Tick, tick, tick, tick. Man hört sie oft schon, bevor man sie sieht. Eifrig in den Boden gesteckt. Carbidspitze an Aluminium- oder Carbonstange. Nachdem die Arme in ausgreifenden Bewegungen gehoben wurden, werden sie wie Waffen des Willens mal in, mal auf den Untergrund gehauen. Die Hände umfassen sie fest, am Kork- oder ergonomisch geformten Schaumstoffgriff. Verstellbare Schlaufen liegen auf dem Handrücken, sie werden zwar ohne sofort ersichtliche Gehbehinderung, dafür aber mit einem gewissen Stolz getragen: die Trekkingstöcke.

Was in den vergangenen Jahren begann, hat in diesem frühen Frühling merkwürdige Ausmaße angenommen. Wer in Berlin kürzlich spazieren ging, wird es bemerkt haben: Jeder Zweite bewegt sich mit Trekkingstöcken durchs plattgelatschte, urbane Grüngebiet, und zwar in einer Geschwindigkeit, die Sport in den meisten Fällen eher zu simulieren scheint. Selbst bei Lidl haben die modernen Wanderstöcke in den vergangenen Wochen in der stahlkorbähnlichen Auslage gelegen, über die uns jede Woche neue Träume, Ziele und Hobbys verkauft werden sollen.

Männer lieben ja seit jeher Betätigungen, für die sie möglichst viele Gadgets kaufen können – Angeln, Radfahren –, immer her mit dem Klimbim, der einen aussehen lässt, als meine man irgendetwas ernst. Doch auch Frauen tragen nun Stöcke beim Gehen. Oder sollten wir „beim Trekken“ sagen?

Trekking wird im Englischen als „die Aktivität, eine lange Distanz zum Vergnügen zu Fuß zurückzulegen“ bezeichnet. Doch wann das Vergnügen beginnt, oder ob die 2,5 Kilometer innerstädtischer Seeweg wirklich eine lange Distanz darstellen, bleibt unklar. Vielleicht liebt der Mensch es neuerdings mehr und mehr, seinen vergnüglichen Tätigkeiten einen Ausdruck von Professionalität zu verleihen, wo in Wirklichkeit gar keine ist. Oder er braucht einfach mehr Stützen, weil sie ihm im Alltag immer mehr verloren gehen. Was soll dieser Trend denn sonst zu bedeuten haben?

Trekkingstöcke sind falt- oder einfahrbar wie Teleskopstangen. Es gibt sie in den Farben „Alpine Lake“ oder „Cherrywood“. Sie eignen sich für verschiedene Sportarten, fürs Trailrunning zum Beispiel. Und auf Oberflächen, die sich als Geröll, Teer, Waldboden oder Schnee beschreiben lassen. Je mehr Untergründe sie überwinden können, desto teurer sind sie, klar. Man kann auch schon mal 200 Euro dafür ausgeben.

06.03.2024

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06.03.2024

gestern

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Es gibt sie sogar in Varianten speziell für Frauen, aber es ist dem Laien wirklich nicht ersichtlich, wie sich ein Männerstock vom Frauenstock unterscheiden sollte. Und natürlich gibt es sie auch für 19,99 Euro beim lagerhalligen Billigsportausrüster, dessen Innenraumgestaltung allein schon Suizidgedanken auslöst, die dann irgendein Schlaumeier mit „Schon mal mit Sport probiert?“ kommentieren kann – weswegen man immer wieder hingeht und irgendetwas braucht.

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Vermutlich ist Trekking etwas für Menschen, die sich bewegen, aber auch nicht kaputtmachen wollen. Sie kommen gerne in Paaren, halten das ein oder andere Schwätzchen nebenbei. Nehmen zwar von Wegen gerne auch größere Teile ein, aber unterscheiden sich dennoch von den anderen Trendsportlern, auch von den Eisbadern, die sich alle paar Meter in die Kälte stürzen, am liebsten an Stellen, an denen sie ihre roten, nackten Pobacken möglichst vielen Spazierenden hübsch in den Weg strecken können und so mit ihrer ganzen mutigen Erscheinung eine einzige Provokation darstellen.

Nein, Trekkingstockbenutzer sind da possierlicher. Erinnern sie doch an die 1896 in Steglitz (heute zu Berlin gehörend) erfundene Wandervogelbewegung. Eine Zusammenkunft von Schülern und Studenten aus wohlsituierten Familien, die als Reaktion auf die zunehmende „Macht der Maschinen“ teilweise bis in den Harz wanderten und, getrieben von den Idealen der Romantik, die Freiheit in der Natur suchten.

Die Bewegung verbreitete sich um 1900 geschwind, verlor sich dann aber allmählich in den Fragen, was denn nun von wandernden Frauen zu halten sei, oder in der Vorgabe, Alkoholabstinenz zu praktizieren – um dann gleich komplett von den Nazis aufgelöst zu werden. Allerdings gehörte zu den Kennzeichen der Wandervögel kein Teleskop-Trekkingstockpaar.

Doch beim wieder aufflammenden Trend zum exzessiven Spaziergang seit Beginn der Corona-Pandemie gibt es ja nun deutliche Ähnlichkeiten. Auch heute ängstigt uns die Macht der Maschinen, und ein Friede mit der Natur wird sehnsüchtig erwartet. Seit Corona versucht der Mensch, sich und seine Umgebung zurückzuerlaufen. Die Trekkingstöcke dienen dabei nur als begleitende Ausrufezeichen.

QOSHE - Berlin statt Berge: Warum nun auch in der Stadt gewandert wird – Trekkingstöcke inklusive - Laura Ewert
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Berlin statt Berge: Warum nun auch in der Stadt gewandert wird – Trekkingstöcke inklusive

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08.03.2024

Tick, tick, tick, tick. Man hört sie oft schon, bevor man sie sieht. Eifrig in den Boden gesteckt. Carbidspitze an Aluminium- oder Carbonstange. Nachdem die Arme in ausgreifenden Bewegungen gehoben wurden, werden sie wie Waffen des Willens mal in, mal auf den Untergrund gehauen. Die Hände umfassen sie fest, am Kork- oder ergonomisch geformten Schaumstoffgriff. Verstellbare Schlaufen liegen auf dem Handrücken, sie werden zwar ohne sofort ersichtliche Gehbehinderung, dafür aber mit einem gewissen Stolz getragen: die Trekkingstöcke.

Was in den vergangenen Jahren begann, hat in diesem frühen Frühling merkwürdige Ausmaße angenommen. Wer in Berlin kürzlich spazieren ging, wird es bemerkt haben: Jeder Zweite bewegt sich mit Trekkingstöcken durchs plattgelatschte, urbane Grüngebiet, und zwar in einer Geschwindigkeit, die Sport in den meisten Fällen eher zu simulieren scheint. Selbst bei Lidl haben die modernen Wanderstöcke in den vergangenen Wochen in der stahlkorbähnlichen Auslage gelegen, über die uns jede Woche neue Träume, Ziele und Hobbys verkauft werden sollen.

Männer lieben ja seit jeher Betätigungen, für die sie möglichst viele Gadgets kaufen können – Angeln, Radfahren –, immer her........

© Berliner Zeitung


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