Es wird noch einmal spannend im Prozess gegen einen Oberarzt der Berliner Charité, der sich vor einer Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts wegen des Todes zweier schwerstkranker Patienten verantworten muss. Nachdem der Staatsanwalt am Donnerstag überraschend eine lebenslange Haftstrafe wegen zweifachen Mordes und ein Berufsverbot für den Arzt gefordert hatten, erklärten beide Verteidiger des 56-jährigen Gunther S. am Freitag, ihr Mandant müsse freigesprochen werden.

Anwältin Ria Halbritter sagte in ihren mehr als einhalbstündigen Plädoyer, ihr Mandant sei ein engagierter, empathischer Mediziner, der den Patienten auf der kardiologischen Intensivstation 47i der Charité und deren Angehörigen immer zugewandt gewesen sei: „Warum sollte er Gefallen am Töten finden, warum am Morden?“

Gunther S. wird vorgeworfen, zwei 73-jährige Patienten mit einer Überdosis des Sedierungsmittel Propofol getötet zu haben – im November 2021 Ulrich B. und im Juli des folgenden Jahres Marianne G.

Ins Rollen gebracht hatte das Verfahren eine junge Krankenschwester. Laura M.* war zu den Vertrauensanwälten der Charité gegangen, die wiederum die Staatsanwaltschaft informierten. Die 28-Jährige trat im Prozess als Zeugin auf. Sie gab an, am 22. November 2021 dabei gewesen zu sein, als Gunther S. nach einer zunächst erfolgreichen Reanimation von Ulrich B. die Krankenschwester Katja W. angewiesen haben soll, dem Patienten Propofol zu injizieren.

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W. soll gezögert, doch nach einer nochmaligen Aufforderung die Spritze gesetzt haben. Da Ulrich B. noch immer Vitalzeichen aufgewiesen habe, soll Gunther S. eine zweite Propofoldosis verabreicht haben. Kurz darauf war der Patient tot. Auch am 23. Juli 2022 beobachtete Laura M. nach eigenen Angaben, wie der Oberarzt der Patientin Marrianne G. das Sedierungsmittel in einer viel zu hohen Dosis injiziert habe.

Die Patienten seien nicht schwerstkrank gewesen, sagt Verteidigerin Halbritter. Ulrich B. und Marianne G. hätten sich bereits im aktiven Sterbeprozess befunden, als Gunther S. das Propofol injiziert habe. Dr. S. habe bei den Sterbenden das Therapieziel geändert, er sei auf eine palliative Therapie umgestiegen. „Der Tod war bei beiden Patienten schon da“, so die Anwältin.

Der Angeklagte gab im Prozess zu, den Patienten das Sedierungsmittel verabreicht zu haben – allerdings in einer wesentlich geringeren Mengen als Laura M. ausgesagt hatte. Er habe damit die Sterbenden abschirmen, ihnen unnötiges Leid, Schmerzen und Todesangst ersparen wollen, begründete er sein Handeln.

„Ich kann verstehen, dass man Todesengel aufhalten will. Aber hier wurde extrem einseitig ermittel“, sagt die Verteidigerin. Die Aussagen und Wertungen der Hauptbelastungszeugin seien übernommen worden. „Sie war unerfahren“, erklärt die Anwältin. Ihre Aussage - auch hier vor Gericht - sei mit Vorsicht zu genießen, weil sie widersprüchlich sei und ungenau.

So habe Laura M. bewusste Falschaussagen gemacht, sagt Halbritter. Vieles habe sie verschwiegen. So auch ihre Beziehung zu Dr. M., einem Kollegen des Angeklagten. Beide Ärzte sollen gegensätzliche Auffassungen bei der Behandlung Schwerstkranker gehabt haben.

Auch Dr. M. habe bei seiner Zeugenaussage kein gutes Bild abgegeben. Er sei nervös gewesen, habe von einem entspannten Verhältnis zu dem Angeklagten berichtet. Was nicht zutreffe, so die Anwältin. „Warum erzählt er nicht, dass er mit Laura M. die Namen der Patienten herausgesucht, ihr die Vertrauensanwälte empfohlen hat?“

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Auch Jan Smollich, der zweite Verteidiger des angeklagten Mediziners, fordert einen Freispruch. Das objektive Handeln seines Mandanten sei nicht kausal für das Ableben der beiden Patienten, sagt er. Gunther S. habe das Leben von Ulrich B. und Marianne G. nicht bewusst verkürzt. Es sei medizinischer Unsinn, anzunehmen, die Patienten wären ohne das Propofol nicht gestorben.

Smollich erklärt auch, die Verteidigung von Gunther S. mache sich Sorgen wegen des öffentlichen Drucks, der auf dem Verfahren liege. Er befürchte, die noch junge Kammer werde nicht genug Mut haben, „einen Freispruch herbeizuführen“. Er nannte den Arzt Dr. M. eine „jämmerliche Figur“. Wahrscheinlich sei er einer der Initiatoren dafür, dass die Krankenschwester Laura M. zur Whistleblowerin geworden sei.

Smollich verwies auch auf das Gutachten, dass ein Pharmakologe am Donnerstag gehalten hatte. Der Experte hatte angegeben, im Blut von Marianne G. eine tödliche Dosis des Lokalanasthetikums Mepivacain gefunden zu haben. Das Medikament darf nicht in die Blutbahn gelangen. „Es kann sein, dass das Mepivacain die Todesursache war“, zitierte Smollich den Experten.

Der Verteidiger fordert neben dem Freispruch auch, den Haftbefehl gegen seinen Mandanten unverzüglich aufzuheben. Gunther S. sitzt seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft.

Unklar ist, ob das Gericht noch am Nachmittag ein Urteil sprechen oder einem Hilfsantrag der Verteidigung nachgehen wird. Die hatte beantragt, im Falle einer Verurteilung von Gunther S. eine Pflegedienstleiterin als Zeugin zu hören. Sie werde aussagen, dass Mepivacain beim Herzkatheter verwendet werde. Bei Marianne G. war kurz vor ihrem Tod diese Untersuchung gemacht worden - laut Verteidigern von Dr. M., dem guten Bekannten der Whistleblowerin.

* Name geändert

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Prozess gegen Charité-Arzt: Verteidigung fordert Freispruch

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26.04.2024

Es wird noch einmal spannend im Prozess gegen einen Oberarzt der Berliner Charité, der sich vor einer Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts wegen des Todes zweier schwerstkranker Patienten verantworten muss. Nachdem der Staatsanwalt am Donnerstag überraschend eine lebenslange Haftstrafe wegen zweifachen Mordes und ein Berufsverbot für den Arzt gefordert hatten, erklärten beide Verteidiger des 56-jährigen Gunther S. am Freitag, ihr Mandant müsse freigesprochen werden.

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