Kolja C. kann nicht mehr in Ruhe schlafen. Permanent hört er es rascheln. Seit fast eineinhalb Jahren ist das nun schon so. Schuld daran sind Ratten, die sich in seiner Einzimmerwohnung in Steglitz unter der abgehängten Decke und in Abflussrohren eingenistet haben. Seiner Hausverwaltung ist das Problem bekannt und sie hat schon zwei Kammerjäger beauftragt. Doch die Nager lassen sich einfach nicht vertreiben, der 40-jährige gelernte Koch ist verzweifelt.

„Mein ganzes Leben dreht sich nur noch um die Ratten. Ich bin permanent auf der Flucht vor ihnen“, sagt er. Akribisch hat er jedes kleinste Loch und jede Öffnung in seiner Wohnung mit Fassadenfarbe zugeklebt und ist täglich auf der Suche nach neuen Schlupflöchern, die sich die Nager suchen. Doch gegen das Rascheln über seinem Kopf kann er nichts tun.

11.01.2024

gestern

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Seine Einzelfallhelferin vom sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf, die namentlich nicht genannt werden möchte und ihm derzeit wegen seiner Depressionen zur Seite steht, versucht ihn auch bei dem Rattenproblem zu unterstützen. Sie hat das bei Facebook bekannt gemacht. „Ich habe ein großes Problem mit einem bedürftigen Menschen. Er wohnt in Steglitz seit fast einem Jahr mit Ratten in den Rohren und unter der Decke. Gesundheitsamt ist informiert, Wohnungsgesellschaft weiß Bescheid und kümmert sich sporadisch drum. Wie kann ich dort helfen? Ich komme leider nicht weiter“, schrieb sie vor wenigen Tagen.

Die Reporter der Berliner Zeitung haben Kontakt mit ihr aufgenommen und sich die Wohnung angeschaut. Das Rascheln war an diesem Nachmittag nicht zu hören, aber es weist vieles auf ein ernstzunehmendes Problem hin. Unter der Decke in der Küche sind großflächig bräunliche Flecken zu sehen. „Sie könnten vom Kot der Ratten kommen oder auch von einem Tierkadaver stammen“, vermutet der geplagte Mieter.

In den Wänden sind viele zugestopfte Löcher zu sehen. „Es kommen immer neue dazu. Die Tiere versuchen, sich durch die Rigipswände durchzufressen“, so Kolja C.

Er ist den Ratten mit einer Wildkamera auf die Schliche gekommen. Sie funktioniert so: In der Kamera ist ein Sensor eingebaut, der auf Bewegung reagiert und dann auslöst. Kolja C. hatte dazu ein kleines Loch in seine Decke gebohrt und die Kamera daruntergehängt.

Er zeigt uns eine der Aufnahmen, auf denen Ratten zu sehen sind. Für den gelernten Koch, der momentan arbeitsunfähig ist, auch eine wichtige Beweisaufnahme: „Ich fühle mich von meinem Vermieter nicht ernst genommen, weil das Problem schon so lange andauert“, erklärt er.

Zwei Kammerjäger seien schon bei ihm gewesen. Doch die Ratten sind noch immer da. Im vergangenen Jahr wurde Kolja C. von seinem Vermieter, der Deutsche Wohnen, eine Mietminderung wegen des Schädlingsbefalls in Höhe von 85,64 Euro für den Zeitraum vom 6. März bis zum 25. April eingeräumt. „Ein lächerlicher Betrag für den Schaden“, findet er.

Kolja C. ist seit der Corona-Pandemie an Depressionen erkrankt und auch in psychiatrischer Behandlung. Das Problem mit den Ratten trage nicht zu seiner Heilung bei. „Ich habe langsam keine Kraft mehr, weil ich mich um nichts anderes mehr kümmern kann“, sagt er.

Sein Blick schweift durch die Wohnung. Permanent ist er auf der Suche nach einer neuen Öffnung, aus der die Tiere schlüpfen könnten. Die Fassadenfarbe und eine Rolle Tapeband sind immer griffbereit. Die Arbeitsplatte und Schränke der Küche hat er abmontiert, um alles im Blick zu haben. „Ich bekomme kein Auge mehr zu, weil ich das Rascheln die ganze Nacht höre und immer denke, was ist, wenn plötzlich so ein Tier über dein Gesicht läuft?“

Die Klospülung in seinem Bad kann er nicht mehr benutzen, weil er den Spülkasten zugeklebt hat. Zum Spülen nutzt er die Brause seiner Dusche, die sich unmittelbar daneben befindet. „Ich stelle sogar eine volle Flasche Wasser auf den Klodeckel, wenn ich das WC nicht benutze, damit die Ratten nicht durch das Klo kommen können.“ Die kleinen Tierchen lösen nicht nur Ekel in ihm aus, sondern er sorgt sich auch um seine Gesundheit.

Das Schädlingsbekämpfungsunternehmen Rentokil schreibt auf seiner Homepage: „Ratten können schwere Krankheiten übertragen. Die Art der Übertragung von Krankheitserregern geschieht dabei in der Regel über zwei Wege: Zum einen durch Ausscheidungen wie Kot, Urin und Speichel. Die darin enthaltenen Bakterien und Viren werden vom Menschen bei Kontakt mit Haut, Schleimhäuten oder Atemwegen aufgenommen und führen so zur Erkrankung.

Daneben fungieren Ratten auch als sogenannte Vektoren, indem sie zwar Krankheitserreger übertragen, jedoch nicht selber an ihnen erkranken. Hinzu kommt, dass bei einer Rattenplage nicht selten auch Parasiten wie Zecken oder Flöhe auf den Menschen übergehen und dabei auch Krankheiten übertragen können.“

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Seine Einzelfallhelferin berichtet, dass sie bereits im November vergangenen Jahres das Gesundheitsamt informiert habe. Geschehen sei seitdem nichts. Die Berliner Zeitung hat bei der Deutsche Wohnen angefragt: Warum ist das Nagerproblem so schwer in den Griff zu bekommen?

„Aktuell können wir nicht genau sagen, was der Grund für das vermehrte Vorkommen von Ratten vor Ort ist. Wir kümmern uns nun schnellstmöglich darum, das Problem zu lösen. Wir bedauern sehr, dass unser Mieter dadurch Unannehmlichkeiten hat“, teilt der Unternehmenssprecher der Deutsche Wohnen, Christoph Metzner, mit. Schädlingsbekämpfer seien bereits zweimal vor Ort gewesen, hätten aber wegen eines Hundes in der Wohnung keine Giftköder legen können. Eine weitere Mietpartei im Gebäude habe eine ähnliche Situation.

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Und weiter: Die Kolleginnen und Kollegen seien nun bei ihrem Mieter vor Ort, um sich die Situation anzusehen und mögliche Maßnahmen zu prüfen. Für den Zeitraum vom 6. März bis 25. April 2023 habe der Mieter eine Mietminderung in Höhe von 10 Prozent erhalten. Diese werde rückwirkend bis vorerst 15. Januar 2024 verlängert, heißt es.

Die Berliner Zeitung fragte auch beim Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf nach, ob der Fall dort bekannt sei. „Uns ist der Fall bekannt“, teilte SPD-Gesundheitsstadträtin Carolina Böhm mit. Man hätte sich mit der Wohnungsbaugesellschaft in Verbindung gesetzt und auch eine Vor-Ort-Begehung gemacht. Die Deutsche Wohnen habe zugesagt, ein Rohr zu verschließen. Die Umsetzung der Maßnahme werde kontrolliert.

Kolja C. hofft, dass sein Rattenproblem bald gelöst wird. Er sagt: „Ich möchte endlich wieder unbeschwert leben.“

QOSHE - Rattenalarm in Berliner Wohnung: „Ich höre sie nachts rascheln“ - Kerstin Hense
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Rattenalarm in Berliner Wohnung: „Ich höre sie nachts rascheln“

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13.01.2024

Kolja C. kann nicht mehr in Ruhe schlafen. Permanent hört er es rascheln. Seit fast eineinhalb Jahren ist das nun schon so. Schuld daran sind Ratten, die sich in seiner Einzimmerwohnung in Steglitz unter der abgehängten Decke und in Abflussrohren eingenistet haben. Seiner Hausverwaltung ist das Problem bekannt und sie hat schon zwei Kammerjäger beauftragt. Doch die Nager lassen sich einfach nicht vertreiben, der 40-jährige gelernte Koch ist verzweifelt.

„Mein ganzes Leben dreht sich nur noch um die Ratten. Ich bin permanent auf der Flucht vor ihnen“, sagt er. Akribisch hat er jedes kleinste Loch und jede Öffnung in seiner Wohnung mit Fassadenfarbe zugeklebt und ist täglich auf der Suche nach neuen Schlupflöchern, die sich die Nager suchen. Doch gegen das Rascheln über seinem Kopf kann er nichts tun.

11.01.2024

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Die Reporter der Berliner Zeitung haben Kontakt mit ihr aufgenommen und sich die Wohnung angeschaut. Das Rascheln war an diesem Nachmittag nicht zu hören, aber es weist vieles auf ein........

© Berliner Zeitung


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