Schrippen statt Schrauben, Lätta statt Bretter, Aufstrich statt Anstrich. In der Tempelhofer Teilestraße ist diese besondere Art der Transformation in der vorigen Woche vollzogen worden. Picnic, der nach eigenen Angaben am schnellsten wachsende Online-Supermarkt Europas, hat dort den ehemaligen B1-Baumarkt übernommen und zu einem sogenannten Hub umgebaut. Von dem 4000 Quadratmeter großen Verteilzentrum aus sollen einmal eine Million Berliner direkt mit Lebensmitteln beliefert werden. „Wir werden dort so viel Umsatz machen wie 20 Supermärkte zusammen“, sagt Picnic-Deutschland-Chef Frederic Knaudt. Das wären 100 Millionen Euro.

Picnic ist der Lebensmittel-Lieferdienst, der alles besser machen will. Während Quick-Commerce-Akteure wie Flink, Gorillas und Getir noch immer, wohl aber vergeblich versuchen, mit ihrer Dienstleistung Geld zu verdienen, und andere schon kurz nach dem Start und trotz großer Investitionen wieder aufgaben, glaubt das Unternehmen, den deutschen Verbraucher erfolgreich vom Supermarkt ins Internet und von der Kassenschlange an die App locken zu können. Immerhin sehen auch Analysten des größten deutschen Marktforschungsinstituts GfK in Picnic, 2015 in den Niederlanden gegründet, einen der heißen Anwärter für eine führende Position im deutschen Online-Lebensmittelhandel.

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Doch das Geschäft ist schwierig. Der stationäre Lebensmittelhandel ist hierzulande die letzte wackere Widerstandszelle gegen den allgegenwärtigen E-Commerce. Noch immer werden 95 Prozent des Umsatzes mit Lebensmitteln in Supermärkten und Discounter-Hallen gemacht. Die verbleibenden fünf Prozent stehen für ein Umsatzvolumen von etwa vier Milliarden Euro, das sich Lieferdienste wie Bringmeister, Flaschenpost, Picnic und vor allem der marktführende Lieferservice der Supermarktkette Rewe aufteilen.

Knaudt sagt, dass es Picnic nicht darum gehe, die Nummer eins in einem Fünf-Prozent-Markt zu werden, sondern möglichst viele Kunden für den Onlinekauf zu gewinnen. „Unsere Konkurrenz sind die Supermärkte“, sagt der 38-jährige BWLer, der seine Berufskarriere einst bei Rocket Internet gestartet hatte. Aber natürlich hätte Picnic nach seiner Überzeugung das Potenzial, Marktführer zu werden. Vor allem wegen seiner Effizienz.

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Bestellt wird dort ausschließlich per App. Geschieht dies vor 23 Uhr, steht der Bote mit den Bestellungen am nächsten Tag vor der Tür. Zusammengestellt werden die Einkäufe im Ludwigsfelder Hauptlager. Das wird vom Großhandel versorgt. 10.000 verschiedene Artikel stehen dort bereit. Backwaren, Obst und Gemüse kommen direkt vom Erzeuger und werden laut Picnic auch erst unmittelbar nach der Kundenbestellung geordert. Allein dadurch habe man 90 Prozent weniger Abfall als ein Supermarkt. „Das spart Kosten“, sagt Knaudt.

Von Ludwigsfelde aus gelangen die gepackten Lebensmittelkisten für die Kunden per Lkw in eines der Berliner Verteilzentren und werden vor dort schließlich mit Elektro-Vans zum Besteller gebracht. Der Liefertermin wird am Morgen auf ein 20-Minuten-Fenster eingegrenzt. Das Unternehmen verspricht Supermarktpreise. Die Lieferung ist immer gratis, allerdings gibt es einen Mindestbestellwert von 40 Euro.

Für Deutschland-Chef Knaudt ist der Verzicht auf Versandkosten der Schlüssel zum Kunden. „Wir sind wie Zalando“, sagt er. Dort könne man das T-Shirt auch zum gleichen Preis wie im Geschäft bekommen, aber frei Haus. Möglich sei der verlockende Gebührenverzicht einerseits dank günstiger Einkaufspreise, die der Hauptinvestor Edeka biete. Zudem würden die Lieferungen geschickt und effizient gebündelt. „Wir liefern nicht wie ein Taxi, sondern wie ein Sammelbus“, sagt Knaudt. Die genaue Lieferroute wird den Angaben zufolge täglich von einem Algorithmus berechnet. Laut Knaudt kann der Picnic-Bote so sechs bis acht Bestellungen pro Stunde ausliefern, während andere Lieferdienste im Schnitt nur zwei bis drei schafften.

Dennoch kostet auch das Picnic-Geschäft noch immer mehr als es einbringt. In den Niederlanden, in Frankreich und Deutschland hat der Lieferdienst im vergangenen Jahr zwar erstmals die Umsatzmarke von einer Milliarde Euro geknackt und deutlich übertroffen, doch gab es zugleich einen hohen Fehlbetrag, über dessen genaue Größe man sich nicht äußert. 2022 soll das Minus Berichten zufolge 207 Millionen Euro betragen haben. Folglich ist Picnic auf Investorengelder angewiesen.

Vor gut drei Jahren flossen bereits 600 Millionen Euro in die Firmenkasse. Im vergangenen Monat hatte Picnic eine weitere Finanzierungsrunde über 335 Millionen Euro abgeschlossen. Ganz vorn mit dabei war stets der Lebensmittel-Einzelhandelsriese Edeka, der keine Supermarktkunden an den Online-Marktführer Rewe verlieren, sondern mit Picnics Hilfe auch im Liefergeschäft die Nummer eins werden will.

In Berlin war davon bislang kaum etwas zu spüren. Zwar war Picnic bereits 2018 in Deutschland gestartet, doch ließ sich der Lieferdienst mit seinem Hauptstadt-Debüt bis Juli vorigen Jahres Zeit. Und auch danach beschränkte man sich auf außerhalb des S-Bahn-Rings gelegene West-Berliner Stadtteile wie Siemensstadt und Lankwitz. Dort hat Picnic heute etwa 30.000 Kunden, die über drei Verteilzentren beliefert werden. Doch jetzt stehen die Zeichen auf Attacke.

Laut Knaudt stehen in Berlin 120.000 Kunden auf der Warteliste. Die soll nun auch mit dem neuen Tempelhofer Hub reduziert werden, der zugleich der größte seiner Art in Europa sein soll. Von dort aus kann Picnic unter anderem die City-Stadtteile Kreuzberg, Neukölln und Wilmersdorf beliefern.

Darüber hinaus will das Unternehmen noch in diesem Jahr zwei weitere Verteilzentren im Osten der Stadt eröffnen und die Belegschaft von jetzt etwa 500 auf bis zu 1500 Beschäftigte ausbauen. Von Pankow und Hellersdorf aus sollen der östliche Teil Berlins und stadtnahe Regionen Brandenburgs versorgt werden. Knaudt will spätestens 2025 keinen weißen Fleck mehr auf der Berlin-Karte der Picnic-Liefergebiete haben und bald auch Geld verdienen. „Die Profitabilität sollte in Berlin in zwei, drei Jahren erreicht sein“, sagt der Deutschland-Chef.

QOSHE - Zalando für Lebensmittel: Online-Supermarkt vor Start in den Berliner Osten - Jochen Knoblach
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Picnic ist der Lebensmittel-Lieferdienst, der alles besser machen will. Während Quick-Commerce-Akteure wie Flink, Gorillas und Getir noch immer, wohl aber vergeblich versuchen, mit ihrer Dienstleistung Geld zu verdienen, und andere schon kurz nach dem Start und trotz großer Investitionen wieder aufgaben, glaubt das Unternehmen, den deutschen Verbraucher erfolgreich vom Supermarkt ins Internet und von der Kassenschlange an die App locken zu können. Immerhin sehen auch Analysten des größten deutschen Marktforschungsinstituts GfK in Picnic, 2015 in den Niederlanden gegründet, einen der heißen Anwärter für eine führende Position im deutschen Online-Lebensmittelhandel.

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