Herr Liebl, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Freunde lieben“. Darin behandeln Sie das Thema „Friends with Benefits“, also Freunde, mit denen man auch Sex hat. Was ist daran so bedeutend?

Zum einen führe ich selbst mehrere dieser Freundschaften, die für mich sehr wichtige, sehr heilsame und sehr zärtliche Beziehungen sind. Auf einer sachlicheren Ebene habe ich mich seit mehreren Jahren mit Sexualwissenschaften auseinandergesetzt und nie etwas zu diesem Thema gefunden. Bedenkt man jedoch, dass rund 30 bis 40 Prozent der unter 30-Jährigen schon mal eine Freundschaft Plus hatten, ist es seltsam, dass diese Form der Beziehung nicht ausführlicher behandelt wird.

Auch nicht in anderen Ländern?

Es gibt sehr viel Literatur über offene Beziehungen, polyamouröse und monogame Beziehungen. Aber all diese Bücher stehen unter dem Zeichen einer Partnerschaft und keines stellt die Freundschaft ins Zentrum.

Aber was unterscheidet denn die Freundschaft Plus von einer Affäre?

Das hängt davon ab, ob man seine Gefühle als romantisch betrachtet, oder in erster Linie als freundschaftlich. Bei einer Affäre muss die soziale Bindung nicht groß sein, man muss auch keine tiefgehenden Gefühle füreinander haben. Da reicht die sexuelle Anziehung aus. Mit anderen Worten: Man muss seine Affäre nicht mögen, um Sex mit ihr zu haben. Bei einer sexuellen Freundschaft, wie ich sie nenne, stehen die freundschaftlichen Gefühle im Vordergrund.

Und dann kommt noch der Sex dazu.

Das klingt sehr einfach, aber wenn der Sex zu einer Freundschaft hinzukommt, werden gleich ganz andere Fragen aufgeworfen.

Und zwar?

Die Standardfrage, die man mir immer stellt, wenn ich von der sexuellen Freundschaft spreche, ist, wo der Unterschied zu einer Partnerschaft liegt. Da könnte man sich auch fragen, was überhaupt der Unterschied zwischen einer Partner- und einer Freundschaft ist.

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Die Erwartungshaltung?

Genau, ich kann an einen Partner andere Erwartungen artikulieren als an einen Freund oder eine Freundin. Bei einer sexuellen Freundschaft hat man zwar die gleiche Verbindlichkeit wie in allen anderen Freundschaften, muss aber nicht direkt den Alltag teilen oder sich Gedanken machen, wie eng die Beziehung ist oder wird.

Dann ist die Freundschaft Plus doch nur eine bequeme Variante einer Beziehung.

Das könnte man etwas überspitzt von allen Freundschaften behaupten. Die Frage ist doch: Warum spielt die sexuelle Komponente in Freundschaften so selten eine Rolle? Warum wird der Sex gleich ausgeschlossen, nur weil man sich länger kennt und befreundet ist? Der Sex wird immer wie eine fremde Macht behandelt, die die ganze Beziehung umwirft und ihr gesamtes Antlitz wandelt.

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Aber ist dann die sexuelle Freundschaft nicht eine Vorstufe der Beziehung?

Nein, denn das würde ja auch bedeuten, dass die feste, monogame oder polyamouröse Partnerschaft immer das Ziel ist und man nur nach dieser Beziehungsform strebt. Dabei gibt es viele Menschen, die eine Partnerschaft als Last empfinden oder diese vielleicht aus anderen Gründen gar nicht wollen. Warum sollen diese Menschen nicht eine andere Form des Miteinanders pflegen können, ohne abgewertet zu werden? Freundschaftszentrierte Lebensweisen können ebenso erfüllend sein wie solche, die sich auf feste Partnerschaften fokussieren. Eine Freundschaft mit Sex kann doch auch eine entlastende Alternative sein. Das wird hierzulande aber nie zur Debatte gestellt oder als Möglichkeit gesehen. Dabei ist das unter Umständen auch eine moderne und zeitgemäße Variante einer Beziehung.

Und wenn dann doch eine klassische Partnerschaft daraus wird?

Ist das wunderschön. Mir ist nur daran gelegen, dass die sexuelle Freundschaft als Beziehungsform gleichberechtigt zu anderen Entwürfen des Miteinanders betrachtet wird und nicht nur als so eine Art der Zwischenstufe zwischen Affäre und Partnerschaft.

Wünschen sich nicht die meisten Menschen eine Beziehung, die all das vereint: Romantik, Sex, Fürsorge?

Ich halte das für eine hoffnungslose Überfrachtung des Konzepts Partnerschaft. Noch vor 150 Jahren waren Partnerschaften in erster Linie Arbeitsgemeinschaften. Da wurde nicht primär aus Liebe geheiratet, sondern aus dem Antrieb heraus, gemeinsam eine Familie zu gründen und zu überleben. Sexuelle Leidenschaft und Ehe waren lange ein Gegensatz, der sich erst im 20. Jahrhundert aufgelöst hat.

Die romantische Vorstellung als unfreie Idee?

Zum Teil. Natürlich waren Partnerschaften auch immer ein Mittel, um Menschen zu kontrollieren. Nicht umsonst hält sich bis heute die Idee der Kleinfamilie als Keimzelle des Staates so hartnäckig. Mann, Frau und ein bis zwei Kinder ist immer noch das westliche Ideal. Nachwuchs bedeutet Arbeitskraft und, so anachronistisch das bis vor kurzem noch klang, Nachwuchs bedeutet auch, neue Soldaten heranzuziehen. All das läuft einer frei gestalteten Form der Freundschaft, aber auch der Liebesheirat entgegen.

Sie meinen, dass das alles nicht mehr zeitgemäß ist?

Das würde ich so nicht sagen. Egal ob monogame Partnerschaft, Polyamorie oder glücklicher Single: Alle Beziehungsformen sind in Bewegung. Wir können heute unser Liebesleben und unsere Freundschaft, mit oder ohne Sex, immer unabhängiger vom Versorgungsgedanken, chauvinistischen Ansprüchen oder der Angst vor Geschlechtskrankheiten definieren. Das ist eine Errungenschaft der vergangenen Jahrzehnte. Es also an der Zeit, die Freundschaft Plus als gleichberechtigte Beziehungsform zu den vorgenannten zu etablieren.

Eine Freundschaft Plus ist demnach nicht weniger bedeutend als eine Partnerschaft?

So sehe ich das. Freundschaften zählen zu den wichtigsten Beziehungen unseres Lebens. Sie sollten Partnerschaften gegenüber nicht nachrangig behandelt werden.

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Sie als queerer Mensch machen sich ja auch womöglich erst einmal keine Gedanken über den Zeugungsaspekt.

Das stimmt, was aber nicht automatisch bedeutet, dass Heterosexuelle keine Freundschaft Plus führen können, nur weil man Kinder möchte. Man kann Kinder übrigens auch in Freundschaften großziehen. Warum soll man daraus direkt ein Konzept der Ausschließlichkeit machen?

Eifersucht scheint bei Ihnen keine Rolle zu spielen?

Ich persönlich habe noch nie Eifersucht empfunden, ich bin einfach nicht so veranlagt. Das bedeutet aber nicht, dass ich das nicht verstehe. Kommt Eifersucht hinzu, wird natürlich auch die Freundschaft Plus ein Problem. Die Idee dazu beruht auf Symmetrie. Wird die Gefühlslage asymmetrisch, dann ist auch diese Form der Beziehung in Gefahr. Aber das gilt ja für alle Beziehungen.

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Die Generation Z und der Sex: In aller Freundschaft

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13.04.2024

Herr Liebl, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Freunde lieben“. Darin behandeln Sie das Thema „Friends with Benefits“, also Freunde, mit denen man auch Sex hat. Was ist daran so bedeutend?

Zum einen führe ich selbst mehrere dieser Freundschaften, die für mich sehr wichtige, sehr heilsame und sehr zärtliche Beziehungen sind. Auf einer sachlicheren Ebene habe ich mich seit mehreren Jahren mit Sexualwissenschaften auseinandergesetzt und nie etwas zu diesem Thema gefunden. Bedenkt man jedoch, dass rund 30 bis 40 Prozent der unter 30-Jährigen schon mal eine Freundschaft Plus hatten, ist es seltsam, dass diese Form der Beziehung nicht ausführlicher behandelt wird.

Auch nicht in anderen Ländern?

Es gibt sehr viel Literatur über offene Beziehungen, polyamouröse und monogame Beziehungen. Aber all diese Bücher stehen unter dem Zeichen einer Partnerschaft und keines stellt die Freundschaft ins Zentrum.

Aber was unterscheidet denn die Freundschaft Plus von einer Affäre?

Das hängt davon ab, ob man seine Gefühle als romantisch betrachtet, oder in erster Linie als freundschaftlich. Bei einer Affäre muss die soziale Bindung nicht groß sein, man muss auch keine tiefgehenden Gefühle füreinander haben. Da reicht die sexuelle Anziehung aus. Mit anderen Worten: Man muss seine Affäre nicht mögen, um Sex mit ihr zu haben. Bei einer sexuellen Freundschaft, wie ich sie nenne, stehen die freundschaftlichen Gefühle im Vordergrund.

Und dann kommt noch der Sex dazu.

Das klingt sehr einfach, aber wenn der Sex zu einer Freundschaft hinzukommt, werden gleich ganz andere Fragen aufgeworfen.

Und zwar?

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© Berliner Zeitung


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