Die Bundesregierung hängt in den Seilen wie ein angeschlagener Boxer. Nach der Klatsche vom Bundesverfassungsgericht wegen der berüchtigten 60 Milliarden Euro an Klimageldern hagelte es jetzt auch noch miese Wahlumfragen.

Nur 20 Prozent der Deutschen sind mit der Arbeit von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zufrieden, wie der neue ARD-Deutschlandtrend zeigt. Kein Kanzler war jemals unbeliebter. Mit der Ampel-Regierung insgesamt sind nur noch 17 Prozent der Deutschen zufrieden.

Und die Haushaltskrise verschärft sich nur. Mit dem Rücken zum Abgrund verhandeln die Koalitionsspitzen seit nunmehr einer Woche über den nächsten Haushalt. Durch das Urteil des Verfassungsgerichts ist der Haushalt laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit 17 Milliarden Euro überbucht. Die müssen entweder gekürzt oder über andere Wege an der Schuldenbremse vorbeigelenkt werden.

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Schon vergangenen Mittwoch wollten Bundeskanzler Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Lindner im Kabinett einen Plan vorlegen. Doch daraus wurde nichts, weil die Drei sich nicht einigen konnten. Pünktlich zum Jahresende lässt sich der Haushalt für 2024 also nicht mehr beschließen, dafür sind die Fristen in Bundestag und Bundesrat zu eng.

Dass die Ampel sich so schwertut, ist aber kein Wunder. Keiner will bei ohnehin miesen Umfragewerten seine Wähler mit faulen Kompromissen verprellen. Damit alle Verhandler ihr Gesicht wahren, braucht es kreative Lösungen statt plumper Kürzungen. Auch ökonomisch verbieten sich Kürzungen. Denn die deutsche Wirtschaft ist ohnehin in der Krise, der Konsum gar unter dem Niveau von 2019. Ob beim Bürgergeld oder dem Dieselprivileg: Jede Kürzung schwächt die Wirtschaft, weil die Menschen danach weniger Geld zur Verfügung haben. Das Gleiche gilt für einen höheren CO₂-Preis. Und auch für Steuererhöhungen, die die FDP ohnehin kategorisch ausschließt.

Hier deshalb vier Vorschläge, wie die Ampel trotz Schuldenurteil 17 Milliarden ausgeben kann, ohne im Haushalt zu kürzen.

Für 2024 erneut die Notlage zu erklären, wäre wohl die einfachste Lösung. Dann können alle Ausgaben bedingt durch den Ukraine-Krieg, die Ahrtal-Flutkatastrophe und die Energiekrise an der Schuldenbremse vorbeilaufen. Ökonomisch lässt sich das gut begründen: Noch immer ist Krieg, noch immer greifen die vielen Sanktionen gegen Russland, noch immer gehen Waffen und Milliarden-Hilfen an die Ukraine, noch immer gibt es Produktionseinbrüche in der energieintensiven Industrie – und noch immer läuft der Wiederaufbau im Ahrtal.

Das könnte die Bundesregierung sogar einfach durch den Bundestag bringen, ohne Stimmen der Union. Auch würde die Union wohl nicht dagegen klagen, macht doch etwa Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) genau dasselbe: Er hat auch für das nächste Jahr eine Haushaltsnotlage beschlossen. „Wir haben wegen Corona, Ukraine, Umstellung der Energieversorgung und auch wegen der Sturmflut entschieden, dass wir dafür Notkredite aufnehmen“, so Günther am Donnerstag im NDR.

Größtes Hindernis: In der FDP regt sich Widerstand. Auf dem Landesparteitag in Nordrhein-Westfalen hat die FDP in einem Dringlichkeitsantrag beschlossen, dass die erneute Notlage 2024 eine rote Linie für die Fortsetzung der Koalition sei. Lindner müsste sich also mit seinem eigenen Landesverband anlegen.

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Was häufig missverstanden wird: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat der Ampel-Regierung kein Geld aus der Staatskasse genommen, sondern lediglich gesagt, dass es für die geplanten Schulden ein anderes Rechtskonstrukt brauche. Die Bundesregierung braucht also eigentlich kein neues Geld, sondern nur legitime Wege für neue Schulden.

Ein solcher Weg wäre, die geplanten Zuschüsse für Schieneninvestitionen – vier Milliarden Euro im nächsten Jahr, 12,5 Milliarden bis 2027 – aus dem Klimafonds zu streichen und stattdessen der Deutschen Bahn als Eigenkapital einzuspritzen. Das ist übliche Praxis, da die Deutsche Bahn AG ja ohnehin zu 100 Prozent dem Bund gehört. Und Gelder, die für Beteiligungen fließen, fallen nicht unter die Schuldenbremse.

Auch die Subventionen für die Ansiedlungen der Chipfabriken von Intel und TSMC – zehn und fünf Milliarden Euro entsprechend – könnte man so abwickeln. Statt nur Geld zu überweisen, könnte sich der Bund bei den Deutschlandtöchtern am Eigenkapital beteiligen – entweder mit oder ohne Stimmrechte. Die Frage stellt sich aber: Wenn man als Staat schon so viel Geld gibt, warum nicht auch mitreden?

Auch andere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt, etwa für die Autobahn GmbH des Bundes oder die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, ließen sich als Eigenkapitalerhöhung umwidmen, um Platz zu schaffen.

So richtig und wichtig die Debatte um eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse ist, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag ist unrealistisch. Auch würde die sogenannte „goldene Regel“, wie Wirtschaftsweise Achim Truger oder der Ökonom und Kolumnist der Berliner Zeitung, Fabio De Masi, sie vorschlagen, nur einen einstelligen Milliardenbetrag an zusätzlichen Investitionen ermöglichen. Denn die Regel erlaubt nur Nettoinvestitionen, also neue Investitionen abzüglich der Abschreibungen auf den Wertverfall der Infrastruktur. 2021 waren das 5,5 Milliarden Euro. Damit ließe sich das Haushaltsproblem nicht lösen.

Besser wäre es, die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse zu ändern. Das geht mit einfacher Mehrheit, ohne die Stimmen der Union, und die Ampel hatte sich das sogar 2021 in den Koalitionsvertrag geschrieben. Hinter dem technischen Begriff steckt die Idee, dass der Staat mehr Schulden machen darf, wenn die Wirtschaft in der Krise ist. Nach der aktuellen Berechnungsmethode darf der Bund im nächsten Jahr 2,4 Milliarden Euro zusätzliche Schulden machen. Die Rechenmethode dahinter könnte geändert werden, um in Krisen – wie derzeit! – mehr Schulden machen zu dürfen.

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Für 2024 hat die Regierung ursprünglich 37 Milliarden Euro an Zinskosten eingeplant. Eine echte Hausnummer, aber der Betrag ist künstlich groß gerechnet. Wie das? Nun, die Regierung verkauft noch immer Staatsanleihen ohne Zinsen und macht damit milliardenschwere Verkaufsverluste.

Hintergrund: Weil die Banken, die die Anleihen kaufen, Geld verdienen wollen, und für ihr Guthaben bei der Zentralbank derzeit risikolos vier Prozent Zinsen kassieren, kaufen Sie dem Staat Anleihen unter ihrem eigentlichen Wert ab. Die Regierung bekommt also beispielsweise nur 75 Euro für eine 15-jährige Anleihe mit einem Nennwert von 100 Euro. Weil das in Milliardenhöhe passiert, entstehen auch Milliardenverluste, die komplett in das Haushaltsjahr 2024 gebucht werden.

Doch es gibt zwei Alternativen. Die Regierung kann die Staatsanleihen mit höheren Zinsen verkaufen, dann gibt es keine Verkaufsverluste, dafür aber natürlich jährliche Zinskosten. Nur würden die Zinsen bei einer 15-jährigen Anleihe eben über 15 Jahre gestreckt – und nicht in einem Jahr anfallen. Oder, andersherum, die Regierung ändert die Buchungsregeln und legt die Verkaufsverluste über die Laufzeit der Anleihen um. Der Effekt: Die Zinslast im Bundeshaushalt fiele circa zehn Milliarden Euro geringer aus.

Fazit: Das 17-Milliarden-Loch ließe sich auch ohne Kürzungen und ohne Beistand der Union schließen. Für die Wirtschaft wäre das ein Segen, denn Kürzungen verschärfen die Krise.

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Haushaltskrise: Ökonom schlägt der Bundesregierung vier kreative Lösungen vor

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09.12.2023

Die Bundesregierung hängt in den Seilen wie ein angeschlagener Boxer. Nach der Klatsche vom Bundesverfassungsgericht wegen der berüchtigten 60 Milliarden Euro an Klimageldern hagelte es jetzt auch noch miese Wahlumfragen.

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Dass die Ampel sich so schwertut, ist aber kein Wunder. Keiner will bei ohnehin miesen Umfragewerten seine Wähler mit faulen Kompromissen verprellen. Damit alle Verhandler ihr Gesicht wahren, braucht es kreative Lösungen statt plumper Kürzungen. Auch ökonomisch verbieten sich Kürzungen. Denn die deutsche Wirtschaft ist ohnehin in der Krise, der Konsum gar unter dem Niveau von 2019. Ob beim Bürgergeld oder dem Dieselprivileg: Jede Kürzung schwächt die Wirtschaft, weil die........

© Berliner Zeitung


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