Das gute Gefühl war gerade erst zu Ulrich Wiegard vom Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz in Neukölln zurückgekehrt. Das Weihnachtsgeschäft sei gut angelaufen, sagt er. Vom neuen Management in der Essener Konzernspitze waren endlich mal wieder positive Signale gekommen, und auch die Kundschaft scheint zufrieden zu sein. „Aber jetzt hat uns wieder einer einen Knüppel zwischen die Beine geworfen“, sagt Wiegard und nennt den Blutgrätscher beim Namen: René Benko.

Seit die von dem österreichischen Immobilienunternehmer geführte Signa Holding vor wenigen Tagen Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit anmelden musste, herrscht auch unter den Beschäftigten der Signa-Tochter Galeria Karstadt Kaufhof wieder jene zermürbende Ungewissheit, mit der sie bereits durch zwei Pleiten gegangen waren. Zurück aus der Zukunft.

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Das Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz ist eines von derzeit zehn Warenhäusern des Galeria-Konzerns in der Stadt. In nicht einmal mehr sechs Wochen werden die Filialen in der Müllerstraße und in der Wilmersdorfer Straße schließen. Sie waren dem Sanierungsplan der zweiten Insolvenz zum Opfer gefallen. Nach der ersten im Jahr 2020 waren schon die Rollläden im Lindencenter und in den Gropius-Passagen für immer heruntergelassen worden. Das Haus am Hermannplatz aber hatte überlebt, es gab sogar große Pläne.

In Benkos Auftrag hatte der Stararchitekt David Chipperfield einen monumentalen Bau mit zwei 60 Meter hohen Türmen entworfen, der sich am Original der 1920er-Jahre orientierte. Im September 2022 hatte Signa den Baubeginn für Ende dieses Jahres angekündigt. Dann sollte es in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres losgehen. Ulrich Wiegard war indes schon damals klar, dass es „allein schon wegen der gestiegenen Baukosten“ Verzögerungen beim Umbau geben werde. „Jetzt wissen wir, dass es noch sehr lange dauern kann“, sagt er. Eine mehr als 200-köpfige Belegschaft ist zurück im Schwebezustand. Wiegard, der auch den Betriebsrat des Hermannplatz-Kaufhauses leitet, weiß, dass Stillstand für das Haus tödlich sein kann. Sieben, acht Jahre sei nicht investiert worden. „Jetzt muss was passieren“, sagt er.

Tatsächlich hatten Galeria-Gläubiger erst im März auf zusammen etwa eine Milliarde Euro verzichtet und dafür einem verbindlichen Sanierungsplan für den Kaufhauskonzern zugestimmt. Demnach sollten bis 2026 nahezu alle Filialen umgebaut oder modernisiert werden. Der Gesamtinvestitionsbedarf wurde seinerzeit auf „etwas mehr als 300 Millionen Euro“ beziffert. Zwei Drittel davon sollte Signa beisteuern. Doch das dürfte angesichts der eigenen Pleite nun nicht mehr zu erwarten sein.

Bemerkenswert dabei: Arndt Geiwitz, der den Investitionsbedarf bei Galeria seinerzeit als Insolvenzverwalter in den Sanierungsplan geschrieben hatte und Galeria Karstadt Kaufhof mit diesem „beste Chancen für eine Rückkehr in die Erfolgsspur“ attestierte, wenn das Konzept „vom Management und den Eigentümern zügig und konsequent umgesetzt“ werde, wurde inzwischen von den Signa-Eignern zur Rettung der Holding angeheuert und ist nun derjenige, der die einst selbst für unverzichtbar befundenen Millionen sperrt.

Es fehlt also Kapital, zumal auch Waren für das tägliche Geschäft beschafft werden müssen. Wie eng es ist, sei von außen schwer zu beurteilen, sagt Johannes Berentzen. Dennoch hält es der Chef der Münchener BBE Handelsberatung, die unter anderem den Handelsverband Deutschland, Lidl, Rewe und die landeseigene Berliner Berlinovo berät, für möglich, dass Galeria Karstadt Kaufhof eine weitere Insolvenz bevorsteht.

Das laufende Weihnachtsgeschäft sorgt laut Berentzen zunächst für einen hohen Liquiditätszufluss. Außerdem werde sich das Unternehmen die von Signa zugesagten 200 Millionen Euro wahrscheinlich über eine Gegenrechnung der Mietzahlungen holen. „Daher rechne ich nicht vor Frühjahr mit einem Insolvenzantrag“, sagt der Handelsexperte. Entscheidend sei für die Kaufhauskette die Liquiditätsgrenze von 90 Millionen Euro. „Sollte die Liquidität unterhalb dieser Grenze liegen, zieht der Aufsichtsrat die Reißleine“, ist sich Berentzen sicher.

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Spätestens dann wird die Zukunftsangst auch an die letzte Kasse der dann noch verbliebenen acht Berliner Galeria-Kaufhäuser, zwei im Osten, sechs im Westen der Stadt, zurückgekehrt sein. Nach Einschätzung der BBE Handelsberatung würde ein erneutes Insolvenzverfahren tiefe Einschnitte in die hauptstädtische Warenhausstruktur bedeuten. Laut BBE-Chef Berentzen ist in der einwohnerstärksten Stadt Deutschlands zwar durchaus Platz für mehrere Warenhäuser. Allerdings müsse dafür das bisherige Galeria-Konzept konsequent weiterentwickelt werden.

Was der Handelsprofi für nötig hält, klingt tatsächlich nicht nach Kleiderständer und Damenoberbeleidung. Im Stakkato schießen aus Berentzen Begriffe wie Pop-ups, Retail Media und Drive-to-Store-Strategien heraus. Es brauche „mehr Individualität, mehr Unternehmertum vor Ort, mehr Erlebnis auf der Fläche, mehr Abwechslung“. Und nicht zuletzt müsse der Kunde insgesamt stärker in den Mittelpunkt gestellt werden, sagt er. Aber selbst dann wären nicht alle acht Berliner Kaufhäuser zukunftsfähig. „Neben dem Luxushaus KaDeWe kann ich mir noch weitere zwei oder drei Häuser vorstellen“, sagt der Unternehmensberater.

Das sieht auch Lars Jähnichen so, der Chef des Unternehmens IPH Handelsimmobilien, das Eigentümer von Warenhäusern und Shoppingmalls berät und zu dessen Kunden auch Signa gehört. „Bis zu vier Standorte machen aus Handelssicht durchaus Sinn“, sagt er und zählt sie auf: „Alexanderplatz, Kurfürstendamm, Schloßstraße und Herrmannplatz.“ Jede dieser Lagen habe ihre klare Zielgruppe, deren Bedürfnisse durch das richtig kuratierte Konzept sehr gut angesprochen werden können. Neben dem Investment in die Fläche sieht allerdings auch er weiteren Handlungsbedarf.

In der Schloßstraße etwa sei das Warenhaus laut Jähnichen Teil des nicht gut konzeptionierten und von den Kunden nicht angenommenen Shoppingcenters Boulevard Berlin. Dort müsse sich Galeria klar abgrenzen, um für den Konsumenten wieder relevant zu werden. Am Kudamm könne das Warenhaus prominenter Bestandteil der Neuentwicklung werden, am Alexanderplatz an die lange Tradition des Standortes anknüpfen und dazu noch das touristische Potenzial erschließen und am Hermannplatz der Handelsmittelpunkt von „Kreuzkölln“ werden.

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Für die zweite Hälfte des Berliner Kaufhausbestands ist der Branchenfachmann indes pessimistisch. In Tegel bleibe abzuwarten, ob das neue Tegel-Quartier, zu dem die dortige Galeria-Filiale gehört, von den Kunden angenommen wird. In Spandau und Tempelhof vermisst Jähnichen Synergien mit weiteren Handelskonzepten. Und im Lichtenberger Ring-Center hält er es für fraglich, dass sich das Warenhaus neben den anderen Ankermietern profilieren kann.

In dem als zukunftssicher klassifizierten Kaufhaus am Alexanderplatz hat der Umbau im Gegensatz zum Hermannplatz tatsächlich bereits begonnen. Die vor zweieinhalb Jahren vorgestellten Pläne sehen auf dem Grundstück zwar vor allem den Bau eines wertsteigernden 32-stöckigen Bürohochhauses vor. Parallel soll aber auch das Warenhaus, für das das Konzept die Verschmelzung von Genuss, Kultur und Einkauf vorsieht, für die nächsten Jahrzehnte fit gemacht werden.

„Das Warenhaus wird als Galeria Weltstadthaus fortgeführt“, ist beim Eigentümer zu erfahren. Dennoch werde die Warenhausfläche von bisher 64.000 auf etwas mehr als 52.000 Quadratmeter reduziert. Die unteren zwei Etagen sind den Plänen zufolge für einen hochwertigen Lebensmittelbereich und kleinteiligen Einzelhandel reserviert. In den beiden oberen Geschossen soll ein sogenannter Food-Culture-Market entstehen, darüber eine öffentlich zugängliche Dachterrasse, deren Besucher während ihres Auf- oder Abstiegs Galeria Umsatz bescheren sollen. Der Umbau findet bei laufendem Betrieb statt.

Eigentümer von Kaufhaus und künftigem Büroturm ist seit dem Frühsommer das Unternehmen Commerz Real. Der Vermögensverwalter der gleichnamigen Bank war bis zum Juni bereits zu einem Fünftel beteiligt. Dann hatte Commerz Real sämtliche Anteile von Signa übernommen. Vereinbart wurde zugleich, dass Signa den Umbau des Kaufhauses und den Bau des Hochhauses als Projektentwicklungspartner fortsetzt. Doch exakt 26 Tage, bevor Signa den Gang zum Insolvenzrichter antrat, entzog Commerz Real Signa das Bauvorhaben, um es selbst umzusetzen. Angeblich soll es zu Zahlungsverzögerungen gekommen sein. Laut Commerz Real sollen Anfang Januar die Hochbauarbeiten für den Büroturm beginnen, das neue Galeria-Weltstadthaus 2025 eröffnet werden. „Alles läuft planmäßig“, sagt ein Sprecher von Commerz Real.

Davon kann bei Karstadt in der Müllerstraße keine Rede mehr sein. Das Kaufhaus am Leopoldplatz wird Ende Januar nach 46 Jahren schließen. Danach soll es aufwändig umgebaut werden. Acht Architekturbüros hatten dafür Entwürfe vorgelegt. Der Gewinner hatte den Umbau noch Ende Oktober gemeinsam mit Signa und dem Bezirksamt vor Anwohnern erläutert. Die Bauarbeiten sollten im Sommer 2025 beginnen, Ende 2027 das neue Haus eröffnen, wenn auch mit nur noch 14.000 statt 33.000 Quadratmetern Verkaufsfläche.

Doch mit der Pleite Signas als Miteigentümer von Grundstück und Immobilie ist offenbar auch in der Müllerstraße alles offen. Achim Nelke, Signas zuständiger Mann für den Umbau, erwiderte auf die telefonische Nachfrage, wie es dort weitergehe, lakonisch, dass dies eine gute Frage sei, und verwies an den Pressesprecher. Der wiederum reagierte gleich gar nicht.

Im Kiez um das Kaufhaus, in dem der angrenzende Leopoldplatz als sozialer Brennpunkt gilt, ist indes die Befürchtung groß, dass der Karstadt-Block nach der Schließung im Januar über viele Jahre leer stehen wird. „Das wäre fatal“, sagt Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe am Telefon, glaubt aber dennoch an eine Lösung. Denn Signa ist nicht alleiniger Eigentümer von Haus und Grundstück in der Müllerstraße 25, sondern teilt sich den Besitz mit der bayerischen Versicherungskammer. Mit der sei er bereits im Gespräch, sagt Gothe und hofft, dass die Bayern Signas Rolle mit übernehmen. Schließlich gehe es in der Müllerstraße um ein „sehr zukunftsfähiges“ Projekt.

Über die Zukunft von Galeria Karstadt Kaufhof hat ein großer Teil der Berliner Verkäuferinnen und Verkäufer übrigens bereits eine ganz persönliche Entscheidung getroffen. Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi arbeiten derzeit 1165 Beschäftigte im Bereich Verkauf der zehn Warenhäuser. Zu Jahresbeginn waren es noch 350 mehr. Laut Verdi seien fast alle aus freien Stücken gegangen.

QOSHE - Galeria in Berlin nach Signa-Pleite: Zurück aus der Zukunft - Jochen Knoblach
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Galeria in Berlin nach Signa-Pleite: Zurück aus der Zukunft

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Seit die von dem österreichischen Immobilienunternehmer geführte Signa Holding vor wenigen Tagen Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit anmelden musste, herrscht auch unter den Beschäftigten der Signa-Tochter Galeria Karstadt Kaufhof wieder jene zermürbende Ungewissheit, mit der sie bereits durch zwei Pleiten gegangen waren. Zurück aus der Zukunft.

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Tatsächlich hatten Galeria-Gläubiger erst im März auf zusammen etwa eine Milliarde Euro verzichtet und dafür einem verbindlichen Sanierungsplan für den Kaufhauskonzern zugestimmt. Demnach sollten bis 2026 nahezu alle Filialen umgebaut oder modernisiert werden. Der Gesamtinvestitionsbedarf wurde seinerzeit auf „etwas mehr als 300 Millionen Euro“ beziffert. Zwei Drittel davon sollte Signa beisteuern. Doch das dürfte angesichts der........

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