Die Frau, die am Dienstagnachmittag als Zeugin aussagt, ist 69 Jahre alt. Christa S. spricht mit leiser Stimme, sachlich und ohne Hass. Nur sehr selten schaut sie den Angeklagten an, der etwas geduckt hinter der Balustrade sitzt und sich in diesem Saal des Berliner Landgerichts unter anderem wegen versuchten Mordes verantworten muss. Christa S. ist sein mutmaßliches Opfer.

Die Zeugin erzählt, dass sie mit ihrem Mann in Staaken-West wohne. Am 4. Mai 2022 war sie zunächst bei der Wassergymnastik im Waldkrankenhaus Spandau und fuhr auf dem Heimweg mit dem Fahrrad noch schnell bei Lidl vorbei. Als sie ihre Fahrradtaschen gepackt hatte, rief sie ihren Mann an, sagte ihm, sie würde gleich bei ihm sein. Er hatte 2020 einen Schlaganfall erlitten, seitdem pflegte ihn Christa S. zu Hause.

Doch Christa S. sollte an diesem Tag nicht mehr zu ihrem Mann kommen. Vom Parkplatz des Supermarktes fuhr sie auf den Finkenkruger Weg in Spandau, sie radelte unter der Eisenbahnbrücke hindurch. Was dann passiert sei, wisse sie nicht, sagt sie. Den Hauch einer Erinnerung habe sie daran, eine Motorhaube berührt zu haben. „Dann ist nichts mehr.“

Christa S. wurde von einem BMW erfasst, mit dem der angeklagte Moca B. an jenem Tag vor der Polizei geflohen sein soll. Die Verletzungen, die in der Anklage stehen, waren lebensgefährlich. Die Radfahrerin erlitt durch den Aufprall unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Hirnblutung, eine Rippenserienfraktur – insgesamt waren elf Rippen betroffen –, einen Pneumothorax, einen Oberschenkelbruch und eine Fraktur zweier Lendenwirbel.

Keine drei Meter von Christa S. entfernt sitzt Moca B., ein kleiner Mann von 30 Jahren. Er trägt ein hellblaues Hemd, ein Dolmetscher übersetzt ihm, was die Frau sagt. Der Angeklagte ist Serbe, hat sein Geld in Deutschland mit Gelegenheitsjobs auf dem Bau und in der Reinigungsbranche verdient.

Mordurteil: Kudamm-Raser scheitert mit Verfassungsbeschwerde

16.12.2022

Organisierte Kriminalität in Berlin: Täter erbeuteten 42 Millionen Euro

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Der Vater von drei Kindern soll am frühen Nachmittag des Tattages mit einem schwarzen BMW im havelländischen Falkensee nahe der Ortsgrenze zu Berlin in eine Verkehrskontrolle geraten sein. Den Beamten, die ihn stoppen wollten, war das gefälschte Kennzeichen aufgefallen, zudem war das Auto nicht versichert.

Der Aufforderung, anzuhalten, soll Moca B. nicht nachgekommen sein. Im Gegenteil. Laut Anklage gab der Mann Gas, raste mit viel zu hoher Geschwindigkeit durch Straßen, auf denen Tempo 30 erlaubt war und überquerte in rasanter Fahrt die Landesgrenze zu Berlin. Beim Rechtsabbiegen auf den Finkenkruger Weg übersah er die Radfahrerin; sie wurde vom linken Kotflügel des Fahrzeugs erfasst.

11.02.2024

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Trotz des Zusammenstoßes soll Moca B. mit hoher Geschwindigkeit weitergefahren sein. Er konnte wenig später von Berliner Polizisten festgenommen werden. Dabei soll er einen gefälschten ungarischen Führerschein vorgezeigt haben. Sein Fahrzeug war beschädigt, die Windschutzscheibe gesplittert.

Moca B. werden neben einem versuchten Mord aus Verdeckungsabsicht auch gefährliche Körperverletzung, ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Urkundenfälschung vorgeworfen. Der Angeklagte hat an diesem ersten Verhandlungstag geschwiegen. Nach Angaben seines Anwalts Robert Tietze werde sich Moca B. beim nächsten Prozesstermin zu den Vorwürfen umfassend äußern.

Bei der Polizei soll Moca B. angegeben haben, dass er nur wegfahren wollte. Das Fahrzeug habe er eine Woche zuvor einem Kollegen abgekauft. Als die Polizei hinter ihm her gewesen sei, will er den Kollegen angerufen haben, der ihm gesagt haben soll, dass mit den Kennzeichen etwas nicht stimmen würde.

Polizeibeamte, die das Fahrzeug von Moca B. verfolgt hatten, geben an, dass Moca B. auf sehr schmalen, verkehrsberuhigten Straßen mit geschätzt Tempo 80 unterwegs gewesen sei und bei seiner Fahrt auch nicht die Verkehrsregel rechts vor links beachtet habe. Irgendwann sei der Angeklagte wegen seiner hohen Geschwindigkeit nicht mehr zu sehen gewesen. Ein Drogenschnelltest kurz nach seiner Festnahme sei negativ gewesen.

Christa S. erzählt, dass sie im Krankenhaus wieder zu sich gekommen sei und erst mal geschaut habe, „ob noch alles dran ist“. Sie lag neun Tage in der Klinik, verbrachte danach zwei Wochen bei einer stationären Reha.

Ihren Mann musste sie in die Kurzzeitpflege geben. Sie habe ihn aber „so schnell wie möglich wieder nach Hause geholt“, pflege ihn nun wieder. Das sei für sie schwer geworden. „Ich bin nicht mehr so fit“, erklärt sie. Seit dem Unfall habe sie Probleme mit dem Gleichgewicht und dem Gehör. Auch ein Knie versage ihr manchmal den Dienst.

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Früher, so berichtet es Christa S., sei sie eine vorsichtige und sichere Radfahrerin gewesen. In ihrer Wohngegend sei sie auf das Rad angewiesen, weil sie kein Auto habe. „Heute fällt es mir schwer, wieder Fahrrad zu fahren. Ich bin sehr unsicher“, sagt sie.

Vor rund zwei Wochen erhielt die Zeugin einen Brief vom Anwalt des Angeklagten. Darin stand, so erzählt es Christa S., dass Moca B. Familienvater von drei Kindern sei und es ihm alles sehr leid tue. „Er hat mir 3000 Euro Schmerzensgeld angeboten, die er in Raten von 100 Euro abbezahlen will“, so die Zeugin.

Sie wolle das Geld nicht, weil sie nicht „für Ewigkeiten mit dem Angeklagten verbunden sein“ wolle. Ob sie die Entschuldigung akzeptiere, fragt der Vorsitzende Richter. Christa S. schüttelt den Kopf: So kurz vor dem Prozess habe sie die Entschuldigung nicht annehmen wollen.

QOSHE - Raser wegen Mordversuchs vor Gericht: Sein Opfer nimmt Entschuldigung nicht an - Katrin Bischoff
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Raser wegen Mordversuchs vor Gericht: Sein Opfer nimmt Entschuldigung nicht an

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13.02.2024

Die Frau, die am Dienstagnachmittag als Zeugin aussagt, ist 69 Jahre alt. Christa S. spricht mit leiser Stimme, sachlich und ohne Hass. Nur sehr selten schaut sie den Angeklagten an, der etwas geduckt hinter der Balustrade sitzt und sich in diesem Saal des Berliner Landgerichts unter anderem wegen versuchten Mordes verantworten muss. Christa S. ist sein mutmaßliches Opfer.

Die Zeugin erzählt, dass sie mit ihrem Mann in Staaken-West wohne. Am 4. Mai 2022 war sie zunächst bei der Wassergymnastik im Waldkrankenhaus Spandau und fuhr auf dem Heimweg mit dem Fahrrad noch schnell bei Lidl vorbei. Als sie ihre Fahrradtaschen gepackt hatte, rief sie ihren Mann an, sagte ihm, sie würde gleich bei ihm sein. Er hatte 2020 einen Schlaganfall erlitten, seitdem pflegte ihn Christa S. zu Hause.

Doch Christa S. sollte an diesem Tag nicht mehr zu ihrem Mann kommen. Vom Parkplatz des Supermarktes fuhr sie auf den Finkenkruger Weg in Spandau, sie radelte unter der Eisenbahnbrücke hindurch. Was dann passiert sei, wisse sie nicht, sagt sie. Den Hauch einer Erinnerung habe sie daran, eine Motorhaube berührt zu haben. „Dann ist nichts mehr.“

Christa S. wurde von einem BMW erfasst, mit dem der angeklagte Moca B. an jenem Tag vor der Polizei geflohen sein soll. Die Verletzungen, die in der Anklage stehen, waren lebensgefährlich. Die Radfahrerin erlitt durch den Aufprall unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Hirnblutung, eine........

© Berliner Zeitung


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