Die Haustür der Fennstraße 31 in Niederschöneweide steht offen, an der Klingel sind keine Namensschilder angebracht, im Hinterhof stapelt sich ein großer Haufen Müll. Die Bewohner holen Wasser mit Kanistern von einem Zapfhahn an der Ecke zur Michael-Brückner-Straße. Ein Mann mit einer Tüte voller Wäsche kommt aus dem Haus, er spricht kein Deutsch und kein Englisch, aber er holt sein Handy heraus, um mit Google zu übersetzen. Der junge Mann sagt, dass er hier sei, um Wäsche bei seiner Mutter zu waschen – und dass er bald ausziehen müsse. Wann? Er hebt die Schultern.

Die Bewohner des Hauses in der Fennstraße 31 haben seit mehr als sechs Wochen keinen Zugang zu fließendem Wasser. Noch länger sind die Mülltonnen verschwunden und seitdem wird auch der Müll nicht mehr abgeholt. Warum das so ist, wissen die Bewohner nicht. Sie sagen, niemand informiere sie. Im Hauseingang hängt nur ein Schild, das 500 Euro Strafe pro Kubikmeter Sperrmüll androht. Laut Medienberichten führte ein Wasserschaden dazu, dass die Berliner Wasserbetriebe die Zufuhr abdrehen mussten.

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„Dieses Haus ist überwiegend von Sinti und Roma bewohnt, die der Besitzer offensichtlich raushaben will“, sagt ein Sprecher der Berliner Wasserbetriebe der Berliner Zeitung. „Da werden wir vors Loch geschoben.“ Bereits in der Woche vor dem 6. März seien die Voraussetzungen von den Berliner Wasserbetrieben geschaffen worden, dass das Wasser wieder fließen kann. „Im Fall eines Wasserschadens drehen wir normalerweise nicht das Wasser ab“, stellt der Sprecher klar. „Wenn ein Rohr platzt, geht uns das nichts an – das erfahren wir im Zweifel gar nicht.“

Thomas Herr vom Bündnis gegen Antiziganismus und für Roma-Empowerment (BARE) sagt, dass viele Bewohner des Hauses einen befristeten Mietvertrag haben. Er vermutet eine Verdrängungstaktik. „Der Hauptmieter Kai Berger hat die Menschen mit Hund und Security verängstigt“, sagt er. „Wir kennen das nicht anders, es ist ein schreckliches Vorgehen, um Bewohner loszuwerden.“

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Der Hauptmieter habe einen „Standardsatz“, heißt es von den Bewohnern. Berger wiederhole diesen Satz immer wieder: Alle müssen raus. Kai Berger war auf Anfrage der Berliner Zeitung nicht zu erreichen, laut eines Kollegen befinde er sich im Urlaub. Hauptmieter und Besitzer will Thomas Herr keinen Antiziganismus vorwerfen – die strukturelle Diskriminierung führe aber dazu, dass Roma häufig in solchen Mietverhältnissen leben.

Einer dieser Menschen lädt vom Balkon aus in seine Wohnung ein. Im Treppenhaus des Hinterhauses entsteht der Eindruck eines leerstehenden Gebäudes: Aus manchen Wohnungstüren sind die Klinken ausgebaut, es ist staubig, im Flur liegen Bretter und Schaumstoffteile. Jakobs* Wohnung ist spärlich eingerichtet. Ein Kleinkind schläft auf einem von zwei Schlafsofas, eine Frau schibbelt auf der Küchenzeile, ein Tisch und ein großer Fernseher vervollständigen das Inventar.

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Jakob will seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen. Der 40-jährige ist Rom aus Rumänien, sein Deutsch ist gut, aber er spricht viel mit den Händen und vervollständigt seine Sätze manchmal mit englischen Worten. Obwohl die Familie kein fließendes Wasser hat, bietet er Tee oder Kaffee an. Das Wasser müsse abgekocht werden, erklärt Jakob. Mit den Fingern formt er eine Schere und symbolisiert, wie die Wasserversorgung gekappt wurde. Ein Mann mit Hund sei an diesem Tag da gewesen und habe gesagt, seine Familie müsse bald ausziehen.

„Er denkt, wir haben keinen Zugang zum Anwalt“, sagt Jakob. „Aber ich war bei Asum. Der Anwalt hat gesagt, mein Mietvertrag ist in Ordnung. Viele Familien hier haben aber gar keinen Mietvertrag.“ Asum bietet im Auftrag der Berliner Bezirke kostenlose mietrechtliche Beratung an.

Jakob ist Lieferfahrer. Die 1069 Euro Miete kann das Paar nur mit Unterstützung des Jobcenters aufbringen, die sie für eine 48 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung bezahlen. Heizung, Wasser und Müllabfuhr sind Leistungen, die sie weiter bezahlen, aber nicht mehr nutzen können. Für die Großfamilie war es nach dem Abriss der Pariser Kommune 20 schwer, eine neue Bleibe zu finden. Seit eineinhalb Jahren sind sie nun hier untergekommen.

Sieben Jahre lang habe er in dem Plattenbau am Ostbahnhof gelebt, mit über 40 Roma-Familien aus einem Dorf in Rumänien. „Das war eine schöne Zeit“, sagt Jakob und sieht traurig aus. „Ich habe sieben Kinder“, sagt er, „es ist eng hier.“ Mit ihnen spreche er außer Rumänisch auch die Roma-Sprache. In seiner Heimat habe er als Priester gepredigt. Er glaubt, mit schwierigen Situationen wie dieser wolle Gott ihn stärken und näher zu sich bringen.

Sein zehnjähriger Sohn, der heute wegen Bauchschmerzen zu Hause geblieben ist, nimmt selbstständig drei kleine Wasserkanister vom Balkon und holt Nachschub auf der Straße. Bei der Frage nach den Namensschildern und der offenen Haustür lacht Jakob. Die Klingel funktioniere schon lange nicht mehr. Seine Frau, für die er bisher übersetzt hat, nickt und sagt auf Deutsch: „Alles ist kaputt.“

QOSHE - Berliner Hausbewohner seit sechs Wochen ohne Wasser: „Der Besitzer will sie raushaben“ - Maria Häußler
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Berliner Hausbewohner seit sechs Wochen ohne Wasser: „Der Besitzer will sie raushaben“

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21.03.2024

Die Haustür der Fennstraße 31 in Niederschöneweide steht offen, an der Klingel sind keine Namensschilder angebracht, im Hinterhof stapelt sich ein großer Haufen Müll. Die Bewohner holen Wasser mit Kanistern von einem Zapfhahn an der Ecke zur Michael-Brückner-Straße. Ein Mann mit einer Tüte voller Wäsche kommt aus dem Haus, er spricht kein Deutsch und kein Englisch, aber er holt sein Handy heraus, um mit Google zu übersetzen. Der junge Mann sagt, dass er hier sei, um Wäsche bei seiner Mutter zu waschen – und dass er bald ausziehen müsse. Wann? Er hebt die Schultern.

Die Bewohner des Hauses in der Fennstraße 31 haben seit mehr als sechs Wochen keinen Zugang zu fließendem Wasser. Noch länger sind die Mülltonnen verschwunden und seitdem wird auch der Müll nicht mehr abgeholt. Warum das so ist, wissen die Bewohner nicht. Sie sagen, niemand informiere sie. Im Hauseingang hängt nur ein Schild, das 500 Euro Strafe pro Kubikmeter Sperrmüll androht. Laut Medienberichten führte ein Wasserschaden dazu, dass die Berliner Wasserbetriebe die Zufuhr abdrehen mussten.

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© Berliner Zeitung


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