In Berlin ist die Geburtenzahl zum wiederholten Male gefallen, dieses Mal um beachtliche 11,6 Prozent. Seit 2017 geht es bei den Geburten abwärts. Michaela Kreyenfeld von der Hertie School Berlin sieht neben den hohen Mieten klare Gründe in der Zeit der Pandemie. Aber sie erklärt auch, warum es noch Hoffnung gibt.

Frau Kreyenfeld, wie steht die Hauptstadt bei der Geburtenzahl im nationalen Vergleich da?

In München liegt der Geburtenrückgang nach den vorliegenden vorläufigen Zahlen bei fünf Prozent, in Hamburg bei vier Prozent. Insgesamt wird es im Bundesschnitt wohl auf zehn Prozent hinauslaufen, da liegt Berlin ein klein wenig darüber.

Starker Geburtenrückgang in Berlin: Welche Bezirke besonders betroffen sind

22.04.2024

Warum sinken prozentual gerade in den früheren „Kinderbezirken“ Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Pankow die Geburtenzahlen doppelt so stark wie etwa in Steglitz oder Charlottenburg?

Solche kleinräumigen Schwankungen sind schwer einzuschätzen. Aber eine Grundfrage ist: Wie viele Leute, die Kinder bekommen können, leben dort jeweils? Und Steglitz ist ein vergleichsweise alter Bezirk, der immer mehr altert. Da sind einfach weniger junge Menschen als in Pankow, die Kinder bekommen können. In Steglitz kann die Zahl nicht mehr so sinken, wohl aber in den früheren Kinderbezirken.

Zum zweiten Mal ist die Zahl der Toten in Berlin pro Jahr höher als die der Geburten. Was sagt dieser Wert aus?

Er spricht für eine Überalterung Berlins, aber das gilt für ganz Deutschland: Wir sind trotz Zuwanderung eine alternde Gesellschaft, und nun rücken auch noch die geburtenstärksten Jahrgänge der Boomer-Generation allmählich ins Rentenalter vor. Damit wird die Zahl der Todesfälle nicht abnehmen.

•gestern

23.04.2024

•gestern

Welchen Einfluss hatten die Pandemiejahre? Da stieg anfangs doch die Geburtenzahl, oder?

Aber nur kurz am Anfang, auch weil einige ihren sowieso geplanten Kinderwunsch vorzogen. Doch dann sanken die Zahlen. Ein Grund ist auch die Impfung, das zeigt die Forschung. Es gab Paare, die verunsichert waren: Welchen Effekt wird Corona haben? Welchen langfristigen Effekt wird die Impfung haben? Einige werden ihren Kinderwunsch aufgeschoben haben, und aus aufgeschoben wird mitunter auch aufgehoben, wenn die Partnerschaft auseinandergeht. Oft waren auch keine Hochzeitsfeiern möglich und einige wollen erst heiraten.

Dazu kommt die Stresserfahrung, das war das Allerwichtigste: Der Staat hat die Eltern dann doch ziemlich allein gelassen, Homeschooling, Hausaufgabenbetreuung, Schließung von Kitas und Schulen. Wenn Paare, die auch Kinder wollen, dann sahen, wie sich andere Eltern abstrampeln mussten, wirkt das negativ. Viele haben in der Pandemie den Kinderwunsch aufgeschoben, mit der Frage: Wer weiß, was noch kommt? Und dann kam einiges: Inflation, Ukrainekrieg und all die Krisen.

Bei den Jüngeren sind Zukunftsängste sehr stark. Die Fridays-for-Future-Generation und die Klima-Kleber sind pessimistisch. Setzen sie auch weniger Kinder in die Welt?

Erst mal sind die meisten noch nicht in dem Alter, in dem Frauen in Deutschland ihr erstes Kind bekommen. Das ist derzeit im Schnitt im Alter von 30. Die Klima-Sorgen werden wohl nicht die ganz großen Auswirkungen auf die Geburtenzahlen haben. Es gibt Forschungen, welche Rolle die Umweltkrise spielt. Diejenigen, die ohnehin keine Kinder wollen, haben ein zusätzliches Argument. Für die meisten spielen Klimaaspekte zwar im Alltagshandeln durchaus eine Rolle, aber sie sind letztlich beim Kinderwunsch nicht entscheidend.

Welche Rolle spielt Verunsicherung? Nach dem Ende der DDR war die Geburtenrate niedriger als nach dem Zweiten Weltkrieg.

Nach der Wende gab es spezifische Gründe, da gab es gute und schlechte gleichzeitig. In der DDR waren Frauen jung, wenn sie ihr erstes Kind bekamen: im Schnitt etwa 22. Dann kam nach dem Mauerfall ökonomische Unsicherheit, aber schlagartig gab es auch so viele biografische Optionen, die die DDR-Bürger vorher gar nicht hatten. Die jungen Frauen und Männer sahen im Westen, dass sie Zeit haben und dass sie auch mit 25 noch ein Kind bekommen können und dann immer noch vergleichsweise jung sind. Dazu kommt: In der DDR gab es eine Art Zwei-Kind-Norm. Doch viele blieben dann bei einem Kind, vor allem jene, die kurz vor der Wende ihr erstes bekommen hatten.

Zuletzt war die Geburtenzahl 2017 hoch. Ein Grund war unter anderem die Nachwirkung des Zuzugs vieler Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan ab 2015. Wie sieht es nun aus?

Diese Migrantenjahrgänge waren schon besonders. Die Migrantengenerationen davor, etwa mit türkischem Hintergrund, hatten oft nur zwei Kinder, auch die Geburtenrate in der Türkei liegt mittlerweile knapp unter zwei pro Frau. Doch nun kamen Gruppen, bei denen die Frauen mehr Kinder bekommen. Gerade im Jahr des Zuzugs stieg die Geburtenzahl. Aber es gibt auch andere Migrantengruppen, über die niemand redet: Etwa Osteuropäer aus Polen oder Bulgarien, die sehr wenige Kinder bekommen. Und aus der Ukraine kommen oft Frauen, die schon Kinder haben.

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Bei uns im Haus standen noch vor zehn Jahren acht Kinderwagen. Aber selbst wenn die Kinder aus dem Haus wären, könnte kaum jemand in eine kleinere Wohnung ziehen, weil sich die Mieten verdoppelt haben. Wie wirkt es sich aus, dass es kaum bezahlbare freie familientaugliche Wohnungen in Berlin gibt?

Die Frage des beengten Wohnraums ist natürlich ganz klar relevant, auch und gerade in Berlin spielt die Wohnungskrise eine entscheidende Rolle. Es gibt Familien in Berlin, die haben ein Kind, wollen aber zwei oder drei, finden aber keine bezahlbare Wohnung und ziehen ins Umland.

Es gibt auch immer mehr Frauen, die gewollt kinderlos bleiben. Der Anteil ist über die Zeit immer weiter gestiegen. Wie sieht es heute aus?

Wir liegen bundesweit bei etwa 20 Prozent, gestiegen ist die Zahl vor allem im Osten, aber von einem niedrigen Niveau. Die letzte „richtige DDR-Generation“ war die von 1965, weil die ihre Kinder oft noch vor der Wende bekommen hat. Da lag der Anteil der Kinderlosen bei unter zehn Prozent. Der ist deutlich gestiegen, aber ohne den hohen Wert im Westen zu erreichen. Grundsätzlich ist die Kinderlosigkeit in Großstädten höher als auf dem Lande. Auch weil in Großstädten mehr höher Qualifizierte leben, bei denen die Zahl der Kinderlosen größer ist. Berlin war aber nie die Hauptstadt der Kinderlosigkeit, da waren Hamburg und Bremen vorn. Berlin war nie führend, auch weil im Osten die Kinderlosigkeit so gering war.

Wie könnte die Politik gegensteuern?

Wichtig ist das Ziel der Politik, und das ist definiert: Die Politik muss Bedingungen schaffen, dass die Leute ihren Kinderwunsch auch umsetzen können; es geht darum, Barrieren abzubauen. Es gab einige positive Effekte durch politische Maßnahmen ab Anfang der 2000er-Jahre: Ausbau der Kinderbetreuung im Westen für Kinder unter drei Jahren, dann die Einführung des Elterngeldes 2007. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung sind wichtige Grundlagen gelegt worden, die im Osten vorhanden waren, die es im Westen aber so nicht gab.

Aber für Berlin brachte das nicht so viel Neues, oder?

Wenn Leute aus Berlin kommen und auch noch aus dem Osten, ist ihnen gar nicht so bewusst, was es früher bedeutet hat, im Westen Kinder zu haben. In meiner Kindheit im Ruhrgebiet waren Kindereinrichtungen nur bis mittags geöffnet. Da konnten Frauen schlichtweg nicht erwerbstätig sein. Da hat sich schon die Welt gedreht, auch wenn viele dachten, die dreht sich nicht mehr. Mit dem Kinderbetreuungsausbaugesetz ist viel passiert. Da wurden auch noch mal die Familienmodelle neu sortiert, vor allem im Westen, da wurde die Frage gestellt, was Mütter und Väter tun müssen, um gute Eltern zu sein, dass Mütter etwa auch erwerbstätig sein können. Das sind wichtige Impulse …

… aber? Ich höre da ein großes Aber …

… aber leider haben sich in den letzten Jahren viele Dinge wieder verändert, etwa der Fachkräftemangel in Kitas, der dafür sorgt, dass Kitas, die eigentlich bis 17 Uhr geöffnet haben sollen, schon um 15 Uhr schließen. Dann kam die Verunsicherung in der Corona-Krise. Ich denke, dass die Politik den Eltern wieder Sicherheit geben muss, Verlässlichkeit.

Und wenn das nicht passiert?

Es gab jetzt schon viele Krisen hintereinander, viele Paare haben ihren Kinderwunsch aufgeschoben. Aber irgendwann muss es auch wieder aufwärtsgehen. Vielleicht sprechen wir nächstes Jahr über den Geburtenboom in Berlin.

Interview: Jens Blankennagel

QOSHE - Berlin fehlen Babys: Dabei spielen Wohnungskrise und Ost-West-Unterschied eine Rolle - Jens Blankennagel
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Berlin fehlen Babys: Dabei spielen Wohnungskrise und Ost-West-Unterschied eine Rolle

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25.04.2024

In Berlin ist die Geburtenzahl zum wiederholten Male gefallen, dieses Mal um beachtliche 11,6 Prozent. Seit 2017 geht es bei den Geburten abwärts. Michaela Kreyenfeld von der Hertie School Berlin sieht neben den hohen Mieten klare Gründe in der Zeit der Pandemie. Aber sie erklärt auch, warum es noch Hoffnung gibt.

Frau Kreyenfeld, wie steht die Hauptstadt bei der Geburtenzahl im nationalen Vergleich da?

In München liegt der Geburtenrückgang nach den vorliegenden vorläufigen Zahlen bei fünf Prozent, in Hamburg bei vier Prozent. Insgesamt wird es im Bundesschnitt wohl auf zehn Prozent hinauslaufen, da liegt Berlin ein klein wenig darüber.

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Warum sinken prozentual gerade in den früheren „Kinderbezirken“ Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Pankow die Geburtenzahlen doppelt so stark wie etwa in Steglitz oder Charlottenburg?

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Zum zweiten Mal ist die Zahl der Toten in Berlin pro Jahr höher als die der Geburten. Was sagt dieser Wert aus?

Er spricht für eine Überalterung Berlins, aber das gilt für ganz Deutschland: Wir sind trotz Zuwanderung eine alternde Gesellschaft, und nun rücken auch noch die geburtenstärksten Jahrgänge der Boomer-Generation allmählich ins Rentenalter vor. Damit wird die Zahl der Todesfälle nicht abnehmen.

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Aber nur kurz am Anfang, auch weil einige ihren sowieso geplanten Kinderwunsch vorzogen. Doch dann sanken die Zahlen. Ein Grund ist auch die Impfung, das zeigt die Forschung. Es gab Paare, die verunsichert waren: Welchen Effekt wird........

© Berliner Zeitung


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