Der große, runde Startknopf ragt weit in die Kabine des Solariums in Prenzlauer Berg. Nach dem Betätigen leuchten die Röhren in der Sonnenbank blau auf. Um keine Minute zu vergeuden, lege ich mich möglichst schnell auf den Rücken, schließe die Augen und setze die Schutzbrille auf. In der Hektik habe ich kurz in das grelle Licht geschaut. Ich überlege, ob das wohl schon einen Schaden anrichten kann. Das ist mein erstes Mal Solarium und ja, vielleicht bin ich etwas zu ängstlich.

Mein Vater ist Schwarz, deswegen bleibt meine Haut auch im Winter braun. Das Hautkrebsrisiko, vor dem Experten warnen, ist für Schwarze Menschen geringer – und die Wahrscheinlichkeit eines Vitamin-D-Mangels höher. Den spüre ich in jedem Winter. Spätestens Mitte Dezember scheinen meine Vitamin-D-Reserven erschöpft und die Sehnsucht nach Sonne ist riesig.

Dass auch ich im Winter vergleichsweise blass bin, bleibt meist unbemerkt. Künstliche Bräune? Brauch ich nicht. Das dachte ich zumindest, bis vor ein paar Wochen. Ein Freund riet mir zur Sonnenbank, als ich mal wieder über die Dunkelheit in Berlin klagte. Ich recherchierte gründlich und entschied, mit 32 Jahren das erste Mal ins Solarium zu gehen.

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Experten sind sich nicht ganz einig über den Schaden und Nutzen von Solariumsbesuchen: Die Ärztezeitung bezieht sich auf eine Studie aus Kopenhagen, nach der eine geringe Dosis alle zwei Wochen empfehlenswert ist, um gegen Vitamin-D-Mangel vorzugehen. Das Bundesamt für Strahlenschutz warnt dagegen: „Die gleichzeitig und nicht davon trennbaren gesundheitlichen Risiken der krebserregenden UV-Strahlung überwiegen den Vorteil der UV-initiierten Vitamin-D-Bildung bei weitem.“ Außerdem kämen manche Solarien auch ganz ohne UV-B-Strahlung aus. Sicher ist aber auch, dass die UV-B-Strahlung den Vitamin-D-Serumwert anhebt, beziehungsweise weniger schnell sinken lässt.

•vor 2 Std.

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03.02.2024

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Das Melanin in meiner Haut schützt mich zwar ein Stück weit, an Hautkrebs erkranken kann ich trotzdem. Das Magazin Focus schreibt zum Beispiel, dass Hautkrebs bei Menschen mit dunkler Haut später erkannt wird und dadurch die Überlebenschancen sinken. Die Deutsche Krebshilfe forderte im letzten Jahr, Solarien in Deutschland ganz zu verbieten.

Während des Besuchs im Sonnenstudio schwanke ich immer wieder zwischen dem Hunger nach Vitamin D und gesundheitlichen Bedenken. Neben den Vor- und Nachteilen habe ich mich selbstverständlich auch genauestens darüber informiert, wie man eine Sonnenbank benutzt: Schmuck sollte man ablegen, kein Make-up tragen, dafür unbedingt eine Schutzbrille.

Im Studio angekommen, studiere ich die Preisliste. Die Auswahl „Soft“ ist durchgestrichen, die Kosten für „intensiv“ und „turbo“ sind identisch. Eine Angestellte mit (na klar!) orangebrauner Haut begrüßt mich und meinen Begleiter. „Lass uns gleich zwanzig Minuten machen“, sagt er. „Nee, lieber fünfzehn“, antworte ich. Die Mitarbeiterin klimpert mit ihren falschen Wimpern und zieht die Augenbrauen hoch: „Ich glaube nicht, dass Ihre Haut besonders empfindlich ist“, sagt sie und blickt von mir zu meinem Freund, der ebenfalls einen dunklen Teint hat. Sie empfiehlt mir „turbo“ und ihm „intensiv“. Aber auch meine Haut hat schon lang keine Sonne mehr gesehen und könnte empfindlicher reagieren als nach einer langsamen Annäherung im Frühjahr. Ich nehme lieber „intensiv“, was die normale Stufe ist – das vermute ich zumindest.

Das Studio ist bis auf ein paar Bekannte der Mitarbeiterin leer. Während in den 90ern Solarien im Trend waren, ist es heute schon eher peinlich, zuzugeben, wenn die Bräune künstlich erzeugt ist. Statt winterlicher Blässe gilt vielmehr der spezielle Hautton, den die falsche Sonne hinterlässt, als ungesund. Vor allem aber sind Sonnenstudios einfach out.

Auf die Frage hin, ob ich meinen Schmuck ablegen sollte, zuckt die Mitarbeiterin nur mit den Schultern. „Sie können, aber müssen nicht.“ In der Kabine zeigt mir die Dame dann den Startknopf und verabschiedet sich. „Moment“, rufe ich und sprinte hinterher. „Sollte ich nicht noch eine Schutzbrille bekommen?“ Sie lächelt kurz und reicht mir eine Plastikbrille, die aussieht wie zwei verbundene Flaschendeckel. Innerlich verdreht sie wahrscheinlich die Augen, wegen meiner Vorsicht. Ich denke noch darüber nach, meinen Begleiter zu warnen. Doch aus seiner Kabine dröhnt ein leises Summen, wie von einem Generator. Er liegt wahrscheinlich schon unter den Röhren.

Zurück in der Kabine lege ich langsam meine Kleidung ab und schaue mich um. Eine Konstruktion mit Lichtröhren hängt über einer Bank mit weiteren Röhren unter einer Glasplatte. In Filmen oder Serien sind solche Geräte oft verschließbar. Also rüttle ich vorsichtig an der oberen Konstruktion, die gefährlich wackelt. Dann lese ich mir einen Hinweiszettel durch, der an der Wand hängt. Ha! Wusste ich es doch, auf keinen Fall ohne Brille, Schmuck ablegen und abschminken. Wie man sich auf die Sonnenbank legt und ob sie verschließbar ist, steht allerdings nicht auf dem Zettel. Wahrscheinlich selbsterklärend, denke ich, drücke auf Start und lege mich auf den Rücken.

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Die künstliche Sonne fühlt sich angenehm warm an. Ich bilde mir ein, dass die Strahlen mich schon jetzt glücklicher machen. Meine Schultern, die ich in den Wintermonaten meist hochziehe, entspannen sich langsam. Es ist Sommer und ich liege an meinem Lieblingsplatz in der Nähe der Spree. Die Musik, die scheppernd aus einem Lautsprecher an der Sonnenbank tönt, versuche ich auszublenden. Der Sound ist schlechter als der eines Smartphones. Andererseits passt das gut zur Szenerie in meinem Kopf: An einem heißen Tag bin ich mit Freunden unterwegs, wir legen uns spontan auf eine Wiese und irgendjemand lässt eine Playlist auf dem Handy laufen.

Dann frage ich mich, ob man nicht viel mehr von der UV-B-Strahlung profitiert, wenn sie durch das geschlossene Augenlid dringt. Also ohne Brille. „Wie schädlich kann dieses Licht sein, wenn die Augen zu sind?“, frage ich mich. Möglicherweise ist der Schutz ja für den Moment gedacht, in dem man die Augen öffnet. Sicher bin ich mir zwar nicht, aber ich nehme mit zugekniffenen Augen die Brille ab – und setze sie nach wenigen Minuten wieder auf. Mein Abwägungsprozess über die Risiken von Solarien dauert definitiv noch an.

Die 15 Minuten sind vorbei, das Geräusch der Sonnenbank verstummt schlagartig. So schnell wie möglich ziehe ich mich an, um diesem seltsamen Ort zu entkommen, der mit geöffneten Augen weniger entspannt ist. Wie es war, will die Mitarbeiterin wissen. „Super“, sage ich und öffne die Tür. Ich fühle mich tatsächlich schon besser und stelle mir vor, wie mein Körper gerade auf Hochtouren Vitamin D produziert. Diese Gedanken wirken womöglich stärker als die UV-B-Strahlung selbst. Auf dem Weg zur S-Bahn knirscht Streusand unter meinen Stiefeln und ich ziehe die Schultern hoch, um meinen Hals vor der Kälte zu schützen.

QOSHE - Brutal Berlin: Einmal Sommer und zurück – mein erstes Mal Solarium - Maria Häußler
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Brutal Berlin: Einmal Sommer und zurück – mein erstes Mal Solarium

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05.02.2024

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Mein Vater ist Schwarz, deswegen bleibt meine Haut auch im Winter braun. Das Hautkrebsrisiko, vor dem Experten warnen, ist für Schwarze Menschen geringer – und die Wahrscheinlichkeit eines Vitamin-D-Mangels höher. Den spüre ich in jedem Winter. Spätestens Mitte Dezember scheinen meine Vitamin-D-Reserven erschöpft und die Sehnsucht nach Sonne ist riesig.

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