„Wie sehen Sie denn aus?“ Wer sich in Deutschland modisch etwas traut, fällt zwangsläufig aus der Rolle. Gut beraten scheint indes, wer sich schlicht und unaufdringlich kleidet. Nicht nur auf den Straßen – selbst auf den roten Teppichen des Landes herrscht grauwollener Einheitsbrei. Hauptsache praktisch!

Schaurig-schön zu sehen ist das auf der aktuell laufenden Berlinale. Zwar erlauben sich auch dort einige Besucherinnen und Besucher einen flamboyanten Auftritt – von Toni Garrns zitronengelber Plissee-Robe bis zu Florence Kasumbas seidig schimmerndem Abendkleid in Pink. Doch mindestens genauso viele Filmfest-Gäste greifen zur gänzlich glanzlosen Klamotte.

Bundesminister Karl Lauterbach kommt im kürbisfarbenen Pullover, Schauspielerin Claudia Michelsen in weißen Sneakern auf den Berlinale-Teppich; Darsteller Ronald Zehrfeld trägt einen Nike-Sweater, Kollegin Corinna Harfouch eine überlange Strickjacke. Können Sie sich vorstellen, dass ein französischer Regierungsvertreter im Pulli die Filmfestspiele in Cannes besuchen würde? Oder dass sich ein US-Schauspieler im Jogging-Look zu den Oscars traut?

Das ist theoretisch die Liga, in der die Berlinale als eines der größten und wichtigsten Filmfeste der Welt spielen müsste. Und doch bleibt nach den ersten roten Teppichen der Saison wieder nur die Feststellung: Glamour ist einfach kein deutsches Thema.

20.02.2024

•gestern

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20.02.2024

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Aber warum ist das eigentlich so? Warum wollen die Deutschen keinen Glanz, kein Gloria? Warum schlägt hier die Praktikabilität stets jede Pracht? Dieses Ideal steht nicht nur im Geiste des historisch dominanten Protestantismus, der den goldverzierten Kirchen und der zeremoniellen Pracht der Katholiken betont zurückhaltende Motive gegenübersetzte. Auch lohnt sich zur Erklärung ein Blick nach nebenan – ausgerechnet auf unseren schicken Nachbarn Frankreich.

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Im 18. Jahrhundert erzwang die Französische Revolution den Übergang von den höfischen Kleiderregeln des Rokoko zur bürgerlichen Mode, die Kleider und Kosmetik mit moralischen Werten belegte. All der üppige Firlefanz der einst herrschenden Klasse, das Puder, die Perücken, wurden zum Sinnbild des Schlechten erklärt – eine Idee, die alsbald die deutschen Dichter und Denker bis ins Totale überhöhten.

Deutlich macht das etwa das Genre des „Bürgerlichen Trauerspiels“, in dem oft die aufrichtige, naive Frauenfigur im Zentrum steht, schlicht und frei von jeder Eitelkeit – in Opposition zur verachtenswerten Verführerin, die sich schminkt und parfümiert. Im Grunde nimmt dieses Motiv schon im 18. und 19. Jahrhundert vorweg, was die Nazi-Diktatur konkretisieren sollte: „Die deutsche Frau schminkt sich nicht.“

Die Nazis hatten in den 1930ern auch der starken jüdischen Konfektion ein Ende gesetzt. Gerade in Berlin hatten sich zu dieser Zeit rund um den Hausvogteiplatz Hunderte jüdisch geführte Modeunternehmen etabliert, deren elegante Entwürfe sehr wohl mit der europäischen Konkurrenz mithalten konnten. Geblieben ist davon nach dem Nationalsozialismus rein gar nichts mehr.

Überlebt hat indes der Glaube, dass nicht nötig hat, sich auffällig zu kleiden, wer ein wirklich guter Mensch ist; dass sich nur aufbrezelt, wer einen dubiosen Charakter oder mangelnden Intellekt zu verstecken hat. Interessant sein und glamourös auftreten – in Deutschland geht das offenbar noch immer nicht zusammen.

Zu spüren kriegen das alle, die das Gegenteil wagen. Wer sich etwa als Politikerin oder Politiker für einen stilvollen Auftritt interessiert, droht sich verdächtig oder lächerlich zu machen. Gerhard Schröders Vorliebe für Maßanzüge zum Beispiel wurde mit dem Spitznamen „Der Kaschmir-Kanzler“ quittiert, Berlins ehemaliger Bürgermeister Klaus Wowereit für seine Besuche auf Modenschauen und -partys als unseriös belächelt.

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Da machen auch die Filmfestspiele, die noch bis Sonntag in der Stadt laufen, keine Ausnahme. Hier soll – ob bewusst oder unbewusst – der möglichst glamourfreie Auftritt offenbar eine möglichst moralische Geisteshaltung annoncieren: eine unbedingte Konzentration auf das Wesentliche, in diesem Fall auf die Kunst, den Film. Dabei ist es ein provinzieller Irrglaube, dass es bei einem Filmfestival nur darum ginge. Eigentlich müsste es auch um Glamour gehen, der den filmischen Werken erst einen ehrenvollen Rahmen schafft.

Und: Gerade in Zeiten von Social Media funktionieren ein solches Event und seine Gäste wie Botschafter der Stilkompetenz und Lebenskultur des Landes. Schade, dass Deutschland selber in dieser globalen Konkurrenz um Soft Power partout nicht vorne mitspielen will.

QOSHE - Berlinale in Turnschuhen und Sweatshirt: Warum können die Deutschen keinen Glamour? - Manuel Almeida Vergara
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Berlinale in Turnschuhen und Sweatshirt: Warum können die Deutschen keinen Glamour?

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22.02.2024

„Wie sehen Sie denn aus?“ Wer sich in Deutschland modisch etwas traut, fällt zwangsläufig aus der Rolle. Gut beraten scheint indes, wer sich schlicht und unaufdringlich kleidet. Nicht nur auf den Straßen – selbst auf den roten Teppichen des Landes herrscht grauwollener Einheitsbrei. Hauptsache praktisch!

Schaurig-schön zu sehen ist das auf der aktuell laufenden Berlinale. Zwar erlauben sich auch dort einige Besucherinnen und Besucher einen flamboyanten Auftritt – von Toni Garrns zitronengelber Plissee-Robe bis zu Florence Kasumbas seidig schimmerndem Abendkleid in Pink. Doch mindestens genauso viele Filmfest-Gäste greifen zur gänzlich glanzlosen Klamotte.

Bundesminister Karl Lauterbach kommt im kürbisfarbenen Pullover, Schauspielerin Claudia Michelsen in weißen Sneakern auf den Berlinale-Teppich; Darsteller Ronald Zehrfeld trägt einen Nike-Sweater, Kollegin Corinna Harfouch eine überlange Strickjacke. Können Sie sich vorstellen, dass ein französischer Regierungsvertreter im Pulli die Filmfestspiele in Cannes besuchen würde? Oder dass sich ein US-Schauspieler im Jogging-Look zu den Oscars traut?

Das ist theoretisch die Liga, in der die Berlinale als eines der größten und wichtigsten Filmfeste der Welt spielen........

© Berliner Zeitung


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