Das verschreibungspflichtige Medikament Pregabalin sorgt in Großbritannien für tausende Todesfälle. Wie eine Recherche der Sunday Times zeigt, wurden allein in den vergangenen fünf Jahren knapp 3400 Todesfälle mit dem Arzneimittel in Verbindung gebracht. Lag die Zahl 2012 noch bei neun Todesfällen, stieg sie zehn Jahre später 2022 bereits auf fast 780 an. Laut der Zeitung handelt es sich um die am schnellsten steigende Zahl an Todesopfern im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln in Großbritannien.

Pregabalin wird laut dem britischen National Health Service zur Behandlung von Epilepsie, Angstzuständen und Nervenschmerzen, etwa durch Diabetes oder Gürtelrose, eingesetzt. Auch in Deutschland ist der Wirkstoff laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur „Behandlung von neuropathischen Schmerzen, als Zusatztherapie bei partiellen epileptischen Anfällen sowie bei generalisierter Angststörung“ seit 2004 zugelassen und gehört mittlerweile zu den verordnungsstärksten Wirkstoffen.

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Bei der Einnahme von Pregabalin können allerdings auch zahlreiche Nebenwirkungen auftreten. Laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gehören dazu vor allem Schläfrigkeit und Benommenheit, der NHS listet zudem noch Kopfschmerzen, Durchfall, Erektionsprobleme, geschwollene Hände, Arme, Beine und Füße, eine verschwommene Sicht, Gedächtnisprobleme und Stimmungsschwankungen als häufige Nebenwirkungen auf.

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Laut dem NHS kann Pregabalin abhängig machen, auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft schreibt von „einigen epidemiologischen Studien sowie Fallberichten und Fallserien zum Abhängigkeitspotenzial von Pregabalin“. Besonders gefährdet seien Patienten, die Opioide missbräuchlich anwenden, aber in seltenen Fällen werde „auch über eine Abhängigkeit bei nicht anderweitig abhängigen Patienten berichtet“.

Die Folge des Abhängigkeitspotenzials des Mittels ist laut dem Bericht der Times, dass Suchtkranke oft eigenmächtig die Dosis erhöhen oder das Medikament mit anderen Betäubungsmitteln kombinieren.

Einen Entzug von Pregabalin beschreiben Betroffene als mit dem von Morphium vergleichbar. Die Krankenschwester Debbi Lou aus Manchester berichtete gegenüber der Zeitung, dass sie zunächst positiv überrascht von dem Medikament war. „Es haute mich von den Socken. Aber nach einem Monat schwand das euphorische Gefühl und meine Angst kehrte um das Zehnfache zurück“, sagte sie.

Die Krankenschwester begann, die Dosis des Medikamentes zu erhöhen. Schwindel, Müdigkeit und Erinnerungslücken waren die Folge. Als Debbi Lou sogar vergaß, ihre kleine Tochter von der Schule abzuholen, wollte sie das Pregabalin absetzen. Doch der Entzug brachte sie an den Rand der Verzweiflung: „Du zitterst, du kannst nicht schlafen, nicht essen. Da ist Erbrochenes, Durchfall, Angst. Du fühlst dich wirklich, als würdest du sterben“, beschrieb sie.

Mittlerweile ist die Frau clean. Gegen ihren Arzt, der sie nicht über die Gefahren der Behandlung aufgeklärt habe, erhebt sie allerdings Vorwürfe: „Ich habe ihm vertraut, dieses Vertrauen wurde zerstört.“

In Großbritannien sollen dem Bericht zufolge über acht Millionen Menschen alleine im Jahr 2022 ein Rezept für Pregabalin bekommen haben. In Deutschland wurden laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft im Jahr 2018 insgesamt 3,9 Millionen Verordnungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgestellt.

In dem Bericht zum Abhängigkeitspotenzial von Pregabalin der Arzneimittelkommission, welcher aus dem Jahr 2020 stammt, heißt es, der Giftnotruf der Charité habe einen Anstieg der Anfragen zu Pregabalin „analog zum Verordnungszuwachs“ verzeichnet: „Wurden im Jahr 2013 noch 51 humane Expositionsfälle erfasst, waren diese im Jahr 2018 auf 187 angestiegen“. Zu Todesfällen in Deutschland durch Pregabalin werden keine Zahlen genannt. Die Arzneimittelkommission rät allerdings ausdrücklich: „Patienten sollten nicht nur über das Risiko von zum Teil gravierenden Entzugssymptomen von Pregabalin aufgeklärt werden, sondern auch über die Gefahr der Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung sowie potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen bei Mischkonsum mit Benzodiazepinen, Alkohol oder anderen Drogen.“

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QOSHE - Tausende Todesfälle wegen Medikament: „Angst kehrte um das Zehnfache zurück“ - Kathrin Merz
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Tausende Todesfälle wegen Medikament: „Angst kehrte um das Zehnfache zurück“

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09.03.2024

Das verschreibungspflichtige Medikament Pregabalin sorgt in Großbritannien für tausende Todesfälle. Wie eine Recherche der Sunday Times zeigt, wurden allein in den vergangenen fünf Jahren knapp 3400 Todesfälle mit dem Arzneimittel in Verbindung gebracht. Lag die Zahl 2012 noch bei neun Todesfällen, stieg sie zehn Jahre später 2022 bereits auf fast 780 an. Laut der Zeitung handelt es sich um die am schnellsten steigende Zahl an Todesopfern im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln in Großbritannien.

Pregabalin wird laut dem britischen National Health Service zur Behandlung von Epilepsie, Angstzuständen und Nervenschmerzen, etwa durch Diabetes oder Gürtelrose, eingesetzt. Auch in Deutschland ist der Wirkstoff laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur „Behandlung von neuropathischen Schmerzen, als Zusatztherapie bei partiellen epileptischen Anfällen sowie bei generalisierter Angststörung“ seit 2004 zugelassen und gehört mittlerweile zu den verordnungsstärksten Wirkstoffen.

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