Jeder Krieg ist auch ein Krieg um Wahrheiten, besser gesagt: propagierte Wahrheiten. Das stimmt für das Schlachtfeld in der Ukraine genauso wie für den Sanktionskrieg zwischen Russland und dem Westen. Die Wahrheit, die Putin in Russland verbreiten will, lautet: Der Wirtschaft geht es gut, trotz Krieg und trotz der Sanktionen.

Um das zu beweisen, sucht er sich immer wieder neue Zahlen. 2022 war das der Rubel, der sich erstaunlich schnell stabilisiert hat. Anderthalb Monate nach dem Kriegsbeginn stand der Rubel wieder auf dem Vorkriegsniveau – eine Machtdemonstration. Mittlerweile sieht das anders aus. Der Rubel ist zum Euro im letzten Jahr stark gefallen und liegt derzeit etwa zehn Prozent unter dem Vorkriegsniveau.

Statt den Wechselkurs zu bejubeln, spricht Putin dieser Tage lieber über das Wirtschaftswachstum. Bei einem Treffen mit russischen Unternehmern diese Woche prahlte er damit, dass die russische Wirtschaft 2023 um mehr als vier Prozent gewachsen sei. Und noch mehr: Russland habe sogar Deutschland auf der Rangliste der größten Volkswirtschaften der Welt überholt, legte der Kremlchef nach.

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„Es scheint, dass wir von allen Seiten erdrosselt und erdrückt werden, aber wir sind in Bezug auf das gesamte Wirtschaftsvolumen die ersten in Europa geworden“, zitiert die russische Geschäftszeitung Kommersant den Kremlchef. „Wir haben Deutschland überholt und den fünften Platz in der Welt belegt. China, USA, Indien, Japan, Russland. Die Nummer eins in Europa.“

Wirklich? Ja, die Zahlen zum Wirtschaftswachstum stimmen mit denen der Weltbank überein. Kaufkraftbereinigt liegt die Wirtschaftsleistung Russlands mit 5,6 Billionen internationalen Dollar auf Platz fünf. Deutschland ist in dieser Statistik sogar mit fünf Billionen nur auf Platz sieben, hinter Indonesien. Auch beim Wirtschaftswachstum war Russland 2023 laut der letzten Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit einem Plus von 2,2 Prozent vorne, während die deutsche Wirtschaft voraussichtlich um 0,5 Prozent schrumpfen sollte.

Doch das ist noch lange nicht alles. Misst man die Wirtschaftsleistung nicht kaufkraftbereinigt, sondern ganz normal als Summe aller geschaffenen Wertschöpfung in US-Dollar, zeichnet sich ein anderes Bild. Dann liegt Russland nämlich mit 2,2 Billionen US-Dollar auf Platz acht, Deutschland hingegen auf Platz vier – mit einer doppelt so großen Wirtschaftsleistung. Kaufkraftbereinigt liegt Russland nur so weit vorne, weil die Preise für vergleichbare Produkte in Russland niedriger sind als in Deutschland, also kriegen die Russen zu Hause für dasselbe Geld etwas mehr als wir Deutschen. Weil aber nicht alle Produkte vergleichbar sind, ist der kaufkraftbereinigte Vergleich wenig aussagekräftig.

Hinzu kommt: Russland hat ja auch rund 60 Millionen Einwohner mehr als Deutschland. Will man den Wohlstand zwischen Russland und Deutschland vergleichen, muss man die Wirtschaftsleistung durch die Anzahl der Einwohner dividieren. Kaufkraftbereinigt liegt Russland dann nicht mehr auf Platz fünf, sondern auf Platz 60, in US-Dollar gemessen sogar nur auf 63, Deutschland hingegen nach beiden Berechnungen auf Platz 20, wie die neusten Zahlen des IWF zeigen.

Die russische Wirtschaft wächst außerdem nur aus einem Grund: Putin stellt Russland auf Kriegswirtschaft um, die Kriegsindustrie boomt. 2024 wird Putin die Militärausgaben noch einmal fast verdoppeln, rund 40 Prozent des gesamten Staatshaushalts gehen dann für Militärausgaben drauf. Zum Vergleich: In Deutschland machen die Verteidigungsausgaben nur circa elf Prozent des Bundeshaushaltes aus, auf alle Staatsausgaben gerechnet sogar nur fünf Prozent.

Russlands Wirtschaft ist vom Krieg aufgeblasen. Das erhöht zwar das Bruttoinlandsprodukt, schafft aber keinen nachhaltigen Wohlstand. Panzer und Munition können Verbraucher ja nicht konsumieren und Firmen aus anderen Branchen nicht gebrauchen. Im Gegenteil: Der Krieg selbst und der Boom der Kriegsindustrie schaden der Wirtschaft in den nächsten Jahren, weil Arbeitskräfte für Panzerproduktion verschwendet werden, als Soldaten im Krieg fallen – oder aus Angst vor der Mobilisierung das Land verlassen. Gerade die jungen, gut gebildeten Russen, sollen in Scharen das Land verlassen haben, nach Schätzungen rund eine Million Menschen, darunter 100.000 IT-Fachkräfte. Hinzukommen etwa 1000 internationale Firmen, die ihre Geschäfte in Russland eingeschränkt oder sogar ganz eingestellt haben.

All das wirft die russische Wirtschaft in ihrer Entwicklung erheblich zurück. Auch wenn es nicht zu Putins Propaganda passt.

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„Wir haben Deutschland überholt“: Putin schwärmt von russischer Wirtschaft

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13.01.2024

Jeder Krieg ist auch ein Krieg um Wahrheiten, besser gesagt: propagierte Wahrheiten. Das stimmt für das Schlachtfeld in der Ukraine genauso wie für den Sanktionskrieg zwischen Russland und dem Westen. Die Wahrheit, die Putin in Russland verbreiten will, lautet: Der Wirtschaft geht es gut, trotz Krieg und trotz der Sanktionen.

Um das zu beweisen, sucht er sich immer wieder neue Zahlen. 2022 war das der Rubel, der sich erstaunlich schnell stabilisiert hat. Anderthalb Monate nach dem Kriegsbeginn stand der Rubel wieder auf dem Vorkriegsniveau – eine Machtdemonstration. Mittlerweile sieht das anders aus. Der Rubel ist zum Euro im letzten Jahr stark gefallen und liegt derzeit etwa zehn Prozent unter dem Vorkriegsniveau.

Statt den Wechselkurs zu bejubeln, spricht Putin dieser Tage lieber über das Wirtschaftswachstum. Bei einem Treffen mit russischen Unternehmern diese Woche prahlte er damit, dass die russische Wirtschaft 2023 um mehr als vier Prozent gewachsen sei. Und noch mehr: Russland habe sogar Deutschland auf der Rangliste der größten Volkswirtschaften der Welt überholt, legte der Kremlchef nach.

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