„Es ist nicht nur die Liebe zum Sport, die uns verbindet“, begrüßt der Wirtschaftsrat des 1. FC Union Berlin, Maik Degner, am Mittwochabend prominente Gäste aus der Wirtschaft und ihre zahlreichen Zuhörer. Hier, im Stadion an der Alten Försterei in Köpenick, findet an diesem Abend kein Fußballspiel, sondern eine lebhafte Diskussion statt unter Menschen, denen die Entwicklung Ostdeutschlands am Herzen liegt.

Und es sind ganz viele, freut sich Ira Roschau, die Gründerin der gemeinnützigen Plattform „DenkRaumOst“, mit Blick auf den vollen Saal. Auf dem Podium mit dabei sind: Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Prof. Dr. Marcel Fratzscher; Geschäftsführerin des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller, Ute Weiland; Hauptgeschäftsführer der IHK Halle-Dessau, Prof. Dr. Thomas Brockmeier, sowie der Gründer des Ostdeutschen Wirtschaftsforums (OWF) und der Chefredakteur des Magazins Wirtschaft+Markt, Frank Nehring.

Die Agenda ist seit Monaten gleich: der Ukraine-Krieg, mangelnde Investitionen, die sinkende Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Konkurrenten aus den USA und China, Herausforderungen der grünen Transformation. Diese Probleme sind für alle gleich, egal ob in West- oder Ostdeutschland. Und trotzdem gingen vor Tagen gerade die Chefs der ostdeutschen Wirtschaft mit einem Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor und forderten: Politische Entscheidungen sollen wieder vernünftig vorbereitet, abgewogen, sachgerecht erklärt und begründet werden. Tut sich der Osten besonders schwer mit dem aktuellen Regierungskurs?

Brandbrief der Wirtschaft: Ökonom bringt die Wut der Ostdeutschen auf den Punkt

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Terminal in der Türkei entdeckt, das russisches Öl nach Europa liefert

31.01.2024

Alle Diskutanten sind sich mehr oder weniger einig: Tägliches Politiker-Bashing bringt uns nicht weiter, wir müssten Probleme zwar klar beim Namen nennen, aber auch einen gewissen Optimismus mitbringen. Marcel Fratzscher meint sogar, „wir machen uns viel schlechter. als die Realität wirklich ist“ – schließlich sieht er nach wie vor keine Anzeichen für eine Deindustrialisierung oder Abwanderung der Industrie aus Deutschland.

•vor 7 Std.

30.01.2024

31.01.2024

31.01.2024

31.01.2024

Ist es aber nicht die Aufgabe der Wirtschaft, unter anderem durch mehr Druck auf die Politik zu verhindern, dass noch schlimmeren Zustände Realität werden? – fragte die Berliner Zeitung nach. Wenn wir mit den Stickstoffwerken Piesteritz, dem größten Produzenten von Chemikalien und Düngern in Ostdeutschland, sprechen, entsteht nicht der Eindruck, dass sie die Situation zu schlecht reden: Schließlich musste das Unternehmen wegen der hohen Gaspreise die Hälfte der Produktion zurückfahren. Zudem hat der Klimaschutz in der wirtschaftspolitischen Strategie von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Vorrang vor dem Wirtschaftswachstum: Muss sich das grundsätzlich ändern?

Marcel Fratzscher gibt der Berliner Zeitung teilweise recht. Natürlich hätten die früheren Regierungen viele Fehler gemacht, und die Ampel bringe den Bürokratieabbau sowie die Verbesserung der Infrastruktur nicht voran. Aber auch viele Unternehmen wie etwa jene in der Automobilbranche hätten in den letzten 20 Jahren die Transformation verschlafen, also liege die Verantwortung für die aktuellen schlechten Zustände auch bei der Wirtschaft, beharrt Fratzscher. Jedoch sollte der Klimaschutz nicht Vorrang vor der Wirtschaft haben – „das sind zwei Seiten der gleichen Medaille“, die gleichwertig angegangen werden müssten, gibt er zu.

Vor allem in Ostdeutschland könnte eine gleichwertige Kombination aus Klimaschutz und Wirtschaft gelingen, sind sich die Experten sicher – wenn die Politik die Interessen der Wirtschaft nicht ignoriert. Doch was macht den Osten so attraktiv? Die VBKI-Chefin Ute Weiland geht vor und sagt: die Menschen. Laut einer früheren Umfrage des Vereins schätzen die Investoren und Unternehmen an dem Osten vor allem die gut ausgebildeten Fachkräfte, die zum Teil noch eine ganz andere Einstellung zur Arbeit hätten, sprich, besonders arbeitsfreudig seien. Ein großer Applaus aus dem Saal.

Brandbrief an Olaf Scholz: Chefs der ostdeutschen Wirtschaft verzweifeln am Kanzler

•gestern

„Deutschland braucht nur Kaffee“: Wie Christian Lindner in Davos die Bürger beleidigt

20.01.2024

„Die Menschen, die in Ostdeutschland arbeiten, sind nicht so verwöhnt und saturiert“, schließt sich der IHK-Chef in Halle-Dessau, Thomas Brockmeier, an. Brockmeier wurde zwar nicht in Ostdeutschland geboren, lebt und arbeitet dort aber seit über 25 Jahren – ist also schon „einer von uns“. Es gebe hier auch noch anders als in Westdeutschland verfügbare Flächen für Industrie und Gewerbe, argumentiert er. Es gebe auch immer noch eine höhere Erwerbstätigenquote bei Frauen und eine bessere Kinderbetreuung als im Westen.

„Ich glaube auch, dass die Menschen hier auch ein feines Gespür haben für das, was geht und was nicht geht, und sie haben einen größeren Realismus“, spricht der IHK-Chef weiter. Das habe weniger mit dem Politiker-Bashing zu tun, sondern mit „einer gesunden Skepsis“ beim Hinhören.

Nehmen wir zum Beispiel die neu zu bauenden wasserstofffähigen Gaskraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 21 Gigawatt an, die Robert Habeck bis 2030 als Reserve vorsieht. In Leuna in Sachsen-Anhalt entstehe gerade die größte Elektrolyse-Anlage der Welt, die allerdings eine Kapazität von nur 24 Megawatt habe. Also müssten in Deutschland über 900 neue ähnliche Elektrolyseure mit einer ähnlichen Kapazität entstehen, damit die Gesamtleistung von 21 Gigawatt überhaupt erreicht wird, verweist Brockmeier auf das Problem.

In Leipzig übrigens ging im Herbst des letzten Jahres das weltweit erste wasserstofffähige Gaskraftwerk ans Netz, die Siemens-Turbine habe aber eine Leistung von „nur“ 126 Megawatt. Für 21 Gigawatt brauche man gesamt also rund 167 neue Gaskraftwerke wie in Leipzig! Wie ein richtiger Ostdeutscher bezweifelt Brockmeier also, dass sie alle wirklich bis 2030 gebaut werden. „Wo sind die Flächen? Ist die Akzeptanz überhaupt da? Kein Wort aus dem Wirtschaftsministerium zu all diesen Kleinigkeiten“, bedauert der IHK-Chef.

Das Berliner Publikum lacht und feiert den Gast aus Sachsen-Anhalt. Im Anschluss wird laut applaudiert. „Im Osten hat man gelernt, eine gewisse natürliche Skepsis an den Tag zu legen und diese Dinge auf ihren Gehalt zu überprüfen“, legt Brockmeier nach. Über die AfD wird an dem Abend nicht zu viel gesprochen. Man ist sich aber einig, dass man die Partei nur schwächen kann, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung des Ostens nicht mehr als Nebensache betrachtet.

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QOSHE - Vitale Debatte beim 1. FC Union Berlin: Und plötzlich redet ein Ostdeutscher Tacheles - Liudmila Kotlyarova
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Vitale Debatte beim 1. FC Union Berlin: Und plötzlich redet ein Ostdeutscher Tacheles

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02.02.2024

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•vor 7 Std.

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