Die beiden leben in der brandenburgischen Stadt Kremmen und sind miteinander verwandt: Sebastian und Andrea Busse. Das ist nicht weiter ungewöhnlich, aber sehr wohl, dass sie die älteste Familie in ihrer Stadt sind – und zu den ältesten im Land gehören.

Er ist Bürgermeister, sie die Chefin der Tourismusinformation. Ein Gespräch über ihre Vorfahren, Werte, Tradition, Heimat und die AfD sowie darüber, warum der Bürgermeister zwar Berlin nicht so sehr mag, trotzdem aber ein glühender Union-Fan ist.

Frau Busse, Sie kennen sich mit der Geschichte Ihrer Familie etwas besser aus als Ihr Großcousin und Chef, der Bürgermeister. Können Sie uns bitte die entscheidende Zahl sagen?

Andrea Busse: 1402 – wenn Sie die erste urkundliche Erwähnung unserer Familie meinen.

Das ist ganz schön lange her, Kolumbus war noch nicht nach Amerika gesegelt, Johannes Gutenberg hatte noch nicht den Buchdruck erfunden und es war noch lange hin bis zum Aufstand der Reformatoren gegen die Vorherrschaft des Papstes. Sind Sie damit vielleicht die älteste Familie Brandenburgs?

Andrea Busse: Sicher nicht, es gibt Adelsgeschlechter, die ihre Geschichte weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen können. Aber für eine Familie ohne ein „von“ im Namen ist es schon ganz schön lang. Wir sind ganz einfach nachweislich die älteste Familie in Kremmen, die heute noch Nachfahren hat.

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25.02.2024

Glückwunsch. Was ist 1402 eigentlich passiert?

Andrea Busse: Da gibt es einen Beleg, dass ein Busse ein Stück Land an seinen Sohn verkauft hat, eine Verkaufsurkunde.

Haben Sie das selbst erforscht und den Stammbaum aufgestellt?

Andrea Busse: Nein, das ist eher ein Zufall. Im Jahr 1998 wurde die 700-Jahr-Feier von Kremmen begangen. Der damalige Pfarrer hatte in den Kirchenbüchern geforscht und hat unsere Familientradition in den Chroniken ausgegraben. Das ist uns in den Schoß gefallen. Wir hatten keine Familienchronik, wie eine Adelsfamilie. Er hat uns einen fast vollständigen Stammbaum gegeben, das war sicher nur deshalb möglich, weil Teile unserer Familie immer hier geblieben sind und sich deshalb alle Daten hier in den Kirchenbüchern fanden.

16.04.2024

15.04.2024

•gestern

Was wussten Sie selbst?

Andrea Busse: Ich wusste nur, dass wir schon im 17. Jahrhundert hier ansässig waren, auf unsere Familie geht auch der Bussische Gasthof zurück, den gab es schon 1658. Das ist heute das Clubhaus in der Stadt, da ist auch ein Bäcker drin.

Wussten Sie beide, dass Sie miteinander verwandt sind?

Sebastian Busse: Wir wussten das, wir sind Großcousin und Großcousine, unsere Väter waren Cousins, die sind zwar in unterschiedlichen Jahren geboren, aber sie hatten am selben Tag Geburtstag. Da wurde immer gratuliert.

Gibt es eine Bussische Erbdynastie in Kremmen oder warum ist nun der eine Bürgermeister und die andere Chefin des Stadtmarketings?

Andrea Busse: Das ist reiner Zufall, ich bin schon vom vorherigen Bürgermeister eingestellt worden, damals war nicht zu erwarten, dass mein jüngerer Großcousin mal mein Chef werden würde.

Wie alt sind Sie?

Sebastian Busse: Ich bin 44, Andrea wird 52. Sie ist seit 2014 im Amt, ich erst seit 2017.

War schon mal ein Busse in Kremmen Bürgermeister?

Sebastian Busse: Das nicht, aber fast. Das hier war ja eine klassische Ackerbürgerstadt, da haben die allermeisten von der Landwirtschaft gelebt, hatten aber meist noch ein Handwerk. Es gab auch einen Ratsherren, aber damit kennt sich Andrea besser aus …

Andrea Busse: Der Mann hieß Andreas Busse, wurde etwa 1648 geboren und hatte auch eine solide Schulausbildung. Er war zwar nicht Bürgermeister, aber Ratsherr, also eine Art Stadtverordneter. Er war auch Schwiegersohn des damaligen Bürgermeisters Johannes Grüwel, der wiederum auch königlicher Poet war. Ein Titel, der etwas galt. Der hat auch das erste Buch über Seidenbau in dieser Region geschrieben. Dieser Andreas Busse war pfiffig, der hat auf seinen Feldern Steine sammeln lassen und sie für gutes Geld für den Straßenbau in Kremmen verkauft. Er hat auch ein altes Slawengrab gefunden, mit vielen Artefakten. Die wurden nach Berlin gegeben, aber dort verliert sich die Spur.

Die Westgrenze von Berlin ist keine 20 Kilometer Luftlinie von Kremmen entfernt. Vor Ihrer Zeit als Bürgermeister haben Sie auch ein paar Jahre in Hamburg eine Ausbildung gemacht. Hat es Sie nie in die Großstadt gezogen?

Sebastian Busse: Nee, ich war immer froh, wenn ich aus der Großstadt wieder raus war. Ich war beruflich viel unterwegs, auch in Berlin, da sehne ich mich nicht unbedingt danach. War eine schöne Zeit, aber auch in Hamburg habe ich eher ländlich gelebt. Die Anonymität der Großstadt mag ich nicht so. Wenn ich in Berlin über die Straße gehe, interessiert es niemanden, ob ich „Guten Tag“ sage oder nicht. Wir hier aber sind nett zueinander, grüßen uns. Diese Herzlichkeit würde mir in einer Großstadt total fehlen.

Andrea Busse: Hier fällt man auf, wenn man nicht grüßt. Ich war beruflich einige Jahre in Berlin, in Schöneberg und Prenzlauer Berg, habe bei einer Daten-Netzwerkfirma auch in der Geschäftsführung gearbeitet. Das hat mir auch großen Spaß gemacht, aber dann habe ich wieder den Weg nach Hause gefunden. Ich hatte hier in Kremmen immer alles und hatte nie den Drang, meine Heimat zu verlassen.

Auf dem Land wird gern vom Zusammenhalt geschwärmt, aber ist das nicht inzwischen oft auch nur noch eine vermeintliche Nähe? Denn die Zeiten sind härter geworden, die Stimmung ist polarisierter, die AfD feiert Erfolge, die Fronten verhärten sich. Die Zeiten, in denen auch politisch alle recht freundlich miteinander umgegangen sind, gibt es nicht mehr. Merken Sie das stärker als in der Großstadt, wenn jemand links- oder rechtsradikal ist?

Sebastian Busse: Es wird natürlich darüber geredet, etwa am Mittagstisch. Ich bin auch bei der Feuerwehr und sehr gut vernetzt in den Vereinen, da merkt man, was für unterschiedliche Gruppen es doch so gibt. Aber auf dem Lande ist eine andere Sache wichtig, nicht so sehr die Konfrontation. Es geht um uns, um Kremmen, um unsere Bürgerinnen und Bürger. Ich bin der Bürgermeister von Kremmen und sehe mich hier nicht so sehr als CDU-Mann, wie es die Politiker im Landtag tun oder im Bundestag. Ich bin da viel freier. Jeder kann zu mir kommen. Mein Ziel muss doch sein, die Probleme vor Ort zu lösen – und da ist die große Parteipolitik in Berlin dann doch ganz schön weit weg.

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Fürchten Sie die Kommunalwahl im Juni?

Sebastian Busse: Bei uns ist die AfD noch nicht im Parlament, nur ein ehemaliger NPD-Mann. Nun steht die AfD auch bei uns in den Startlöchern – und im Juni wird der eine oder andere wohl auch gewählt.

Treten Sie als Bürgermeister für die CDU auch wieder an?

Sebastian Busse: Ja, die Wahl ist mit der Landtagswahl im September, und ich trete wieder an.

Sie gelten nun ganz offiziell als eine neue Brandenburger Vorzeigefamilie, weil Sie so alt sind. Sie sind am Sonntag bei dem neuen Format „Brandenburg Salon“ dabei. Da erzählt in Wustrau der berühmte Countertenor Jochen Kowalski über sein Brandenburg und Sie und vier andere Familien erzählen über Ihre Familientradition. Was ist für Sie Heimat: Deutschland, Brandenburg oder Kremmen?

Beide: Kremmen.

Sebastian Busse: Wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, kann ich von der Autobahn aus mein Grundstück sehen, und wenn ich es erblicke, freue ich mich richtig.

Andrea Busse: Hier muss man auch gar nicht weg, hier gibt es alles, wir haben nicht nur viele Einkaufsmöglichkeiten, wir haben auch Kultur, etwa das Theater „Tiefste Provinz“. Vor allem aber: Hier hat man viele Leute, die man kennt und baut sich schnell einen Freundeskreis auf. Ein schönes Stückchen Erde – und wenn ich den Kremmener Kirchturm sehe, ist alles gut.

Aber Herr Bürgermeister, bei all Ihrem Lokalpatriotismus für Ihre Heimatstadt, es ist zu hören, dass Sie beim Fußball ein Abtrünniger sind, ist das richtig?

Sebastian Busse: Ja, ganz klar. Ich bin Union-Fan. Es gibt hier in Kremmen einige Leute, die sind schon zu DDR-Zeiten zu den Spielen nach Köpenick gefahren. Ich war mit 14, 15 und 16 auch gern bei Hertha in der Ostkurve unterwegs, aber dann: Einmal nach Köpenick – und es war um mich geschehen. Seither bin ich eingefleischter Union-Fan.

Damit sind Sie nicht nur ein überzeugter Kremmener, sondern auch ein wenig Berliner …

Sebastian Busse: Ich bin wirklich glücklich, denn ich habe seit zehn Jahren eine Dauerkarte für die Alte Försterei. Ich war auch bei dem Spiel in Madrid gegen Real dabei. Tolle Sache, wirklich toll.

QOSHE - Bürgermeister von Kremmen: „Ich bin eingefleischter Union-Fan“ - Jens Blankennagel
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Bürgermeister von Kremmen: „Ich bin eingefleischter Union-Fan“

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18.04.2024

Die beiden leben in der brandenburgischen Stadt Kremmen und sind miteinander verwandt: Sebastian und Andrea Busse. Das ist nicht weiter ungewöhnlich, aber sehr wohl, dass sie die älteste Familie in ihrer Stadt sind – und zu den ältesten im Land gehören.

Er ist Bürgermeister, sie die Chefin der Tourismusinformation. Ein Gespräch über ihre Vorfahren, Werte, Tradition, Heimat und die AfD sowie darüber, warum der Bürgermeister zwar Berlin nicht so sehr mag, trotzdem aber ein glühender Union-Fan ist.

Frau Busse, Sie kennen sich mit der Geschichte Ihrer Familie etwas besser aus als Ihr Großcousin und Chef, der Bürgermeister. Können Sie uns bitte die entscheidende Zahl sagen?

Andrea Busse: 1402 – wenn Sie die erste urkundliche Erwähnung unserer Familie meinen.

Das ist ganz schön lange her, Kolumbus war noch nicht nach Amerika gesegelt, Johannes Gutenberg hatte noch nicht den Buchdruck erfunden und es war noch lange hin bis zum Aufstand der Reformatoren gegen die Vorherrschaft des Papstes. Sind Sie damit vielleicht die älteste Familie Brandenburgs?

Andrea Busse: Sicher nicht, es gibt Adelsgeschlechter, die ihre Geschichte weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen können. Aber für eine Familie ohne ein „von“ im Namen ist es schon ganz schön lang. Wir sind ganz einfach nachweislich die älteste Familie in Kremmen, die heute noch Nachfahren hat.

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Glückwunsch. Was ist 1402 eigentlich passiert?

Andrea Busse: Da gibt es einen Beleg, dass ein Busse ein Stück Land an seinen Sohn verkauft hat, eine Verkaufsurkunde.

Haben Sie das selbst erforscht und den Stammbaum aufgestellt?

Andrea Busse: Nein, das ist eher ein Zufall. Im Jahr 1998 wurde die 700-Jahr-Feier von Kremmen begangen. Der damalige Pfarrer hatte in den Kirchenbüchern geforscht und hat unsere Familientradition in den Chroniken ausgegraben. Das ist uns in den Schoß gefallen. Wir hatten keine Familienchronik, wie eine Adelsfamilie. Er hat uns einen fast vollständigen Stammbaum gegeben, das war sicher nur deshalb möglich, weil Teile unserer Familie immer hier geblieben sind und sich........

© Berliner Zeitung


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