Ja, der Bahnstreik nervt. Bahnkunden haben es doch ohnehin nicht leicht. Auch wenn die Lokomotivführer nicht streiken, sind die unterbesetzten Züge als rollende Servicewüste auf einem maroden Schienennetz eine Zumutung.

Und jetzt auch noch Rekord-Streik: Sechs Tage von Mittwoch bis Montag, so hat es die GDL verkündet. Zu Recht fragt sich da doch jeder: Muss das sein? Und: Wer ist daran schuld? GDL-Chef Claus Weselsky oder DB-Personalvorstand Martin Seiler?

Immerhin: Laut dem letzten ZDF-Politbarometer hatten Anfang Januar noch 43 Prozent der Deutschen Verständnis für die Bahn-Streiks. Das dürfte sich jetzt ändern. Denn der Streik kostet nicht nur Nerven – er kostet auch Geld. Etwa 100 Millionen an Wirtschaftsleistungen würden mit jedem Streiktag verloren gehen, schätzte der Wirtschaftsexperte Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gegenüber der Tagesschau ein. Rechnet man alle Streiktage zusammen, ist mittlerweile ein Schaden 1,2 Milliarden Euro entstanden.

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•vor 7 Std.

21.01.2024

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22.01.2024

Nachdem Weselsky sich mit 18 privaten Konkurrenten der Deutschen Bahn schon einig ist, hat er am Sonntag auch das neue Bahn-Angebot in die Papiertonne getreten. Dabei geht es noch nicht einmal vordergründig ums Geld. Die zwei Knackpunkte sind viel mehr die 35-Stunden-Woche und ein Tarifabschluss für Fahrdienstleiter. Bisher kommt die Bahn der GDL beim Geld und der 35-Stunden-Woche nur in Tippelschritten entgegen, über Fahrdienstleister will sie hingegen partout nicht verhandeln. Heißt: Es liegt zu wenig auf dem Tisch, über das Bahn und GDL feilschen könnten.

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Apropos die 35-Stunden-Woche: Nachdem die Bahn sich bisher geweigert hat, darüber zu verhandeln, gibt es jetzt erstmal ein echtes Angebot. Ab 2026 sollen Schichtarbeiter ihre Arbeitszeit von 38 auf 37 Stunden reduzieren können, müssten dafür aber auf die 2,7 Prozent Lohnerhöhung verzichten. Doch es gibt einen Haken im Kleingedruckten. Das soll nur möglich sein, wenn die Bahn genügend Personal hat. Ein K.O-Kriterium für Weselsky. Der fürchtet nämlich, dass die Bahn das Jahr 2026 als Hintertürchen nutzt, um den Schichtarbeitern die Stundenreduzierung zu untersagen.

Und mal ehrlich: Für die Personaldecke ist der Arbeitgeber verantwortlich, also Personalchef Seiler, nicht die Schichtarbeiter. Warum sollten die einspringen, wenn Seiler seinen Job nicht macht? Wofür denn bekommt Seiler mit 1,39 Millionen Euro im Jahr 2022 ein größeres Gehalt als der Bundeskanzler und Millionenboni aus Steuergeldern? Außerdem: Gegen den Fachkräftemangel würden attraktivere Arbeitsbedingungen ja helfen.

Und dann ist da noch das Geld: Die GDL fordert 3.000 Euro Inflationsausgleich und 555 Euro mehr Gehalt für 12 Monate. Die Bahn bietet 2.850 Euro Inflationsausgleich und 13 Prozent mehr Lohn, allerdings für 32 Monate und in drei Stufen – 4,8 Prozent mehr in 2024, fünf Prozent in 2025 und 2,7 Prozent 2026.

Zur Einordnung: Das mittlere Lokführergehalt in Vollzeit lag laut dem Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit 2022 bei 3.735 Euro pro Monat vor Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Die GDL-Forderung von 555 Euro wären also 15 Prozent mehr Lohn, wohlgemerkt für ein Jahr. Für das erste Jahr bietet die Bahn aber nur 4,8 Prozent, also weniger als ein Drittel.

Außerdem wurde die letzte Tariferhöhung komplett von der Inflation aufgefressen. Seit Dezember 2021 ist das Gehalt der Lokführer um 3,3 Prozent gewachsen, die Verbraucherpreise aber um 12,1 Prozent. Heißt: Die Lokführer haben seit 2021 einen Reallohnverlust von fast neun Prozent erlitten!

Natürlich ist es einfach, sich Weselsky und die Lokführer zum Feindbild zu machen. Der Blick auf diese Zahlen sollte all jene aber skeptisch machen. Vielleicht ist der Bahnvorstand, der sich selbst Millionenboni in den Hals stopft, die Bahn in den letzten zwei Jahrzehnten heruntergewirtschaftet hat wie eine Frittenbude, aber bei den Lokführern geizt und die GDL bei den Fahrdienstleitern schneidet, das viel größere Problem?

Warum kommt die Bahn denn nur in Tippelschritten entgegen? Und warum stellt sich Personalchef Seiler keiner öffentlichen Debatte? Während Weselsky durch Talkformate und Nachrichtensendungen tingelt, versteckt sich Seiler wie ein Maulwurf. Anscheinend setzt die Bahn darauf, dass Weselsky irgendwann unter dem Frust der Bankkunden und der Öffentlichkeit einknickt. Eine riskante Wette, immerhin geht Weselsky dieses Jahr in Ruhestand, hat also entsprechend wenig zu verlieren!

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Wie also weiter? Während Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) den Streik als „destruktiv“ beschimpft und „null Verständnis“ hat, versteckt sich der Bundeskanzler Olaf Scholz unter seinem Teppich im Kanzleramt. Wegen der Tarifautonomie will er sich nicht einmischen. Damit macht sich der Kanzler, wie so häufig, einen viel zu schmalen Fuß. Erstens ist der Bund alleiniger Eigentümer der Bahn AG und schießt 2024 wieder mehrere Milliarden Euro in die Kassen, die der Bahnvorstand verwaltet. Zweitens ist eine funktionierende Bahn im öffentlichen Interesse. Und drittens gilt es weitere Kollateralschäden von der Volkswirtschaft abzuwenden – 1,2 Milliarden Euro sind genug!

„Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, hat Scholz mal gesagt. Wenn das keine hohlen Phrasen bleiben sollen, mischt er sich jetzt gefälligst ein und bestellt die Streithähne ins Kanzleramt. Die Lösung liegt doch auf der Hand: Die Bahn kommt der GDL entgegen und wertet den Lokführerberuf so auf, die Bahn hingegen bekommt mehr Geld vom Staat, um ihre Personaldecke aufzubessern. Win-Win-Win!

Der Autor des Textes ist Ökonom und Betriebswirt. Zuvor als Einkäufer und Unternehmensberater, derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Büro von Christian Görke (Linke) im Bundestag tätig. Autor des Buches „Mythos Geldknappheit“. Akademischer Vertreter der Modern Monetary Theory. YouTuber mit „Geld für die Welt“.

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Bahnstreik der GDL: Ökonom erklärt, woran die Einigung jetzt scheitert

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24.01.2024

Ja, der Bahnstreik nervt. Bahnkunden haben es doch ohnehin nicht leicht. Auch wenn die Lokomotivführer nicht streiken, sind die unterbesetzten Züge als rollende Servicewüste auf einem maroden Schienennetz eine Zumutung.

Und jetzt auch noch Rekord-Streik: Sechs Tage von Mittwoch bis Montag, so hat es die GDL verkündet. Zu Recht fragt sich da doch jeder: Muss das sein? Und: Wer ist daran schuld? GDL-Chef Claus Weselsky oder DB-Personalvorstand Martin Seiler?

Immerhin: Laut dem letzten ZDF-Politbarometer hatten Anfang Januar noch 43 Prozent der Deutschen Verständnis für die Bahn-Streiks. Das dürfte sich jetzt ändern. Denn der Streik kostet nicht nur Nerven – er kostet auch Geld. Etwa 100 Millionen an Wirtschaftsleistungen würden mit jedem Streiktag verloren gehen, schätzte der Wirtschaftsexperte Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gegenüber der Tagesschau ein. Rechnet man alle Streiktage zusammen, ist mittlerweile ein Schaden 1,2 Milliarden Euro entstanden.

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© Berliner Zeitung


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