Sieben junge Menschen hungerten im Jahr 2021 im Invalidenpark – für ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung. Das war die erste Forderung der Letzten Generation. Am 24. Januar 2022 blockierte die Gruppe dann erstmals als „Aufstand der Letzten Generation“ mehrere Autobahnauffahrten in Berlin. Eine damals noch unbekannte Sprecherin sagte damals: „Das ist erst der Anfang, wir werden wiederkommen.“ Ihr Name war Carla Hinrichs und zwei Jahre später ist klar, dass sie es ernst gemeint hat.

Denn das, was in den vergangenen zwei Jahren über Deutschland und vor allem über Berlin hereinbrach war eine ganz besondere Protestwelle, deren Ende noch immer nicht ganz abzusehen ist. Menschen klebten sich auf Straßen, besprühten Wände und Monumente mit Farbe, die einen nennen es zivilen Widerstand, die anderen Nötigung und Vandalismus. Auch die Forderungen der Demonstranten änderten sich – und mit der Zeit auch der Zuspruch der Berliner Bevölkerung: Aktuell lehnen 85 Prozent die Letzte Generation und ihren Protest ab.

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21.01.2024

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Dabei gibt es zumindest einen Konsens, der sich über die Meinungsgrenzen hinweg durchgesetzt hat: Seit Anfang der 1990er-Jahre gibt es keine ernsthaften Zweifel am menschengemachten Klimawandel. Und ja, vielleicht ist diese Generation die „letzte“, die etwas gegen das Erreichen von Kipppunkten im Erdklimasystem unternehmen könnte? Die Gruppierung bezieht sich in den Forderungen auf die vereinbarten Ziele des Pariser Klimaabkommens 2015. Nach deren Berechnungen hat die Menschheit noch etwa zwei Jahre und sieben Monate Zeit, um diese Ziele zu erreichen. Auf ihrer Website fragen die Aktivisten: „Was wirst du in diesen zwei bis drei Jahren tun?“

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Die Aktivitäten der Klimaaktivisten in den vergangenen zwei Jahren haben bei der Berliner Staatsanwaltschaft bislang zu mehr als 3700 Verfahren (Stand 19.1.) geführt. Das teilte ein Behördensprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Die Aktionen in Berlin haben laut Polizeipräsidentin Barbara Slowik 2023 um 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Die Letzte Generation zählte im Mai 2023 nach eigenen Angaben 1200 Unterstützer. Bis Ende letzten Jahres haben die Aktivisten einen Schaden von mindestens 200.000 Euro verursacht, der teuerste war sicherlich das Einfärben des Brandenburger Tors.

Bei Sitzblockaden kleben sie sich mit einem Gemisch aus Sand und Sekundenkleber auf die Straße, eine sogenannte Betonhand. So dauerten Blockaden länger an. Außerdem hat die Letzte Generation zwei „Massenblockaden“ auf der Straße des 17. Juni durchgeführt, um gegen die Subventionen fossiler Energien zu protestieren. Im Herbst 2023 führte die Bewegung erstmals Protestmärsche durch, 30 bis 70 Menschen gehen betont langsam auf der Straße, statt zu sitzen.

Im Jahr 2023 kam dann der Farbprotest hinzu: In Berlin besprühten sie das Brandenburger Tor, die Weltzeituhr und ein Prada-Geschäft am Kudamm mit oranger Farbe.

Der Versuch, Protestmärsche mit wenigen Menschen an vielen Stellen zu etablieren, scheiterte, da die Polizei sie zu schnell auflöste. An den Protestformen wollen sie auch in diesem Jahr festhalten.

Forderungen: Auch die Forderungen der Letzten Generation verändern sich regelmäßig. Sie reichten vom Essen-Retten-Gesetz über Kritik an den Plänen neuer Ölbohrungen in der Nordsee, ein Tempolimit 100 auf deutschen Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket bis hin zum Ausstieg aus der Fossilenergie. Die Bundesregierung ging auf keine der Forderungen ein.

Führung: Im Herbst 2023 gab die Letzte Generation auf ihrem Telegram-Kanal bekannt, dass Lea Bonasera und Henning Jeschke sich aus dem Kernteam zurückziehen. Beide gründeten die Letzte Generation mit und führten 2021 das Gespräch mit Olaf Scholz.

Die Beliebtheit: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar Public gaben 85 Prozent der Bevölkerung im Mai 2023 an, dass sie eher kein Verständnis für die Straßenblockaden der Letzten Generation haben. Im Gründungsjahr 2021 erklärten noch 68 Prozent der Bevölkerung, dass sie grundsätzlich Verständnis für die gesamte Klimabewegung hätten. Dieser Wert war im Mai 2023 auf 34 Prozent gesunken. Das hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass im Jahr 2021 noch der Hungerstreik und die großen Demonstrationen von Fridays for Future als Protestform im Vordergrund standen.

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Mit dem Hungerstreik der Letzten Generation im September 2021 wollten die Aktivisten auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen. Ihre Begründung: In Deutschland landeten jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll, was 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid verursache. Fast einen Monat lang sprachen Journalisten mit und über die jungen Menschen im Invalidenpark. Der damalige Kanzlerkandidat Olaf Scholz erklärte sich schließlich zu einem öffentlichen Gespräch bereit.

Am 4. März 2023 beschmierten Unterstützer der Letzten Generation die Glasskulptur „Grundgesetz 49“ im Regierungsviertel mit Tapetenkleister und wasserlöslicher Farbe. Ihre Begründung: Sie sehen die Grundrechte gefährdet. Laut Artikel 2 hat der Staat die Pflicht, „Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen“. Nach Auffassung der Letzten Generation kommt die Bundesregierung dem nicht ausreichend nach. Politiker zeigten sich nach der Aktion empört. Das Urteil im Amtsgericht Tiergarten lautete Freispruch, da die Farbe leicht zu entfernen war.

Auch Repressionen führten zu großer Aufmerksamkeit. Nach einer Hausdurchsuchung bei Carla Hinrichs im Mai 2023 zeigten sich viele Menschen in den sozialen Medien solidarisch oder schlossen sich der Gruppe an. Ein Polizist soll eine Waffe auf sie gerichtet haben. Nachdem im November 2022 der Präventivgewahrsam in Bayern für einen medialen Aufschrei sorgte, versuchte die Bewegung diesen strategisch zu nutzen – und suchte 2023 gezielt nach Personen, die in Bayern auf die Straße, also auch ins Gefängnis gehen würden. Die zeitweise Sperrung der Website und die Gespräche über die Einstufung als kriminelle Vereinigung führten zu Solidaritätsbekundungen. Auch ein Fall, in dem ein Zivilpolizist einer Aktivistin im Oktober 2023 vor dem Kanzleramt einen Pinsel ins Gesicht drückte, sorgte für Schlagzeilen und Empörung.

Politiker warnen immer wieder vor einer Radikalisierung und forderten höhere Strafen: „Immer wenn sie Ziele nicht erreichen, kommt die nächste Stufe“, sagte Alexander Dobrindt bei Maybrit Illner. „Wir müssen verhindern, dass eine Klima-RAF entsteht.“

Mitte September 2023 beschmierte die Letzte Generation das Brandenburger Tor mit oranger Farbe aus Feuerlöschern. Anfangs war nicht klar, ob die Farbe sich überhaupt wieder entfernen lässt. Die Letzte Generation kündigte an, das Brandenburger Tor immer wieder zu färben, was sie zuletzt auch im Dezember 2023 tat.

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Die Protestform der Sitzblockade betrifft vor allem Autofahrer auf ihrem Weg zur Arbeit. Die eigentlichen Adressaten der Forderungen, die Bundesregierung, bleiben unbehelligt. Die Letzte Generation begründet ihr Vorgehen damit, dass Blockaden für mehr Aufmerksamkeit sorgen. Außerdem bleibe man mit der Bevölkerung im Gespräch. Bei den Gesprächen schlägt ihnen aber zunehmend Hass entgegen.

Im Herbst 2022 verunglückte eine Radfahrerin. Die Einsatzwagen seien wegen einer Blockade der Letzten Generation nicht durchgekommen, lautete damals der Vorwurf, der sich nicht bestätigte. Diskutiert wird aber immer noch, ob Sitzblockaden die Rettungswege maßgeblich verzögern und so Leben gefährden.

Die Letzte Generation ist hierarchisch organisiert. Eine Kerngruppe von sechs Personen trifft die Entscheidungen und organisiert die Bewegung, Unterstützer erfahren oft erst am Abend vorher, wo sie protestieren. So lassen sich schneller strategische Entscheidungen treffen und Blockaden bleiben geheim. Diese Frage wurde vor allem durch einen Podcast aufgeworfen, der im Sommer zur Letzten Generation erschien: Werden sich bei dieser Organisationsform Massen aus einer demokratisch sozialisierten Bevölkerung anschließen? Der sechsteilige Podcast hatte als Titel nur ein Wort: „Hitze“.

QOSHE - Zwei Jahre Letzte Generation: Lernt die Klimabewegung aus ihren Fehlern? - Maria Häußler
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Zwei Jahre Letzte Generation: Lernt die Klimabewegung aus ihren Fehlern?

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