Mit Verve verwerfen vor allem Politiker von Grünen, FDP und der CDU die Anregung des Sozialdemokraten Rolf Mützenich, über die Möglichkeit eines Einfrierens des Ukraine-Konfliktes nachzudenken. Warum nur? Einfrieren gehört zum klassischen Instrumentarium des Konfliktmanagements. Die Welt wäre froh, wenn es gelänge, den Verteidigungskrieg Israels gegen die Hamas wenigstens für einige Wochen einzufrieren.

Zu erörtern wäre im Fall der Ukraine die Frage: Besteht Aussicht auf ein gutes Ergebnis? Das wäre zunächst der gesicherte Bestand der Ukraine als eigener Staat. Das entspricht dem starken Wunsch der Ukrainer, nach eigener Fasson glücklich zu werden.

Seit Monaten sind die Fronten erstarrt – mit leichten Geländegewinnen für die russische Seite. Die ukrainische Armee ist hinsichtlich Mensch und Material erschöpft. Es fehlt an Munition, aber vor allem an Frontkämpfern und -kämpferinnen. Die westliche Unterstützerallianz liefert viele Waffen, stärkt die Luftverteidigung, trägt erhebliche Teile des ukrainischen Haushalts, aber den Soldatenschwund kann sie nicht ausgleichen.

Russland zieht Rekruten aus dem weiten Hinterland und bezahlt Söldner aus Indien und Nepal. Das Land stellt auf Kriegswirtschaft um. Langfristig wird es geschwächt, was strategisch westlichen Intentionen entspricht. Wie lange wird Russland durchhalten? In diesem Punkt hat sich der Westen – ob Napoleon oder Hitler – immer getäuscht.

Die Ukraine kann nicht ernsthaft darauf hoffen, alle derzeit russisch annektierten Gebiete – die Krim sowie die Regionen Donezk und Luhansk – auf militärischem Wege wiederzuerlangen. Putin wiederum mag von Großrussland träumen mit einer Art musealen Mini-Ukraine rund um Kiew von Moskaus Gnaden. Europa aber ist weiter als im 19. Jahrhundert. Lenin forderte bereits 1914 das Selbstbestimmungsrecht der Völker.

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22.03.2024

24.03.2024

24.03.2024

Einfrieren des Konfliktes hieße, heutige Frontverläufe für unbestimmte Zeit als Grenzlinien zu akzeptieren. Den Schutz der Ukraine, die Sicherung ihres Bestehens, das müsste eine internationale Unterstützerallianz garantieren. Bevor Tag für Tag weitere Teile der Ukraine in Trümmer fallen, gewännen das Land und seine Freunde die Chance, einen modellhaften Wiederaufbau zu starten. Ein Schaufenster des Wohlstandes und der Demokratie – vor den Augen der russischen Bevölkerung, die bislang in so großer Zahl ihren großmachtbesessenen Nationalführer Putin stützt.

In Deutschland ist zu besichtigen, wie sich durch Einfrieren eines Großkonfliktes im Wege der Teilung das westliche Gesellschaftsmodell schließlich durchsetzte. Es fällt vielen – trotz des Ausgangs – schwer, das Verfahren und seine beruhigende, friedenssichernde Wirkung als das unter den gegebenen Umständen Beste anzuerkennen. Das liegt am hohen Preis der deutschen Teilung. Er war jedoch deutlich niedriger als die drohende Alternative eines heißen Kriegs zwischen Atommächten.

Die USA ziehen sich aus der Ukraine zurück: Was soll die EU nun machen?

23.03.2024

Jeder weiß, dass Mützenich ans Einfrieren glaubt. Wieso soll er sich verleugnen?

24.03.2024

Ein der Kommunismusfreundlichkeit unverdächtiger im Schweizer Exil lebender Deutscher, der bedeutende liberale Wirtschaftswissenschaftler und Berater Adenauers Wilhelm Röpke (1899–1966), hatte bereits im Juni 1945 diesen zentralen Gedanken „zur deutschen Frage“ entwickelt: Deutschland „bis zur Lösung des russischen Problems“ konsequent zu teilen.

Die Linie, die das russisch besetzte Ostdeutschland von dem durch die westlichen Alliierten besetzen Westdeutschland trenne, sei zum „Limes des Abendlandes“ geworden, die Linie durch Deutschland scheide zwei Welten voneinander. Er war überzeugt, dass die Trennung dem westlichen Teil guttun, dieser „bald in die ,Atlantische Gemeinschaft‘ aufgenommen“ und letztlich in vielen Jahrzehnten die Teilung überwunden werde. Röpke behielt recht.

1989 war die „russische Frage“ für den Moment gelöst, Russland (die Sowjetunion) hinreichend geschwächt – niedergerungen durch Wirtschaftsblockaden, abgehängt im Technologie- und Innovationswettbewerb. Die schöne bundesdeutsche/West-Berliner Konsum- und Demokratiewelt hatte die DDR-Bürger bewogen, ihrem Staat adieu zu sagen.

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24.03.2024

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24.01.2024

Nun treibt die Idee des Einfrierens ausgerechnet die deutschen Transatlantiker auf die Palme, als ginge es um eine Übergabe der Ukraine, um Verrat. Sie leugnen sogar, dass das siebenjährige Einfrieren mithilfe des Minsker Abkommens nach der Annexion der Krim 2014 der damals politisch zerrissenen, korrupten und militärisch schwachen Ukraine die Zeit gab, zu beeindruckender Wehrhaftigkeit und nationalem Selbstbewusstsein zu finden. Vertrauen die in der Berliner Komfortzone sitzenden Propagandisten eines illusionären ukrainischen Endsiegs der Strahlkraft westlicher Demokratie nicht mehr?

Ob ein Einfrieren infrage kommt, haben die Ukrainer zu entscheiden. Sie müssen wissen, ob sie „bestehen“ können, wenn der Krieg so weitergeht wie bisher. Um es mit Papst Franziskus zu sagen: „Verhandeln, bevor es noch schlimmer wird, kann eine Option sein.“

QOSHE - Einfrieren ist ein bewährter Weg der Konfliktlösung: Die deutsche Teilung beweist das - Maritta Adam-Tkalec
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Einfrieren ist ein bewährter Weg der Konfliktlösung: Die deutsche Teilung beweist das

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26.03.2024

Mit Verve verwerfen vor allem Politiker von Grünen, FDP und der CDU die Anregung des Sozialdemokraten Rolf Mützenich, über die Möglichkeit eines Einfrierens des Ukraine-Konfliktes nachzudenken. Warum nur? Einfrieren gehört zum klassischen Instrumentarium des Konfliktmanagements. Die Welt wäre froh, wenn es gelänge, den Verteidigungskrieg Israels gegen die Hamas wenigstens für einige Wochen einzufrieren.

Zu erörtern wäre im Fall der Ukraine die Frage: Besteht Aussicht auf ein gutes Ergebnis? Das wäre zunächst der gesicherte Bestand der Ukraine als eigener Staat. Das entspricht dem starken Wunsch der Ukrainer, nach eigener Fasson glücklich zu werden.

Seit Monaten sind die Fronten erstarrt – mit leichten Geländegewinnen für die russische Seite. Die ukrainische Armee ist hinsichtlich Mensch und Material erschöpft. Es fehlt an Munition, aber vor allem an Frontkämpfern und -kämpferinnen. Die westliche Unterstützerallianz liefert viele Waffen, stärkt die Luftverteidigung, trägt erhebliche Teile des ukrainischen Haushalts, aber den Soldatenschwund kann sie nicht ausgleichen.

Russland zieht Rekruten aus dem weiten Hinterland und bezahlt Söldner aus Indien und Nepal. Das Land stellt auf Kriegswirtschaft um. Langfristig wird es geschwächt, was strategisch westlichen Intentionen entspricht. Wie lange wird........

© Berliner Zeitung


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