf die massiven Einschüchterungen zurückzukommen, denen sie an jenem Nachmittag ausgesetzt war, plädierte Wenzel in ihrem Statement für die Erarbeitung differenzierter Einschätzungen dessen, was antisemitische Attacken überhaupt sind. Zur Orientierung schlug sie vor, sich an die Formel der drei Ds zu halten: Dämonisierung, doppelte Standards und Delegitimierung. Judenhass besteht nicht allein aus Affekten, vielmehr liegen ihm durchdachte Strategien zugrunde.

Zu diesem Zeitpunkt befand man sich in dem kurzen Anhörungsformat bereits inmitten einer komplexen Zusammenschau vielfältiger Fragen und Probleme, mit denen nicht zuletzt auch deutsche Kultureinrichtungen nach den terroristischen........

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