Irgendwie muss sich dieser Nietzsche-Spruch in den Gymnasiasten Freyer eingegraben haben: „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.“ Schulpforta, die Nähe zum Genius Loci, wo auch der deutsche Philosoph dereinst zur Schule ging, mag das bewirkt haben.

Achim Freyer, vor 90 Jahren, am 30. März 1934, in Berlin geboren, besuchte nach dem Zweiten Weltkrieg (seinen Vater, einen Antifaschisten, hatten die Nazis standrechtlich als „Vaterlandsverräter“ erschossen) die traditionsreiche Landesschule Pforta in Schulpforta bei Naumburg. Die hatte Kurfürst Moritz von Sachsen anno 1543 für begabte junge, auch mittellose Männer gegründet, um deren Schöngeistigkeit zu fördern. Auch Friedrich Nietzsche gehörte einst zu den Auserwählten und schrieb 1859 ins Tagebuch über diesen Lernort: „Mich hat jetzt ein ungemeiner Drang nach Erkenntnis ergriffen.“

Achim Freyer kann Ähnliches sagen. Schulpforta war ihm eine Musenschule, die den kritischen Geist, Ästhetik und Kreativität stärkte. Schon dort befiel ihn die Leidenschaft für die Kunst, geriet er in den Sog der Malerei, der Bühne. Er studierte nach dem Abitur von 1951 bis 1955 bei Gregor Krauskopf an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Berlin-Schöneweide. Bald darauf wurde er Brecht-Meisterschüler an der AdK, arbeitete am Berliner Ensemble, dann als Bühnen- und Kostümbildner; in dieser Zunft unterwies ihn kein Geringerer als Karl von Appen.

Freyer entwarf Bühnenbilder für Ruth Berghaus und Adolf Dresen, die gegen den Realismus rebellierten und für die Wahrheit der Fantasie. Und er musste erleben, wie Benno Bessons Goethe-Inszenierung von „Clavigo“ mit seinem Bühnenbild am Deutschen Theater 1971 verboten wurde. Zugleich malte er, aber seine dramatischen, expressiven, surreal-poetischen Bilder galten in der DDR als „dekadent“. 1972 blieb er während einer Tournee im Westen.

25.03.2024

25.03.2024

gestern

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Bald galt Freyer als „Meister der Schauspiel- als Maskenkunst in Deutschland“. Er wurde zur Documenta 6 und 8 eingeladen. Die Hochschule der Künste Berlin (heute UdK) berief ihn 1997 zum Professor, er lehrte bis 2002, und die Kunstakademien Berlin, Leipzig und Dresden machten ihn zum Mitglied. In Stuttgart schuf er den Raum für Peymanns „Faust“-Unternehmung, dort redet man noch heute davon. Nie gestaltete er die Opern- und Theaterbühnen als bloße Rahmen. Immer machte er daraus Verfremdungswelten.

Irgendwann begann er, selber zu inszenieren, die Trennungen zwischen Raum und Spiel aufzuheben, immer öfter arbeitete er mit Licht. Nach dem „Ring des Nibelungen“ 2010 an der Los Angeles Opera nannte Plácido Domingo ihn damals einen „Genius der Vorstellungskraft“, einen Zauberer, der jeden Zauber doppelt bricht. An die „realistische“ Kunst hat Freyer nie geglaubt. Der Brecht-Schule blieb er treu.

Das „freie“ Malen betrieb er wegen der intensiven Bühnenarbeit immer nebenher. Und doch bezeichnet er es als „Flucht- und Sammlungspunkt“. Darum schuf er sich im Alter sein privates „Wunderkammer“-Kunsthaus in Lichterfelde, in dem er auch seine Stiftung gründete. In der alten Fachwerkvilla bewahrt er 2000 Gemälde und Zeichnungen von Picasso, Beuys, Polke und Neo Rauch, man trifft auf Originale von Hans Arp, Max Klinger und Liebermann, auf Arbeiten von Carlfriedrich Claus und ein sonderbar suggestives Bild des Theatermanns Fritz Marquardt. Und daneben Bilder von Laien, von Naiven und Art-Brut-Malern, von Unbekannten und heutzutage zu wenig Ausgestellten wie von den witzig-philosophischen Berliner Zeichner-Originalen Dieter Goltzsche und Friedrich Schröder-Sonnenstern.

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Das ganze Haus offenbart den Bilderkosmos Freyers. Alle Bilder korrespondieren miteinander, und der Betrachtende wird Teil des Zwiegesprächs. Zu fast jedem Bild kann Freyer eine eigene Geschichte erzählen. Doch es geht ihm nicht nur um seine eigene Kunst. Er ist auch Förderer. Seit 2012 haben mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler in seinem Haus ausgestellt, dieser „Schule des Sehens“, der Gespräche, der Forschung, wie der Jubilar es sagt, „vor allem der Toleranz und jenseits von kulturellen, ethnischen, religiösen Aspekten“.

Matinée zum 90. Geburtstag am 30. März, 11–13 Uhr im Apollosaal der Staatsoper Unter den Linden (Mit Einladung). Zum Anlass wird Johannes Odenthals Monografie „Achim Freyer Bilder“ vorgestellt.

Im Museum Mühlenhaupt, Fidicinstr. 40 startet am 1. April eine lange Berliner Ausstellungsreihe mit der Kunst des Jubilars. Freyers Kunsthaus, Kadettenweg 53, Lichterfelde, bietet sonntags, 15 Uhr, Führungen durch die Sammlung, Infos und Anmeldung auf www.achimfreyer.com

QOSHE - Berliner Künstler Achim Freyer wird 90: Alterslos im Sog von Malerei und Bühne - Ingeborg Ruthe
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Berliner Künstler Achim Freyer wird 90: Alterslos im Sog von Malerei und Bühne

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27.03.2024

Irgendwie muss sich dieser Nietzsche-Spruch in den Gymnasiasten Freyer eingegraben haben: „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.“ Schulpforta, die Nähe zum Genius Loci, wo auch der deutsche Philosoph dereinst zur Schule ging, mag das bewirkt haben.

Achim Freyer, vor 90 Jahren, am 30. März 1934, in Berlin geboren, besuchte nach dem Zweiten Weltkrieg (seinen Vater, einen Antifaschisten, hatten die Nazis standrechtlich als „Vaterlandsverräter“ erschossen) die traditionsreiche Landesschule Pforta in Schulpforta bei Naumburg. Die hatte Kurfürst Moritz von Sachsen anno 1543 für begabte junge, auch mittellose Männer gegründet, um deren Schöngeistigkeit zu fördern. Auch Friedrich Nietzsche gehörte einst zu den Auserwählten und schrieb 1859 ins Tagebuch über diesen Lernort: „Mich hat jetzt ein ungemeiner Drang nach Erkenntnis ergriffen.“

Achim Freyer kann Ähnliches sagen. Schulpforta war ihm eine Musenschule, die den kritischen Geist, Ästhetik und Kreativität stärkte. Schon dort befiel ihn die Leidenschaft für die Kunst, geriet er in den Sog der Malerei, der Bühne. Er studierte nach dem Abitur von 1951 bis 1955 bei Gregor Krauskopf an der Fachschule für Werbung und Gestaltung........

© Berliner Zeitung


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